f Text zur Kunst
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Kunst kommt von Können
1. Zwischenbemerkung
...und so weiter
Technik ist Mittel zum Zweck
Farbe darf Form nicht zerstören
2. Zwischenbemerkung
Die Kunst ein Mysterium ?
Lernen, erkennen, beurteilen
Interaktion
Moderne Kunst / Ansichten
Ein Kunstwerk ist Interpretation
3. Zwischenbemerkung
Wertungen
Zur Kritik
Fußnoten
Schluß
Liebe Leser, mein Resumé
Etymologische Hilfe
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Vorwort 

Kein vernünftiger Mensch, werden Sie sagen, stellt seine Ansichten in dieser Form ins Internet.
Und Sie werden sich auch fragen, warum es ausgerechnet Künstler drängt, auch noch über Kunst zu schreiben, denn selten sind beide Talente so ausgeprägt, daß sie gleich beachtenswert sind.

Mir fehlt diese Doppelbegabung. Trotzdem beschreibe ich meine Einstellung1) zur Kunst mit Argumenten, die einer Stammtischrunde zu entspringen scheinen. Auf die heute so beliebte politische Korrektheit, alle unterschiedlichsten Befindlichkeiten zu berücksichtigen, verzichte ich.

Durch die sogenannte Avantgarde der Kunst, ebenso unverständliche Kunstliteratur, und von einem Entertainment-Kulturbetrieb angeekelt, werde ich meine Einstellung zur derzeitigen Kunstkultur darlegen und dabei auch die Kunstgeschichtsschreibung dieses Jahrhunderts nicht vergessen.

Das Abstecken meiner Position ist a priori für mich wichtig. Gleichwohl glaube ich, daß ebenso ein Nicht-Künstler seine bisherigen Kunstbetrachtungsweisen überdenken könnte, um angelernte Kunstdefinitionen des 20. Jahrhunderts zu hinterfragen.

Es ist das legitimes Recht eines Malers, sein Unbehagen an anderer Kunst zu äußern. Viele Künstler haben das vor mir getan. Sie sind, wie auch die Verbraucher, zeit- und gesellschaftsbedingt (erfreulicherweise) zu unterschiedlichsten Wertungen gekommen.

Seit nahezu 30 Jahren beschäftige ich mich außerdem mit dem Erhalt von Kunstwerken verschiedener Jahrhunderte und Stilepochen. Diese Tätigkeit ermöglicht mir, den handwerklichen Verfall von Kunstprodukten, besonders den der letzten Dezennien unseres Jahrhunderts, genau zu verfolgen. Dabei gelange ich zu erschreckenden Erkenntnissen. Sie machen deutlich, wie wenig von einem ehemals geachteten Handwerk übriggeblieben ist. Dennoch entziehe ich mich einer globalen Verurteilung moderner Kunstwerke, so schwer mir das auch fällt. Werte, nicht nur in Bezug zur Kunst, sind fiktiv - sie sind abhängig von der Zeit, in der sie formuliert werden.

Es hat in den letzten Jahrhunderten immer wieder beharrliche Versuche gegeben, den Begriff Kunst, auf eindeutig definierbare Grundlagen zu stellen oder wenigstens mit gewissen Gesetzmäßigkeiten auszustatten. Das ist, bedingt durch unterschiedliche Gesellschaftsformen und vielgestaltige Vorbedingungen, nie oder nur annäherungsweise gelungen.

Früher allerdings hat man Künstlern eine langjährige handwerkliche technische Ausbildung angedeihen lassen, ohne die sie kaum an die Öffentlichkeit hätten treten dürfen. Diese, während ihrer Ausbildung erworbenen Fertigkeiten, waren (und sind es auch heute noch) wichtige Komponenten bei der Beurteilung ihrer Werke. Modernen Kunstwerken fehlen diese Maßstäbe.

Ich bitte Sie, die Sie hoffentlich noch einen Cranach von einem Koons unterscheiden können, Ihre bisherigen Ansichten zur modernen Kunst zu überdenken. Vertrauen Sie nicht weiter in Demut offizieller Kunstpolitik. Keiner wird jemals eindeutig und allgemeingültig den Begriff Kunst definieren können. Haben Sie sich aber Ihren natürlichen Verstand bewahrt, finden Sie sicher einen Weg zu eigenem Urteilsvermögen. Ärgern2), werde ich die opportunistische Kulturschickeria, die sich gedanken- und bedingungslos Kunstdialektikern unterwirft - ob aus Einfältigkeit oder Bequemlichkeit, ist mir gleichgültig.

Erleben Sie Kunst nicht aus zweiter Hand, oder gehören Sie noch oder schon wieder zu den Mitläufern und rentablen Empfängern alles Neuen?! Beziehen Sie individuell Stellung. Besinnung auf persönliche Urteile sind notwendig, selbst wenn Sie von Angelerntem Abschied nehmen müssen.

Hören Sie endlich auf, zu glauben, daß man Kunst verstehen muß !!

Die Einheit von Kunst und Handwerk wird zerstört. Ich billige das nicht, egal wie unmodern diese Ansicht ist. Ich hege kein Mitleid für Menschen, die durch Kulturmafia und Museen sanktionierte Kunst als Qualitätsmaßstab betrachten.

Neues, nur weil es neu ist, kann kein Qualitätsmerkmal sein. Nosce te ipsum - machen Sie sich diesen klassischen Imperativ zu eigen. Dann kann aus Ihnen wieder eine individuelle Persönlichkeit werden.

Nicht das bequeme Mitschwimmen, nicht scheinheilige Liberalität der Kunst gegenüber, wird Ihre Position und Wirkung innerhalb unserer Gesellschaft stärken. Produzenten, Kritiker und Kulturverweser würden bei vielen Menschen, die selten genug für Kunst zu begeistern sind, wieder offenere Ohren finden. Sie würden gepeinigte Augen und Gedanken heilen können, beschränkten sie ihre Aufgabe auf das, was Ihrem Berufsstand angemessen ist - das ihm namengebende Wesentliche. Vielleicht würde ihnen Kunst dann wieder Freude bereiten.

Zum Schluß etwas an die Adresse unserer selbstgefälligen, eloquenten Kunsttheoretiker und Kulturrepräsentanten: Begehen Sie nicht den Fehler und belächeln Sie nicht überheblich meine Ansichten und meine vielleicht ungeschickten Formulierungen, in der Gewißheit auf der richtigen Seite zu stehen oder gar Recht zu haben. Schauen Sie in den Spiegel - Sie werden feststellen, daß Ihr mokantes, sauertöpfisches Lächeln eher hilflos wirkt. Es trägt gewiß nicht dazu bei, Ihrer (womöglich) eitlen Persönlichkeit ein würdigeres Aussehen zu verleihen.

Auf Abbildungsbeispiele verzichte ich vorläufig. Die wenigen, von mir im Text als Exempel angeführten archetypischen, avantgardistischen, modernen Kunstwerke sind ausnahmslos, wenn man sich nicht der Fäkalsprache bedienen will, mit spärlichen Worten bildhaft und umfassend zu beschreiben.

Über geforderte und bezahlte Preise für moderne und alte Kunstwerke schreibe ich ebenfalls nicht; aus der Gesamtsicht scheint mir eine Diskussion um den materiellen Wert von Kunst zweitrangig, selbst wenn es bei offiziellen Ankäufen um Steuergelder7) geht.

Kunst soll gut und möglichst umgehend bezahlt werden!
Ich lebe schließlich mehr oder weniger auch davon.


Zum Titel: Kunst kommt von Können

Ganz ehrlich, haben Sie mit diesem (fast undenkbaren) Gedanken, beim Anblick zeitgenössisch-avantgardistischer Kunst, nicht schon einmal gespielt ? Aber haben Sie sich dann auch getraut, das Ergebnis Ihrer gedanklichen Bemühungen laut und vernehmlich zu sagen? Sehen Sie - so einfach ist oder war das gar nicht. Wahrscheinlich haben Sie Ihre, gewiß gute, Schulbildung noch nicht vergessen und einfach geschwiegen - zwar mit einem dicken Kloß im Hals - aber Sie haben geschwiegen!

Wie oft haben Sie eigentlich nach diesen Seherlebnissen an Ihrem Verstand gezweifelt? Sie sind anschließend, um denselben nicht zu verlieren und um sich zu beruhigen, in eine Pinakothek zu den Alten Meistern gegangen, und haben dort nicht nur dasselbe gedacht, sondern erleichtert geantwortet: "Also irgendwie hat Kunst doch etwas mit Können zu tun!"

Wie oft haben Sie sich eigentlich verkniffen, in einschlägigen Etablissements vor ausgestellten Schrotthaufen, zerschlitzten Bildern und Suppendosen, einfach das zu sagen, was Sie stets sagen wollten, aber was Sie, Dank Ihrer Erziehung, bisher vermieden haben?

Nur Mut für die Zukunft liebe Freunde, sagen Sie es, sagen Sie, was Sie denken. Ihr Nachbar darf es ruhig hören; er wird Ihren unqualifizierten Stoßseufzer zwar disgusting finden - aber machen Sie sich nichts daraus. Das wohlige Gefühl, welches Sie nach Ihrem Urteil empfinden, wird Sie für die vernichtenden Blicke Ihrer bedauernswerten Mitmenschen mehr als entschädigen.

Lassen Sie sich deswegen nicht in die Ecke der Ewiggestrigen stellen. Sie leben heute und urteilen heute. Die nächste Ausstellung in einer modernen Galerie oder ein Besuch in einem Museum für zeitgenössische Kunst, gibt Ihnen sicher Gelegenheit dazu - falls Sie sich einer derartigen Kraftanstrengung und Konfrontation überhaupt stellen wollen.

Es sind ja nicht nur die als Kunstwerke bezeichneten Produkte, die für Verwirrung in unseren Köpfen sorgen. Beleidigt wird unser Verstand zudem durch besonders nachlässig zusammengebastelte Materialcollagen oder wahllos zusammengestellte Dinge des alltäglichen Lebens zu Raumkunstwerken.

Die billigste Darstellungsmethode besteht freilich darin, vergangene moderne Kunstrichtungen und intellektuelle Leistungen letzter Jahrzehnte unverarbeitet, folglich ungekonnt, rücksichtslos zu zitieren3) oder zu variieren.

Die manuellen und intellektuellen Fähigkeiten eines Künstlers sind Voraussetzung und Grundlage kreativer Schöpfungen. Erfahrungen, die ich als Restaurator mit zeitgenössischen künstlerischen Erzeugnissen4) mache, zwingen mich, grundsätzliche Forderungen nicht nur an den Kunstproduzenten, sondern gleichermaßen an den Verbraucher zu stellen.

Wenige Menschen, die sich heute aktiv oder passiv mit Kunst beschäftigen, haben sich jemals Gedanken über materialgerechte Verarbeitung und die damit verbundene Haltbarkeit eines Kunstproduktes gemacht. Viele Sammler und Museen haben (früher) grundsätzliche, konservatorische Regeln vernachlässigt, sie sogar ignoriert; das hat sich heute in den Museen gebessert. Die meisten modernen Künstler haben Präliminarien bekämpft; schlimmstenfalls kennen sie nur wenige handwerkliche Regeln, weshalb ihnen deren Einsatz selbstverständlich heute überflüssig erscheint.

Beherrschung sachbezogener Techniken, Wissen um Werkstoffe5) und Achtung gewisser Traditionen bei der Produktion von Kunstwerken, sind mit meinem Begriff von Kunst untrennbar verbunden.

Daß diesem bescheidenen Anspruch extrem selten Rechnung getragen wird, ersieht man durch nüchterne Betrachtung von gepfuschten6) Erzeugnissen und leichtfertig zusammengeschusterten Werken, welche die aktuellen Kunstszenen hervorbringen.

Meine Erfahrungen im Umgang mit modernen Kunsterzeugnissen und die Forschungsergebnisse gut geführter Museumslabors beweisen eine nahezu vollkommene Ignoranz der Kunsttechnik.

Gesprungene Malschichten, locker durchhängende Leinwände, verzogene Keilrahmen, abplatzende Farben, sich selbst auflösende Objekte und zusammenbrechende Installationen. Von Materialcollagen aus undefinierbaren Kunststoffen jeglicher Art wird man bereits in wenigen Jahren nichts mehr sehen können. Nur durch Reproduktion in Kunstbüchern werden sie beurteilbar sein. Offensichtliche desolate Zustände und materialbedingte Mängel sind gleichermaßen auch für einen technisch nicht versierten Laien klar erkennbar, und würden ihn, bei Gegenständen des täglichen Gebrauchs, sofort zu einem Besuch bei der "Stiftung Warentest" ermuntern.

Was auf dem Markt für zeitgenössische Kunst angeboten5) wird, entspricht, sogar bei großzügigster Betrachtungsweise, nicht den Mindestforderungen an die Qualität, die Kunstliebhaber und verantwortliche Direktoren von Sammlungen für moderne Kunst selbstverständlich stellen sollten.

Ich stelle sachlich fest: Es gibt heute keine Einheit von Idee und Handwerk mehr. Spiritualität eines Kunstwerkes, oder das, was man dafür halten soll, scheint manchmal in Rudimenten vorhanden, der gute Wille mag spürbar sein, aber zwischen Intention, Ausführung und Ergebnis stehen das technische Unvermögen der Künstler und die Unwissenheit, Gleichgültigkeit und Verbildung der Rezipienten jeglicher Couleur. Dieser Allianz von Täuschern und Ungebildeten gilt mein Augenmerk.

Es gehört leider nicht zu den Tugenden und erst recht nicht zu den Pflichten zeitgenössischer Künstler, sich mit dem Elementarwissen ihres Berufes zu beschäftigen. Die Möglichkeit, sich diese Grundlagen unter Anleitung von Fachdozenten zu erarbeiten, besteht zwar an den meisten Akademien, wird aber, wie ich ständig höre (und sehe), kaum oder nie genutzt8). Die Anwendung des Einmaleins der Kunst, gilt vielen Professoren und Studenten als Hemmschuh für große Ideen.

Die Konfrontation mit der Realität des Kunstmarktes (der mich, ich muß es bemerken, kaum wahrgenommen hat) und die Unbildung eines weitestgehend, desillusionierten Publikums, bestätigt die Künstler eher noch, Qualität durch wiedererkennbare (im Sinne des Labelkultes) Quantität zu ersetzen.

Diese Methoden der Bewertung, das Konsumverhalten von Sammlern und Auftraggebern und gehorsame Ankäufe durch Museen, tragen zu den allgegenwärtigen Verkommenheiten in den Bereichen der Kunst erheblich bei.

Beharrlich werden an Kunsthochschulen und allgemeinbildenden Schulen Methoden zur Bildproduktion vermittelt, die nichts, aber auch gar nichts mit den Ursprüngen des künstlerischen Handwerks zu tun haben. Noch weiter gehen heutige Lehranstalten, indem sie ihren Studenten und Schülern sämtliche Mittel freistellen. Alles Erfindungen, die ausschließlich der Dekoration, teilweise der Bequemlichkeit und dem Effekt dienen, der allerdings heute mit künstlerischer Leistung gleichgesetzt wird; ein neuer Reflex wird mehr beachtet als die Aussage.

Einem Künstler, der seine Produkte dem breiteren Publikum zeigt und sie verkaufen will, sollten Beherrschung klassischer, malerischer und zeichnerischer Mittel unabdingbare Voraussetzung sein. Er muß sie vollkommen überblicken, um deren materialspezifische Eigenschaften sinnvoll für seinen Zweck verwerten zu können. Aber nicht zuletzt setzt dieser Anspruch ein urteilsfähiges Publikum voraus, welches Befähigung vom Künstler fordert.


1.Zwischenbemerkung

Ein Mensch, dessen inneres Bedürfnis es ist, vom künstlerischen Ruf ereilt zu werden, sollte sich zunächst die präpositionale Frage nach dem Warum? stellen. Welche Gründe bewegen ihn, einen Pinsel oder Meißel in die Hand zu nehmen, um sich künstlerisch zu äußern? Ist das, was er mitteilen möchte, für ihn oder seine Zielgruppe wichtig? Hat er die fünf Prozent Genie, die fünfzehn Prozent Talent und achtzig Prozent Beharrlichkeit? Warum will er sich überhaupt bildnerischer Aussagen bedienen? Kann er seinen Anspruch auf verständliche Weise formulieren?

Schlicht und einfach gesagt, er sollte sich fragen, ob er bereit ist, sich fehlendes handwerkliches Wissen zu erarbeiten; das Wollen allein reicht nicht aus. Naiv ein Malerwerkzeug in die Hand zu nehmen ist vermessen und learning by doing ist ein mühseliger Weg, mit vielen Enttäuschungen und Mißerfolgen, mit denen er sich und seine Umwelt quält.

Kann er sich diese Vorgaben und Fragen nicht eindeutig zugunsten der bildenden Kunst beantworten, sollte er vorbehaltlos auf Malerei oder Bildhauerei zum Vorteil von talentierteren Künstlern verzichten. Er sollte einen anderen Weg wählen, seinen Intentionen Gehör oder Abbild zu verschaffen. Er ist der Gesellschaft gegenüber geradezu verpflichtet, sie nicht mit seinen Darstellungen zu belästigen. Vielleicht sind Literatur, Musik, Schauspiel oder modernes Entertainment9), ihm entsprechendere Mittel.

Führen ihn allerdings seine Überlegungen definitiv zu dem Ergebnis, daß er sich nur über die eine der möglichen Ausdrucksmittel äußern kann, sollte er augenblicklich intensiv damit beginnen, sich mit den zur Ausführung notwendigen Handwerksgrundlagen zu beschäftigen. Er sollte sich freudig das Wissen seiner Zunft aneignen (wie hehr sich das anhört) und keine Angst haben, daß ihm durch diese Studien Zeit verloren geht.

Geht es ihm aber darum, dem Affen Kunstbetrieb Zucker zu geben, dann bitteschön als Entertainer und nicht im Mantel des, ach so sensiblen Artisten, der, sich seines bescheidenen Könnens bewußt, nur darauf bedacht ist, seine Mängel zu verbergen. Er wird schließlich seine ganze Kraft darauf verwenden, seine Unfähigkeit zum Maßstab machen und dafür bis zur Selbstverleugnung kämpfen. Das wird einen intelligenten Menschen früher oder später psychisch verwüsten.

Deshalb erleben wir heute, daß viele dieser unerträglichen Produzenten und Selbstdarsteller, auf dem sehr schmalen Grat zwischen Scharlatanerie und Künstlertum wandeln. Für die Gesellschaft sogar manchmal erkennbar augenzwinkernd oder Vergebung heischend, bewegen sie sich zwischen hochlobenden Besprechungen ihrer Pseudokunst und der eigenen Erkenntnis, ein Täuscher zu sein. Meist entwickeln sich bei diesen Künstlern, bedingt durch Verunsicherungen, überspitzt egomanische Verhaltensweisen (Kritiker, Kunsthistoriker und Journalisten nicht ausgenommen).

Für heutige Künstler, scheinen diese Verhaltensweisen, kommerziell bedingte, aber notwendige Gebote zu sein.

Die Ergebnisse dieser Unsicherheiten und Unfähigkeiten verstopfen Kunstzeitschriften, Museen, Galerien, Büros, Sitzungssäle, Schalterhallen von Banken, Klamotten-Boutiquen, Friseurgeschäfte (bzw. Hair-Stylisten) und Wartezimmer von Anwälten und Ärzten. Selbst vor Krankenhausfluren machen diese Fehlentwicklungen nicht halt.

Sie verstopfen gleicherweise die Köpfe von Kunstliebhabern; besonders beeinträchtigen sie den Verstand derjenigen, die sich für Avantgardisten halten. Selbstüberschätzung10) von Produzenten, Negation und Verachtung aller Grundregeln, wie die kritiklose Konsumbereitschaft (in allen Bereichen der darstellenden und reproduzierenden Künste) feiern heute ihre traurigen Urstände.

Weiteres Lamentieren, wozu sich Gründe in großer Anzahl fänden, würde ich gerne vermeiden, um so dem möglichen Vorwurf zu begegnen, nur ein erfolgloser Nörgler zu sein.


...und so weiter

Seine Schwächen kann ein zeitgenössischer Künstler heute besonders gut verbergen. Unsere Gesellschaft macht es ihm gar zu leicht. Ohne deren Forderung nach Qualität (vorausgesetzt sie ahnen wenigstens, was das ist), verkommen die Produkte auf dem untersten Level des Metiers.

Diese, hilflos im experimentellen Stadium dümpelnden Machwerke, gleichen eher der Bastelarbeit eines unbegabten, aber überaus stolzen Heimwerkers, als der gekonnten Arbeit eines traditionell arbeitenden Künstlers.

Wenn eine Bildidee vorhanden ist, sollte sie einen Weg zum Menschen finden. Wenn dieser Weg mangelhaft gepflastert oder ungenügend vorbereitet ist, erreicht ein Kunstwerk letztendlich nur bruchstückhaft den Konsumenten.

Neuerdings produziert ein Künstler eine unvollkommene, oftmals dem schnelleren, materialbedingten Verfall ausgesetzte Arbeit. Er liefert mehr Schein als Sein. Er betrügt auf seine Art die Verbraucher, Betrachter und Käufer. Nachbesserungen oder Aufhalten des Verfalls überläßt er Restauratoren und Wissenschaftlern. Schäden werden bei modernen Kunstwerken nicht erst nach Jahrhunderten auftreten, wie bei den Alten Meistern, sondern nach wenigen Jahren, oftmals nach Monaten oder Tagen12).

Wem also nützt eine wunderbare Idee, ohne sinnvollen Einsatz des bestgeeignetsten Materials, um sie dauerhaft zu verwirklichen? Man kann diese Frage natürlich umgekehrt stellen; wem nützt eine perfekte handwerkliche Arbeit, wenn eine Idee banal ist?

Selbstverständlich plädiere ich nicht vorbehaltlos für die Maltechniken vergangener Jahrhunderte, nur weil sie alt sind - zweifellos sind auch in früheren Jahrhunderten gravierende Fehler gemacht worden. Man denke an den unsinnigen, oft pastosen Auftrag von Asphaltfarbe in unteren Malschichten (z.B. A.Menzel), Kanadabalsam oder kaum trocknende Öle als Malmittel. Sogar zerstoßene Mumienteile13) dienten den Malern (z.B. A.Böcklin) als Pigment. (Übrigens eine wunderbare Lasurfarbe!)

Die Konsistenz der Farben und Haltbarkeit der Gemälde ist durch fehlgeschlagene Versuche nicht besser geworden. Es gibt heute, dank intensiver Bemühungen der Industrie, in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten, moderne Malmittel, die sachgerecht verwendet, hervorragende materialtechnische Eigenschaften haben.

Das besagt aber noch lange nicht, daß ein Maler jedes von der Farbenindustrie angebotene Medium verwenden sollte; es entbindet ihn selbstredend nicht von der Pflicht, sich um Inhaltsstoffe und Materialbeschaffenheit der angebotenen Produkte zu kümmern und durch Experimente oder bereits publizierte Erfahrungsberichte, herauszufinden, welches Produkt seinen Intentionen am nahesten kommt.

Künstler sollten sich frühzeitig Gedanken machen, welche Bildträger, auf unterschiedliche Medien, wie reagieren. Vertragen sich Pigmente und Bindemittel untereinander? Wie reibt man Farbe aus entsprechenden Pigmenten an (wenn man nicht fabrikmäßig produzierte Farben verwenden will), mit welchem Bindemittel, für welchen Bildträger wie etwa Leinwand, Holz, Papier oder anderen modernen Bildträgern? Wie und mit welchen Hilfsmitteln wird die Farbe aufgetragen? (Traditionell arbeitet ein Maler mit Pinseln14), aber heute ist jedes Hilfsmittel recht).

Kann das Kunstprodukt den Anforderungen des Käufers hinsichtlich seiner Haltbarkeit gerecht werden? Es stellen sich schließlich weitere Fragen nach Schutzmaßnahmen gegen umweltbedingte negative Einflüsse (Firnis, richtige Rahmung, Beleuchtung, Hängung oder Lagerung, etc.). Welche Techniken sind geeignet, die Intentionen des Künstlers so wiederzugeben, daß sie einander ergänzend unterstützen?

Diese primären15) Fragen sind unabdingbar. Klassische Techniken sind für einen verantwortlich denkenden Künstler einfach anzuwenden; mühsam erscheinen sie Scharlatanen. Ohne dieses Wissen um technische Details wird letzten Endes die Vermittlung einer Bildidee Stümperei bleiben.

Der Künstler muß die Grundlagen perfekt beherrschen; sie sollten ihm in Fleisch und Blut übergegangen sein. Der richtige Umgang mit Handwerkszeug darf ihm keine Mühe bereiten. Er darf keine Gedanken mehr an das Wie verschwenden, was immer er darzustellen beabsichtigt. Nur so kann er sich auf seine Ideen und Aussagen konzentrieren, sich dann erst wirklich frei entfalten.

Die Beherrschung des Handwerks, das zeigen die Blicke über den Tellerrand der Kunst hinaus, sind nicht Hemmschuh, sondern Grundlage jeder schöpferischen Idee - nicht Negation von Erfahrungen früherer Generationen, sondern Nutzung und Weiterentwicklung bereits vorhandener Erkenntnisse. Die Verwendung bestehenden Grundwissens und das Streben nach Vervollkommnung des Existierenden sind notwendig - durch Entwicklung resistenterer Produkte und damit einhergehende Rückbesinnung des Künstlers auf handwerkliche Erfahrungen früherer Generationen.

Diese Präliminarien sollten aber nicht im Vordergrund stehen, sondern als eine der wichtigsten Komponenten beim Schöpfungsprozeß beachtet werden.

Wie lächerlich dünkelhaft erscheinen diejenigen neueren kunstkritischen Auslegungen, die ausschließlich dem Wollen, der Inspiration eines Produzenten oder der, durch Kritiker insinuierten, Aussage eines Kunstwerkes Glauben zu schenken. Ausführung sei Nebensache, sagen seit der Jahrhundertwende die Auguren der Kunstpolitik. Das ist grober Unfug.

Aber warum werden offensichtliche Mängel durch hahnebüchene Interpretationen und Zuordnungen schöngeredet?

Die expressionistischen Künstlergruppen Der blaue Reiter, Brücke, Pathetiker etc. bedienten sich einer Malweise, die (mit einigen Ausnahmen) nicht mehr im Entferntesten an das erinnern, was sie möglicherweise während ihres Studiums an Maltechnik lernten.

Statt diese Malerei als Zwischenstadium, als Skizzen zu auszuführenden Gemälden zu betrachten, hat man sie bedauerlicherweise als Endprodukt und damit als fertige Kunstwerke anerkannt. Damit wurde allen anderen Scharlatanen der Weg zum Erfolg geöffnet. Wenn man mir jetzt entgegenhält, daß sie einer neuen Zeit durch Expressivität , die ja nur in statu nascendi existieren kann, Ausdruck verleihen wollten, so erinnere ich nur an Künstler der Romanik und Maler wie Greco, Tintoretto oder Tiepolo, die außerordentlich expressive Werke schufen, ohne handwerkliche Bedingungen zu vernachlässigen.

Heutige Künstler, wie etwa die Jungen Wilden machen sich die in unseren Köpfen festsitzende Ansicht zunutze und produzieren Bewährtes, Altbekanntes, Expressives, auf keinen Fall etwas wirklich Neues. An sich wären Variationen nicht schlimm, wenn man denn hin und wieder die Kunst vergangener Zeiten als Vergleich heranziehen würde. Sie flüchten sich in Unsagbares (siehe Walden), weil sie nichts mehr zu sagen haben.

Leider verlassen heute scharenweise praxisferne Theoretiker und kalte Dogmatiker, aufgewachsen in einer wertefreien Gesellschaft, verbildet von liberalen16) Opportunisten, die Kunstschulen und Universitäten. Das dort vermittelte Wissen läßt kaum individuelles Nachdenken zu. Kunsthistoriker, die augenscheinlich das Handwerk gering schätzen, muß man für folgenschwere Entwicklungen mitverantwortlich machen. Wahrscheinlich findet man kaum einen Hochschulprofessor, der sich gegen festgefügte Meinungen und in der Kunstgeschichte verankerte Kunstdefinitionen auflehnt.

Das Schweigen zu erkannten oder das Dulden erkannter Fehleinschätzungen, die Mißachtung kunstgeschichtlicher und handwerklicher Grundlagen, verschaffen der Überzahl der Professoren und Dozenten, die wunderbare Gelegenheit, eingedenk ihrer armseligen Fähigkeiten, Mittelmaß17) mit Mittelmaß zu beurteilen und die Ergebnisse ihrer fadenscheinigen Schlußfolgerungen allen kommenden Generationen in die Wiege zu legen.

Die Folgen dieser unerträglichen, von unserer Gesellschaft bedenkenlos übernommenen Lehren, dieser meist auf kurzfristige Wirkung zielenden und auf unsere reizüberflutete Zeit zugeschnittenen Kunstansichten, sind heute als Quintessenz der Kunst eines Jahrhunderts, in allen Museen und Sammlungen zu besichtigen.


Technik ist Mittel zum Zweck

Wenn Sie jetzt nicht weiterlesen wollen, gehen Sie zurück zur Technikseite

Diese Überschrift ist kein Widerspruch zum vorangegangenen Kapitel. Technische Fertigkeiten sind wichtige Voraussetzungen künstlerischer Äußerungen, sie sind keinesfalls Selbstzweck. Die von mir so explizit geforderte, dem Bildaufbau und der Haltbarkeit dienende Methode, sollte niemals in den Vordergrund treten, sie darf das Bildthema niemals überlagern, sie muß entschieden hinter die Bildaussage zurücktreten - trotzdem muß sie Grundlage aller schöpferischen Tätigkeiten bleiben.

In Ausstellungen, die traditionell hergestellte Kunst zeigen, hört man vom Publikum gelegentlich: "Wie ist das gemacht, welche Technik verwendet der Künstler?" Einerseits ärgert mich diese Frage, andererseits freue ich mich (verhalten) über eine aktive Reaktion auf ein Kunstwerk. Der bildungsbeflissene Bürger erwartet selbstverständlich eine Antwort auf seine, oft spontan gestellte Frage, die er so erst gar nicht stellen dürfte. Warum nicht? Nicht dem Herstellungsprozeß, sondern der Aussage müßte er Erstrangigkeit einräumen!

Warum scheint es so wichtig, nach einem Verfahren zu fragen, wenn ein Kunstwerk, selbst für einen Laien erkennbar, mit traditionellen Mitteln hergestellt wurde? Darf man denn von einem Werk der Kunst nicht erwarten, daß dieses selbstverständlich immer makellos hergestellt wird? Oder ist die Gewöhnung an moderne Kunst-Abfallprodukte so groß, daß traditionelle Verarbeitungsweisen und Ausdrucksmittel, bei Konsumenten diese (an sich überflüssige) Frage unmittelbar provoziert? Warum stellt man diese Frage nicht dem avantgardistischen, erfindungsreichen Installationskünstler, oder einem abstrakten Kleckser ? (Erfreulicherweise hat Wilhelm Busch dieses Wort schon einmal gebraucht)

Hier will ich schnell und ohne nachzudenken, eine Antwort geben. Er hat keine Technik, also taucht die Frage danach dort nie auf. So einfach ist das. Losgelöst von der ihn scheinbar behindernden Technik, kann er sich demzufolge voll entfalten und bietet dem Kunstfreund endlich das, wovon beide am meisten verstehen. Entertainment, Augenwischerei und Scheinkunst.

Vor einem altmeisterlich hergestellten modernen Kunstwerk hat ein Kunstfreund möglicherweise ähnliche Empfindungen, wie er sie in einer Pinakothek18) vor älteren Gemälden erlebte.

Staunend stand er dort vor den Kunstwerken der Alten Meister, deren Aussagekraft er bewunderte. Merkwürdigerweise ist ihm da nicht in den Sinn gekommen, zuerst nach der technischen Ausführung zu fragen. Er setzt sie als selbstverständlich voraus. Warum also stellt er diese Frage vor modernen Kunstwerken? Erwartet er von seiner Erkundung umfangreicheren Aufschluß über seine Sinneswahrnehmungen? Genügt ihm die Darstellung nicht? Oder kann der Mensch von heute den Sinngehalt und die Wirkung eines Werkes nur über Technik und Bildaufbau definieren?

Ein Künstler fürchtet die Frage nach der Technik, so, als sei ein Kunstwerk durch Wissen um die (selbstverständlich erlernbaren) Handfertigkeiten zu erschließen.

Er erwartet als Primärreaktion die immaterielle Auseinandersetzung mit seinem Produkt. Was Kunst ist, und zu wievielen Prozentteilen die Technik Anteil hat, wird ein Künstler ohnehin nicht erklären können und wollen.

Gerne will ich dem zeitgenössischen Betrachter konzedieren, daß er sich seiner Reaktion nicht bewußt ist, er gedankenlos unserer Zeit gemäß, dem Trugschluß verfällt, man müsse und könne alle ungewöhnlichen und nicht materiell faßbaren Dinge, wie eben moderne Kunstwerke, rational und physikalisch erklären und dadurch verstehen.

Wenn ich diese untauglichen Verhaltensweisen betrachte, gelange ich zu dem Ergebnis, sicherlich werden meine Vorurteile bestätigt, daß unsere heutigen Kunstliebhaber nicht bereit sind, eigene Denkprozesse in Gang zu setzen.

Sie nehmen produktbezogenes Können, zumindest in den Bereichen der Bildenden19) Kunst, nicht mehr als Selbstverständlichkeit hin. Sie reagieren nicht unbefangen und selbstkritisch, erst recht nicht unbeeinflußt, nur auf die erkennbar formulierte Aussage. Sie reflektieren nicht mehr das Gesehene, nur das Vermutete. (Vermutungen, wenn man diesem Wort etymologisch das Verb wähnen, beiordnet, haben etwas mit Wahn zu tun). Es bleibt dem Betrachter überlassen, in ein Werk, ohne eindeutige Aussage, etwas hineinzudeuten, was ausschließlich seinem eigenen Wissens- und Geisteszustand entspricht, aber nicht dem des Künstlers. Sie, die Betrachter, rezipieren nicht das Kunstwerk als Vermittler, sondern sind aufgefordert, auch noch die eigentliche Arbeit des Artisten zu übernehmen. Sie sind somit mittelbare Produzenten und Verbraucher in einer Person.

Alleingelassen in dieser Position fragt ein Mensch stets nach der Technik, sie möge ihm doch helfen, ein Kunstwerk zu verstehen. Alle anderen Fragen mußte er sich schließlich selbst beantworten. Da wird man doch 'mal fragen dürfen!?

Das Sehen und die Sensibilisierung der Sinne, mithin die Aufnahmefähigkeiten der Betrachter sind zweifellos nicht geschult. Die Sinne vieler Konsumenten sind abgestumpft, sie sind verschüttet, oder schlimmstenfalls, vollkommen verloren gegangen.

Das ist heute nicht ungewöhnlich, bei massiven Belastungen des Empfindungsvermögens durch Eyecatcher, durch aggressivste Augenreizungen vieler unterschiedlicher Medien und der Werbung im Besonderen. Das ist für mich keine Entschuldigung. Diejenigen, die Betroffenheit und Sensibilität mit dem Löffel gefressen haben wollen, könnten mehr zu ihrer Persönlichkeitsstruktur beitragen, indem sie nicht nachdenken lassen, sondern eigenverantwortlich einem Kunstwerk gegenüber Stellung beziehen.

Den Forschungsergebnissen der Scientologie (mit diesem Begriff ist keineswegs die Organisation gemeint) durch die den Menschen vermittelt wird, sie könnten durch Nutzung neuester Techniken auf naturwissenschaftlichen Gebieten einen höheren Grad der Bildung20) im (weitesten Sinne Einbildung), der Empfindung, also Aufnahmefähigkeit und des Wissens erlangen, darf man nicht trauen.

Diese Entdeckungen taugen am wenigsten, das Sehen, Erkennen und Urteilen zu erlernen. Scheinbarkeit der Aussage eines Kunstwerkes genügen nicht für Einsichten und Erkenntnisse. Die Fähigkeit zum schöpferisch, zielgerichteten Nachdenken fehlt vielen Menschen. Und wenn ich ihnen diese Befähigung doch nicht vollkommen absprechen will, so unterstelle ich doch der Mehrheit, der für gebildet gehaltenen Menschen, Bequemlichkeit, ihr Urteilsvermögen praktisch zu nutzen.

Wie kann man aber bequem sein im Denken, wenn es doch darum geht, eine der ureigensten menschlichen Anlagen zu befriedigen? Zur Erfüllung der hier nicht näher zu erläuternden Genüsse, wie Essen, Trinken, Schlafen etc., gehört, und das wird oftmals vergessen, ebenso der jedem Menschen Gewinn bringende, individuelle Denkprozeß. Angeblich21) ist es doch gerade er, welcher uns vom Tier unterscheidet, worauf der Mensch, vermessen genug, so stolz ist - also warum nutzen wir diesen Verstand so wenig ?

Die Schlichtheit, mit der heute unsere geistigen Potenzen beansprucht werden, muß zu einer Stagnation geistiger Beweglichkeit führen. (Die besten Beispiele hierfür sind die Produkte, die uns in den Fernsehprogrammen angeboten werden) Kann man sich aus dieser Lethargie von selbst nicht befreien, verblödet man vollkommen.

Das Vertrauen in die heutige Kunstgeschichtsschreibung und das scheinbare Wissen um technische Grundlagen macht diese Konsumenten zu gehorsamen Opfern des Kunstmarktes. Zugunsten einer allgegenwärtigen Wissenschaftsgläubigkeit verzichten diese Leichtgläubigen auf alle eigenkreativen Gedanken.

Sie vertrauen phlegmatisch denen, die scheinbar Wissen und Macht besitzen. Das gilt insbesondere für die Bereiche der bildenden Künste. Mit einem blind-gläubig adaptierten Scheinwissen, und im Vertrauen auf die in der Schule erlernte Kunstgeschichtsschreibung verstehen sie sich als geistige Elite. Nunmehr wissend, vermuten sie sich näher an den für das Verstehen von Kunst notwendigen Grundlagen.

Da den Menschen heute, in fast allen pädagogischen Bereichen von Schule und Universität, die entschiedene Notwendigkeit handwerklicher Grundlagen zur Ausübung ihres Berufszieles, in unserem Fall der Malerei, nicht als Selbstverständlichkeit eingeschärft wird, werden Fragen nach Technik nicht aussterben. Diese Fragen sind nicht wirklich hilfreich, um näher in die Intentionen eines Künstlers zu schlüpfen, um damit in die Bereiche des Kunstverständnisses vorstoßen zu können, die doch nicht wissenschaftlich, sondern nur subjektiv durch erkennbare Darstellung und kreative geistige Tätigkeit des Betrachters erklärbar sind.

Diese geschilderten Verhaltensweisen haben nichts, aber gar nichts mit dem Erleben/Ersehen von Kunst zu tun. Daß dem Künstler handwerkliches Geschick (vorausgesetzt er beherrscht es) nur Mittel, aber wichtige Grundlage zum eigentlichen Zweck ist und seine kreative Erfindung, frei vom Wissen um deren Herstellungsart, durch das Publikum immateriell erlebt werden soll, muß ständig wiederholt werden.

Das Erlebnis Kunst findet im Kopf des Betrachters statt. Mitbringen muß er seine Erlebnisbereitschaft, wozu das unvoreingenommene Nachdenken gehört. Der Mensch darf sich nicht, wie auf anderen Gebieten des Konsums bereits obligat, obendrein zum gedankenlosen Kunstverbraucher degradieren lassen.

Erstaunlich sind folgende Beobachtungen, die jeder für sich machen kann. Kaum werden in einer Ausstellung ungegenständliche Gemälde oder Skulpturen gezeigt, deren Entstehungsprozesse für den Rezipienten scheinbar nachvollziehbar sind, ergeben sich zwischen Künstler, beziehungsweise Kunstwerken und den Betrachtern augenzwinkernde Akzeptanzen zu einer Technik, die keine ist.

Der Entstehungsprozeß und die bescheidene Machart scheint den Rezipienten vertraut - was ihnen leicht herstellbar erscheint, was sie nachvollziehen können, wirft keine Fragen auf. Erst recht nicht bei Kunstobjekten, die zwar für die Betrachter unverständlich, jedoch aus vertrauten Gegenständen bestehen.

Aus Produkten des alltäglichen Lebens komponierte Kunststücke verschaffen ihm ein déjà-vu-Erlebnis. So hat er selbst in der Schule gemalt, collagiert und gebastelt. Er glaubt mit seiner Vorbildung zu wissen, wie man Kunstwerke herstellt. Zudem kennen wir alle den Spruch: Das kann auch meine Tochter, mein kleiner Sohn oder ein Affe. Sie, die Rezipienten, fühlen sich sicher und mit dem Produzenten in einer Hinsicht zumindest auf gleicher Stufe. Die Frage nach der Technik scheint überflüssig.

Mit einiger Sicherheit kann ich behaupten, daß dieses Verhalten ein Grund dafür ist, daß heute so viele Menschen glauben, daß jeder Kunst machen könne. Und zwar nach der einfachen Formel: Alles ist Kunst, was machbar ist. Alle machen Kunst, ist das nicht wunderbar?

Abweichend, doch meiner Meinung nach natürlicher, reagieren infantile Erwachsene und Kinder. Sie kommen beim Betrachten gleicher Ausstellungsobjekte zu vollkommen anderen (meist präziseren) Schlüssen und Ergebnissen, als sogenannte gebildete und belesene Menschen.

Sie können, wenn man Ihnen (außerhalb von Museen und Galerien) die anerzogene Ehrfurcht vor einem beliebigen Kunstwerk nimmt, genau schildern, was sie sehen. Was ihnen technisch einfach und nachvollziehbar scheint, können und wollen sie nicht als Kunst akzeptieren. Da diese Menschen in einem durch Können (im Sinne von erworbenen handwerklichen Fähigkeiten) geprägten und darauf reduzierten Umfeld leben, beurteilen Sie verständlicherweise auch Kunst mit diesen, in ihrer Arbeitswelt geltenden Maßstäben. Kunst ist für sie ein wenig Kunststück, bewundernswert nur, wenn sie glauben, es nicht mit ihren Fähigkeiten herstellen zu können. Wenn überdies die Darstellung eine eindeutige, allgemeinverständliche Aussage nicht zuläßt, provozieren diese unverbildeten Sichtweisen geradezu die unausrottbaren, aber bei den angebotenen Kunstwerken, durchaus verständlichen Fragen: "Was hat sich der Künstler dabei gedacht, warum muß man so etwas Kunst nennen?"22) Und Antworten: "Das ist doch nur eine Suppenkiste, ein Stück verbogenes Eisen, schimmelnde Schokolade!"

Eine kleine eingeschobene Geschichte:
Zur Ehrenrettung dieser einfachen Gemüter noch folgende Begebenheit, welche mir vor einigen Tagen erzählt wurde: Durch Zufall betraten zwei Arbeiter eine Kunstgalerie, in der auf dem Boden ausgebreitet, mehrere verrostete Eisenträger, Eisenstücke etc. herumlagen. Kunstwerke. Diese wurden sogleich von den Besuchern als solche dadurch erkannt, daß sie in den Eisenstücken kleine Gesichter entdeckten. Einem anwesenden Besucher gegenüber, äußerten sie die Vermutung, daß es sich hierbei wohl um einen Entwurf für das Holocaust-Denkmal handeln könnte? Der Angesprochene, ein bedeutender Kunsthistoriker, geriet darob in Entzücken. Was doch Kunstwerke dieser Machart in einem einfachen Menschen auslösen konnten! Seine Welt war vollkommen in Ordnung.
Was ich damit sagen will?
Nun - überlegen Sie doch einmal selbst. Glauben Sie wirklich, diese (ich sage es mit Vorbehalt) ungebildeten Menschen hätten verrostetes Eisen auf ihrer Baustelle auch nur eines Blickes gewürdigt?

Wenn der Mensch von den angelernten, allgemeingültigen Seh- und Erklärungsschemata abweicht, sie hinter sich läßt, autonom eine Darstellung betrachtet, wird er selbstverständlich nicht mehr die Frage nach einer ihn verblüffenden, handwerklich stupenden Machart stellen müssen - er wird sie als selbstverständlich hinnehmen und auf dieses Sprungbrett zum Verständnis eines Kunstwerkes verzichten können. Er wird sich schließlich auf die Darstellung konzentrieren können.

Technik (und Farbe) soll die Form nicht überlagern, sie soll nicht so in den Vordergrund treten, daß der Betrachter darüber die eigentliche Bildaussage (sofern vorhanden) vernachlässigt.

Der Künstler darf der Routine keine Priorität einräumen. Beherrscht er seine Mittel, so wird er nie unredlich versuchen, sie in den Vordergrund zu stellen, um damit abzulenken.

Er wird nicht danach streben, mit den großen Meistern vergangener Jahrhunderte verglichen zu werden - nur weil sich die Herstellungsarten gleichen. Er wird die erworbenen Kenntnisse für seine Aussage nutzen und nicht als Selbstzweck mißbrauchen. Sie werden ihm so selbstverständlich sein, daß er selbst sie nicht mehr wahrnimmt - sie sind deshalb für ihn niemals diskussionswürdig.

Nachfragen wird er stets als unangenehm und lästig empfinden; abgesehen von Fragen bildungswilliger Schüler und interessierter Laien, die grundsätzliches Interesse am Thema Technische Grundlagen, als Mittel zum Zweck bekunden. Er wird diese Interessenten auf einschlägige Fachliteratur verweisen - siehe Literaturhinweise am Ende des Traktates.

Fragestellern23), die glauben, über die Erklärung von Maltechnik näher an die wesentliche Bildaussage zu kommen, wird dadurch nicht geholfen, daß man sie ihnen erklärt. Sie würden nach vielen Lehrstunden enttäuscht feststellen müssen, daß die Faszination eines Kunstwerkes durch sie selbst und vor allen Dingen durch Zwiesprache mit einer lesbaren Darstellung entsteht.
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Farbe darf die Form nicht zerstören

Farbe soll eine Bildaussage pointieren, soll Stimmung erzeugen, dramatisieren oder ausgleichen. Ausschließlich Farben, ohne sinngebende Formen, als verschieden große Kompositionselemente gegeneinandergesetzt, können, wenn sie gezielt eingesetzt werden, Empfindungen auslösen - soweit gut.

Es bleibt, wenn ein Kunstwerk nicht Fragment bleiben will, die Frage nach der eindeutigen, weil nur dann lesbaren Aussage. Ist diese nicht vorhanden, allein nur Eingeweihten verständlich, hat der Künstler sein Ziel verfehlt. Das Werk verdämmert als pure Dekoration. Das darf und kann nicht die Aufgabe eines Kunstwerkes sein. Diese Anforderungen an Dekorationselemente bewältigen die Berufsgruppen der Dekorateure, die Fachkräfte des Malerhandwerkes und gute Einrichtungshäuser erschöpfend und meist in hervorragender Weise.

Selbstverständlich soll ein Betrachter die auf die Psyche bezogene Wirkung von Farbe, die von einem Gemälde oder einer Plastik ausgeht, wahrnehmen und verinnerlichen. Das Werk verliert seine Existenzberechtigung als Kunstwerk, wenn sich Künstler ausschließlich auf die Wirkung von Farben kaprizieren.

Es gibt keine, ich betone, keine Argumente, diesen Klecksereien weitere Aussagen zu unterstellen, als diejenigen, daß es ausgewogene, dekorative oder zufällige Farbkleckse sind.

Farben sind Mittel und nicht Zweck. Die Farbe soll im Kunstwerk eine wichtige, dennoch nicht vordergründige Rolle spielen. Die Wirkung auf das Unterbewußtsein genügt. Farbe ist Hilfsmittel bei der Gestaltung einer Aussage. Ein Betrachter darf sie (wie die Technik) verstandesmäßig nicht als Prävalenz wahrnehmen. Es obliegt der Farbe, die Form zu unterstützen. Sie soll den gefühlsmäßigen Part einer Aussage übernehmen.

Ich glaube, daß es sich lohnen würde, darüber nachzudenken, wie oft wir gedankenlos von schönen Farben sprechen. Warum überhaupt belegen wir Farben mit Eigenschaften? Ich glaube nicht, daß wir mit Adjektiven der Farbe Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Es gibt keine schönen und häßlichen Farben, genausowenig wie es schöne oder häßliche Kunstwerke gibt. Lassen Sie mich ein alltägliches Beispiel nennen. Ein blauer Himmel in unseren Regionen ist schön, weil keine grauen, von uns häßlich genannten Regenwolken zu sehen sind, die unseren Spaziergang durch Regen oder Gewitter stören würden. Andererseits sind graue Wolken über einem Dürregebiet schön, weil sie den lang erwarteten Regen bringen werden. Die Farbe Grau löst in unseren Breiten eine Stimmung aus, die wir unterbewußt mit eintönigem, bedecktem Himmel verbinden. Ist grau deshalb nicht schön? Entwickeln wir aus diesen Gefühlen unsere Wertmaßstäbe? Warum gibt es so unterschiedliche Vorlieben für bestimmte Farben bei verschiedenen menschlichen Charakteren ?

Allerdings gibt es eine Reihe wirklich häßlicher Bezeichnungen für Farben, wie zum Beispiel: Schlumpfblau, schlamm, lila, flieder, giftgrün, mint, beige, erdbeer et cetera - die Modekataloge quellen über vor neuen und immer gräßlicher verunstalteten Farbschöpfungen.

Versuchen Sie, für diese Diskriminierungen die richtigen Farbbezeichnungen zu finden. Das nebenbei.

Warum wir Farben wahrnehmen, hat man naturwissenschaftlich nachgeprüft und ihre Bedeutung auf unsere Seele philosophisch zu erklären versucht24). Die Werbung mit ihrer gezielt verwendeten Farbwahl bezieht sich ausdrücklich auf die psychologische Wirkung von Farben als Mittler von Gefühlen und Stimmungen. Künstler wie Leonardo, Delacroix, Runge, Itten und viele andere haben sich über lange Zeit zugleich theoretisch mit der Bedeutung und Wirkung von Farbe beschäftigt.

Kunstwerke, die ausschließlich aus Farbflächen bzw. Farbklecksen bestehen, ermöglichen also den kunstsinnigen Betrachtern, respektive Käufern, einfachste Beurteilungsmaßstäbe. Farben sprechen seinen Verstand nicht an. Kunstwerke dieser Art verlangen, um erworben zu werden, nicht nach weiteren Auseinandersetzungen mit einem Thema. Sie brauchen nicht einmal die Unterstützung eines Kunstdidaktikers. Die Farben für sich sprechen ihre Sensualität an, einen Rest, des vermutlich in Rudimenten vorhandenen, ästhetischen25) Bewußtseins, oder das, was das Publikum für Ästhetik hält, beziehungsweise gelernt hat, als künstlerisch relevant zu benennen.

Bin ich ungerecht, wenn ich behaupte, daß der Großteil unserer sogenannten Kulturgesellschaft zu kaum mehr in der Lage ist ?

Es spielt bei dieser Betrachtungsweise überhaupt keine Rolle, ob diese Farben durch Linien getrennt und in Quadrate eingeteilt, ob sie verschmiert, heute verwendet man den Ausdruck gestisch, oder gespritzt sind. Ohne inhaltgebende Formen, reduzieren sich solcherart malträtierte Leinwände zu billigen Dekorationen; möglicherweise kontrapunktisch zu bereits beim Käufer vorhandenem Mobilar.

Der Erwerb dieser Kunstwerke ist für den Käufer problemlos. Die Kunsthändler können sich mit einem Hinweis auf die Farbenpracht jegliche weiteren Argumentationen ersparen. Die Käufer können ihre Erwerbung, mit einem Hinweis auf das nun gleichermaßen künstlerisch gestaltete Umfeld ihres Alessi-Haushaltes, begründen. Verständliche Erklärungen, die über den sensus communis hinausgehen, müssen nicht mehr gegeben werden, wenn sich der Künstler purer Kleckserei, auch Tachismus genannt, hingibt und vom Konsumenten nichts weiter als stimmige Dekoration gefordert wird.

Diese Malereien sprechen den Bauch, nicht mehr den Kopf an. Wie die eye-catcher in der Werbung.

Natürlich wissen die meisten dieser Kunstproduzenten, genügen Farbspritzer nicht, sie als Kunstwerke überzeugend auf dem Markt zu plazieren. Hier hakt der Kritiker26) ein, hier kann er seine Befähigung beweisen, die er durch Studien bei unvermögenden, modernen Professoren erworben hat. Er kann sein an Universitäten angelerntes kunsttheoretisches Wissen den Menschen weitergeben. Er kann seine darauf aufbauenden, eigenen Erkenntnisse ausbreiten, sich seine Existenzberechtigung innerhalb der Kulturszene erschreiben und dadurch sein Dasein rechtfertigen.

Um diesen Beruf auszuüben, bedarf es geeigneter Vorlagen, woran er seine Fabulierkunst versuchen kann. Auf dem Feld der bunten Kunstprodukte kann er heute mehr denn je ernten, was Dezennien vor ihm die Entdecker der Mittelmäßigkeit gesät haben.

Weil sie kein Kunstwerk mehr zustande bringen, erklären sie einfach das Medium Farbe zum Inhalt und wesentlichen Sinn. Damit haben Künstler und deren Förderer ihre handwerkliche und geistige Kapitulation unterschrieben. Gleichwohl gibt es viele Teilaspekte bei einem Kunstwerk.

Jeder durchschnittliche Kunstkäufer kann sich, fragt man ihn nach Entscheidungskriterien für ein erworbenes abstraktes Werk, eine belanglose Erklärung zurechtlegen. Entweder wählt er die durch Berufsexegeten angebotene, die er vielleicht aus dem Gedächtnis zitieren kann, oder eine der Nachfrage ausweichende Begründung mit dem Hinweis auf unbestimmbare Gefühle, die dieses Bild in ihm ausgelöst haben.

Ein Kinderspiel für ihn, mit dieser leichtfertigen Argumentation, eigenes Nachdenken zu umgehen, jede wirkliche Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk zu verdrängen und sich allgemeiner, folglich geschätzter Sehweise anzupassen - nur um nicht als Banause vor der allgewaltigen Möchtegern-Kunstelite dazustehen.

Es gibt Menschen, die sich für Kunst überhaupt nicht interessieren.

Selbst diese bedauernswerte Spezies kann zum Verbrauch von nonfigurativer, experimenteller Malerei verführt werden. Auch sie werden ein Kunstwerk erwerben - mit dem ihnen eigenen Gefühl für Dekoration und Zeitgeschmack27) und nach der Methode: Rot/gelb/blau geschmiert oder exakt kariert, entsprechen einer Stimmungslage / dem Charakter / der Situation - im ganz negativen, allerdings häufigsten Fall, dem Bezug der Couchgarnitur........

In jedem Fall sichert er sich mit dem Erwerb eines Werkes zeitgeistiger Machart einen kleinen Teil dessen, was heute, neben Design-Möbeln, Design-Hausrat und Design-Bekleidung zum zeitgemäßen Lebensstandard (Environment) gehört.

Daß diese bunte Tapetenkunst, wie übrigens alle anderen einfältigen und zu ihrer Zeit hoch gelobten Kitschprodukte der Vergangenheit, in vermutlich wenigen Jahrzehnten von der Allgemeinheit zu recht zum Kitsch erklärt wird, können wir in der Geschichte der Kunst und des Kunstgewerbes28) vieler Jahrhunderte verfolgen. Es tröstet mich leider wenig.


2.Zwischenbemerkung

Das Bedürfnis des Menschen, seine Wohnräume nicht nur mit nützlichem Mobilar und Geschirr, sondern auch Wände mit Farben, Symbolen oder Ornamenten zu schmücken, ist bekannt - es wurde bereits zu Steinzeiten und wird noch heute aus unterschiedlichen Gründen betrieben, mit teils fragwürdigen Ergebnissen.

Menschen der Antike29), zivilisiert oder nicht, haben die Wände ihrer Behausungen mit mehr oder weniger Aufwand geschmückt - vielleicht mit farbigen, der Natur entliehenen Ornamenten, stilisierenden, jedoch allgemeinverständlichen Szenen des täglichen Lebens oder mit Darstellungen ihrer Träume und Götter.

Man verweise mich jetzt bitte nicht auf künstlerisch anmutende, mit Ritzzeichen versehene Keramiken der Steinzeit oder auf, sich uns in gestalterischer Vollendung darbietende, Idol-Figuren der Kykladen. Das eine ist ein verzierter Gebrauchsgegenstand, das andere eine, religiösen Riten dienende Opferfigur oder ein Anbetungsgegenstand.

Philosophie, Bildung und Kunst der Antike schätzen wir, berufen uns auf deren Ästethik und Philosophie. Auf die Erfahrungen und Denkvorgaben von Philosophen und Künstlern dieser alten Kulturen bauen wir unsere Zivilisation auf.

Muß da nicht die Frage erlaubt sein, ob Menschen nicht längst in der Lage gewesen wären, zum Beispiel die Wendung Freiheit für die Kunst zu erfinden; eine Bezeichnung, die heute als Argumentationshilfe für jede noch so schwachsinnige Kunstäußerung herhalten muß, ebenso wie die Termini: Kunst darf alles, und vermessener, der erweiterte Kunstbegriff31). Die Fähigkeit, den Sinngehalt dieser Begriffe zu entschlüsseln, fehlt mir.

Ich muß hier die Frage stellen, ob die künstlerisch ambitionierten Menschen der Antike und der darauf folgenden Perioden nicht frei in ihrem künstlerischen Handeln waren; hat ihnen die Gesellschaft oder haben sie sich selbst Grenzen gesetzt - wie und von wem wurden diese Eingrenzungen definiert. Hat die Einbindung in einen gesellschaftlich festgefügten Rahmen der Kunst geschadet?

Nach heutiger Auffassung, sonst gäbe es keine neuen Begriffsformulierungen, waren Apelles, Phidias, Mantegna, Dürer und Rembrandt unfrei, gefangen in Konventionen und abhängig von mächtigen Auftraggebern. Damals, ohne den erweiterten Kunstbegriff aufgewachsen, haben sie doch Kunstwerke geschaffen, die wir bestaunen können. Übrigens hat man in der ehemaligen DDR und der UdSSR in den vergangenen Dezennien phantastische, und leider zugleich furchtbar kitschige, Kunstwerke geschaffen. Staatskunst eben, wie zu Zeiten Dürers, Mantegnas, Lippis etc. Kann man vielleicht künstlerische Freiheit erst wirklich erleben, wenn der Schöpfer eines Kunstwerkes sich als nützlicher Teil der Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Regeln begreift? Keine dieser Fragen kann ich mit Sicherheit beantworten. Beweisen möchte ich nichts. Andererseits sehe ich, daß Einbindungen in feste Strukturen, die Künstler nicht weniger gefordert und angespornt haben - im Gegenteil.

Bedingt durch die bescheidene Schar weniger, jedoch meist gebildeter Auftraggeber, und die Präliminarien während der Ausbildungszeit in Handwerksbetrieben, beschränkte sich die Zahl der daraus hervortretenden Künstler auf wenige Auserwählte. Diese haben nicht nur um Aufträge gerungen, sich angebiedert und intrigiert; sie haben sich, was weitaus wichtiger war, aneinander gemessen - und dies auf annähernd gleichem sachkundigem Niveau.

Keiner unserer heutigen Künstler, mit wenigen Ausnahmen, hätte die geringste Chance gehabt, in einem Atemzug mit diesen Künstlern genannt zu werden. Diese frühen Künstler haben die ihnen durch die Gesellschaft gestellten Pflichten erfüllt, also Können erworben. Innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens schöpften sie vorderhand alle technischen und gestalterischen Einfälle aus, um ideologische Grenzen, wenn es ihnen notwendig schien, zu überschreiten; gleichwohl basierend auf dem Fundament ihrer umfangreichen Ausbildung.

Dem seinerzeit obligaten Entstehungsprozeß eines Kunstwerkes, steht heute eine enthemmte, grenzenlose und nicht mehr meßbare Vielfalt von Äußerungen, Experimenten mit unsicherem Ausgang und fraglichen Schöpfungsprozessen32) jeglicher Art gegenüber.

Es gibt anscheinend keine Grenzen mehr, die zu überschreiten möglich wären. Wo man als Künstler keine Grenzen mehr erkennt, die auszufüllen sich lohnen, kann demnach die oft sichtbar verzweifelte Suche im Grenzenlosen nur mit Stagnation enden. Wo moderne Künstler ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden können, ihre Kunst schon im Stadium des Entstehens zum Endprodukt erklärt wird, bleibt allein Mittelmaß übrig.

Nach Auffassung vieler heutiger Kunstideologen waren die alten Künstler unfrei; gefangen in Konventionen und Verträgen, den Machteinflüssen von Fürsten und Kirche ausgesetzt.

Der Wunsch, in deren Einflußbereich als Handwerker zu überleben, konnte nicht der einzige Antrieb gewesen sein, so großartige Kunstwerke zu schaffen. Dagegen scheint heute der Ruf nach Freiheit der Kunst Priorität zu besitzen, gleichsam als Ersatz für eine nicht vorhandene, nicht gewünschte Bildaussage. Die Künstler empfanden sich, möglicherweise trotz innerer Widerstände, wenn auch mit besonderer Begabung ausgezeichnet, als Teil der Gesellschaft in der sie lebten, der Gesellschaft, die ihre Handwerker schätzte, ausnutzte, bewachte oder verhätschelte, jedoch meist respektierte und achtete und wie heute noch, kleinlich und verzögert bezahlte33).

Ihre Darstellungen waren naturalistischer, nicht tachistischer Manier, wenn religiös, dann doch wenigstens die Götter vermenschlichend und dadurch begreifbar für die Masse. Wenn sie als Künstler gehalten waren, Taten, Portraits, Allegorien34) und Grabmale für ihre Auftraggeber zu gestalten, so malten und skulptierten sie dies nicht in einer, der damaligen Gesellschaft unzugänglichen, Art und Weise, sondern klar und verständlich. Farbkleckse allein auf einer Leinwand, hätten wohl damalige Auftraggeber mit Kerker bestraft, die Betrachter hätten die Werke mit Hohnlachen quittiert.

Und wie reagieren wir heute? In einem Gesellschaftsrahmen, dem man nachsagt, er sei liberal und großzügig? Wir geben uns heute nicht nur mit Klecksen zufrieden, wir tun so, als verstünden wir etwas davon; sind wir so bequem in unseren Ansprüchen geworden, daß wir nicht nachfragen, was man uns vorsetzt? Unterliegen wir dem gesellschaftlichen Zwang mit den Wölfen zu heulen oder ist es nur bequemes Verhalten?

Ist das der Preis der Freiheit der Kunst, für den der Konsument durch mitheulen zahlen soll?


Die Kunst ein Mysterium ?

Die Anforderungen, denen sich frühe Künstler und die sie tragende Gesellschaft stellten, waren auf Wechselbeziehungen begründet. Einerseits der Wunsch durch Darstellung zu verdeutlichen und auszulegen, Vorbild35) zu liefern, andererseits der Wunsch, diese Vorbildfunktionen zu erhalten und anzunehmen.

Warum ist die Masse seltener, die sogenannte geistige Elite heute eher bereit, Farbkleckse als Kunst zu akzeptieren?

Meine Erklärung ist einfach. Vergegenwärtigen wir uns die normalen menschlichen Verhaltensweisen über die Jahrtausende. Jede menschliche Gesellschaft hatte sich eine Existenzform gewählt, nach deren Riten und Regeln ein Zusammenleben möglich war. Dazu gehörten jederzeit Prediger, Weissager, Heilige, Medizinmänner, Schamanen, Diktatoren oder frei gewählte Personen einer Demokratie und deren Abarten. Alle diese gewählten oder bestimmten Figuren durften mit Duldung der Masse eine gewisse Macht ausüben. Die Menschen haben sich den Leitpersonen freiwillig in Demokratien, durch Druck in Diktaturen unterworfen. Eine Majorität ist erst zu regieren, das heißt man kann Macht erst ausüben, wenn diese Mehrheit in Unwissenheit gehalten wird, oder dieselbe sich durch Bequemlichkeit des Denkens und Handelns auszeichnet. Um jenen Zustand schmackhaft erscheinen zu lassen, muß der Masse, die meist nur theoretische, Aussicht auf Aufstieg in eine Art Führungsschicht eröffnet werden. Das gilt gleichartig für Positionen in der Politik, der Kunst und der Religion. Das ist in Demokratien heute nicht anders als in Diktaturen oder Monarchien.

Denken wir an die, nach dem Fortpflanzungs- und Erhaltungstrieb, wesentlichste menschliche Eigenschaft, Macht anzustreben und auszuüben. Die Menschen der Steinzeit, des Voraltertums, noch vor den alten orientalischen Kulturen, ließen sich ebenso von ihren Geisterbeschwörern und Medizinmännern blenden und verdummen, wie wir heute durch Religionen und deren Fetische. Je unverständlicher die Rituale und je abstrakter die Zeichen der Medizinmänner in geheimnisumwobenen Höhlen und an Kultstätten, desto gläubiger, ängstlicher, damit unterwürfiger verhielten die Menschen sich. Sie wurden leitbar gemacht, indem man sie bewußt in Unwissenheit hielt. Machtpositionen außerhalb militärischer Rangordnungen ließen sich nur durch religiöse oder legendenbildende Kulte aufbauen. Man schuf bewußt Glaubensgemeinschaften und Geheimbünde; diese wiederum konnten nur durch dumm gehaltene Gläubige existieren.

Es hat also allzeit Bestrebungen gegeben, die Mehrheit der Menschen von ihrer unvoreingenommen erlebten Realität zu entfremden.

Unverständlichkeit bei Kunstwerken zu erzeugen, bedeutet somit nichts anderes, als den gezielten Ausschluß der Mehrheit zu betreiben. Der Produzent und dessen Exeget ersetzen die Positionen der Heilsbringer und Propheten. Sie brauchen für Ihre unredlichen Zwecke die gläubige, dumme Masse. Dieses Prinzip zur Machterlangung, durch Schaffung von Mysterien und für die Majorität nicht mehr nachvollziehbaren Riten, bietet zugleich den in diesen Kreis aufgenommenen Auserwählten das Gefühl, zur Elite zu gehören, selbst direkt oder indirekt die Geschicke der Masse zu leiten.

Die Menschheit aufteilen in Wissende und Unwissende36), wie es Herwarth Walden deutlich am Anfang unseres Jahrhunderts formuliert hat, allerdings mit anderen Schlußfolgerungen. Dies war keine neue Erkenntnis, kein neues Anliegen, sondern der Rückgriff auf uralte Gesetze der Machtgesellschaft Mensch - Verhaltensgesetze, die noch in ferner Zukunft wirksam sein werden.

Durch Anerkennung dieser Maxime und mit unserer unsäglichen Mitläuferbereitschaft und Unterthanenmentalität, haben wir beigetragen, heute in einem Vakuum von künstlich erzeugter Grenzenlosigkeit zu schweben. Damit haben wir in unserem derzeitigen Leben wieder den Bildungs- und Verhaltensstand von Steinzeitmenschen erreicht, diesen vielleicht nie wirklich verlassen.

Eine verstärkte Rückkehr zu diesem Verhalten bemerken wir um die ersten Jahre der letzten Jahrhundertwende. Seit dieser Zeit gibt es wieder Heilsbringer und Medizinmänner in der Kunstwelt.

Das Versagen Kunstschaffender, etwas faßlich darzustellen, bewog sie, mit bequemen Abstraktionen37) und Farbkompositionen, ihr Unvermögen zu kaschieren. Sie taten dies, a) aus Unfähigkeit und Bequemlichkeit, b) bewußt und mit Vorausschau, die erstrebenswerte Machtstellung als Avantgardist einer neuen Kunst auszuüben, oder c), sie machten ihre Unzulänglichkeit einfach zum Standard.

Die fähigsten Protagonisten dieser neuen Entwicklung haben die Zeichen der Zeit erkannt. Sie haben leider auf ihr Können verzichtet und dafür lieber gute Geschäfte mit ihren Kunstwerken gemacht. In all diesen Fällen konnten sie sich sicher sein, trotz allen Unverständnisses seitens des Publikums, von ihm anerkannt zu werden, denn man wollte an sie glauben. Diese Verhaltensweisen gelten ebenso für die Gegenwart.

Die aufgeklärte Kunstgesellschaft will sich einfach nicht unterstellen lassen, nichts von Kunst zu verstehen, denn sie wurde ja von den Apologeten scheinbar in den Kreis der Wissenden und Gläubigen aufgenommen.

Derartige Reaktionen scheinen ein allgemeines Problem zu sein und sind auch in anderen Kulturbereichen als Ersatzreligionen, wie zum Beispiel dem Label- und Starkult anzutreffen. Wenn ein Künstler in einen Dialog mit seinem Publikum treten will, und das sollte er ausschließlich durch seine Werke, wie kann er das mit purer Dekoration oder durch die, nur wenigen Eingeweihten verständliche, Symbolik erreichen? Ein Eimer Farbe an der Wand38), mit einer netten Theorie, ein Klecks Butter im Filz, eine gefundene Plastik-Einkaufstüte, ein Schnitt in der Leinwand - ist das die Sprache eines Kunstwerkes?

Wir wissen natürlich, daß wir von der Realität des Kunstmarktes längst eingeholt wurden. Die schieren Unverschämtheiten, wie sie uns als Kunst angeboten werden, sind Alltag im Kunstgeschehen geworden. Siehe Jackson Pollock, Sam Francis, Morris Louis, Ives Klein, Lucio Fontana, Raffael Rheinsberg und zahllose weitere, deren Namen mir nicht aus der Tastatur fließen wollen.

Farben allein, abstrakte Kompositionen, pseudophilosophisch verpackte Ideen ohne verständliche Sinngebung, reichen nicht aus. Sie bleiben dürftig und sind entweder pure Dekorationen oder Gedankenspielereien.


Lernen, erkennen und beurteilen

Nicht, wie ein Kunstwerk interpretiert wird, sondern das, was auf einem Gemälde oder durch eine Skulptur dargestellt ist, macht Sinn. Nur das, was man erkennt, kann man individuell bewerten - nicht das, was man insinuiert. Für die Betrachtungsweise und Einschätzung39) eines zeitgenössischen Kunstwerkes sind nicht nur die Vergleichsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Stilen, Künstlern und Zeiten notwendig, sondern entscheidend ist ein eigenes, bewußt gebildetes Urteilsvermögen.
Sapere aude ! Wage es verständig zu sein, wage es, auf deinen Verstand zu hören, und danach zu handeln, dich vom Überkommenen und von fremder Meinung frei zu machen ! (Horaz, epist.II, 2, 40)

Diese Urteilsfähigkeit erhält man nicht als selbstverständliche Dreingabe vermöge Geburt und Herkunft, sondern man erwirbt sie durch Reflexion eigener Erfahrungen.

Betrachte ich die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, fällt mir auf, daß wir seit etwa vier Generationen, in modernen westlichen Museen, vorzugsweise die Vertreter zweier Gattungen Kunst sehen konnten; Expressionisten und ungegenständliche Malerei. Außerdem weitere, mit zahllosen Ismen belegte, meist im experimentellen Stadium verharrende und als Kunstwerke deklarierte Gegenstände nach 1945.

Deren Unterhaltungswert ist gigantisch. Sie sind amüsant bis überflüssig; darüber zu streiten endet meistens in dialektischem Für und Wider. Nie geht es dabei um Kunst. Diese Kontroversen um des Kaisers neue Kleider dienen allein der Befriedigung der Eitelkeit der Diskutanten.

Vernachlässigung erfuhren, weil nicht mehr fortschrittlich genug, die Kunstrichtungen, die sich traditioneller Maltechnik und allgemeinverständlicher Darstellung bedienten. Ebenfalls der Naturalismus, respektive Realismus und der Surrealismus, wobei der sogenannte Realismusbegriff, nach 1945 stark eingeschränkt, für teils politisierende, aber naturalistisch gemalte und gezeichnete Kunstwerke mit sozialkritischem Tenor40) verwendet wurde.

Wenn Sie bei aller moderner kunstwissenschaftlicher Indoktrination vergessen haben, daß es im zwanzigsten Jahrhundert, neben den oben genannten Kunstrichtungen, auch Kunstwerke gibt, die für den Betrachter lesbar, beziehungsweise verständlich sind, so sollten Sie sich dies wieder ins Gedächtnis rufen. Wenigstens um der Vergleiche mit moderner Kunst willen.

Nicht kurz und wahrhaftig nicht unbedeutend, sind die Intermezzi41) der Kunst, der von Kunsthistorikern so genannten Neuen Sachlichkeit der 20er bis 40er Jahre in Europa und Amerika.

Nicht vergessen darf man in diesem Zusammenhang, die motivisch, die Ideen des Nationalsozialismus verherrlichenden, teils fragwürdigen Kunstprodukte der Kunst des III. Reiches, als Gegenpol zur entarteten42) Kunst der zwanziger Jahre in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Den stalinistischen, pathetischen, idealisierenden Realismus vor, den Sozialistischen Realismus mit gleichem Tenor nach 1945, gab es in fast allen kommunistisch geprägten Gesellschaften43).

Dies ist ebenso Kunst - verständliche (für mich keine Vorliebe und Wertung). Es ist zu bemerken, daß diese angeführten Kunstrichtungen mit besonders kennzeichnenden Namen belegt werden, um sie, a) einzuordnen und katalogisierbar zu machen, b) an dem, früheren Jahrhunderten zugeordneten, malerischen Begriff Naturalismus vorbeizumogeln und c) nicht in Zusammenhang mit faschistischen Epochen in Italien und Deutschland zu bringen.

In den Museen hat der Kunstinteressierte zunächst nichts dergleichen gesehen. Als der Kunstmarkt die Werke der Neuen Sachlichkeit in den 60er Jahren entdeckte und später durch Hommagen feierte, erinnerten sich selbst einäugig, auf abstrakte Kunst fixierte Kunstinteressierte daran, daß es wohl einiges anderes gegeben haben mußte, als ausschließlich gegenstandslose Malerei. Für den kulturbewußten, interessierten Menschen, der nicht innerhalb eines künstlich initiierten, festgeschriebenen, letztlich lethargischen Kunststandards verbleiben wollte, boten sich bis weit in die 60er Jahre kaum andere Erfahrungsbereiche und Sichtweisen, als die der offiziellen Kunstpolitik in Museen. Das ist heute wenig anders, immer noch bescheiden, oft nur in Ansätzen verharrend, wenn nicht längst wieder durch Werke der Avantgardisten ersetzt.

Diese zur individuellen Meinungsbildung unbedingt notwendigen Informationen zu unterschiedlichen Darstellungsarten und Vorbildern sind dem Kunstinteressierten nicht verboten, allerdings auch nicht durch maßgebende Medien oder Kunstschriftsteller angeboten oder vermittelt worden. Und wenn doch, mit dem erhobenen fast drohenden, realiter ängstlichem Zeigefinger: "Du, Kunstbetrachter, komme ja nicht auf die Idee, das interessant zu finden, was Du ohne uns Interpreten verstehst!"

Schauen wir uns die Kunstwerke der beiden hoffentlich letzten europäischen diktatorischen Perioden an. Erst heute gibt es einige wenige, selten auf die künstlerische und handwerkliche Qualität eingehende, Publikationen darüber. In Museen werden wir Kunstwerke des deutschen Sprachraumes der Zeitperiode 1930 bis 1945 kaum finden; unsere Politiker haben in einer Art vorauseilendem Gehorsam, der "Gechichte" gegenüber, beschlossen, daß unsere liberale, demokratische Gesellschaft für Betrachtung und Wertung dieser Werke noch nicht reif genug, also weiterhin unmündig ist. Gerade so, als seien wir, das Publikum, unfähig, zwischen Blut-und-Boden-Kunst und politisch korrektem Naturalismus unterscheiden zu können.

Verweigern wir uns dieser Bevormundung! Betrachten wir die Schöpfungen dieser vergangenen Zeit, nachdem wir uns einige Kunstkataloge und Zeitschriften aus Bibliotheken beschafft haben, und werten sie ohne den politischen Hintergrund, vor dem sie entstanden sind. Wir werden sehr schnell feststellen, daß viele dieser Werke, Gemälde wie Skulpturen, von großer handwerklicher Qualität sind - ob uns nun die Darstellungen gefallen oder nicht.

Keiner unserer heutigen so hochgelobten progressiven Künstler wäre in der Lage, annähernd handwerklich so hervorragend hergestellte und in ihrer Aussage eindeutige, verständliche Kunstwerke zu produzieren.

Damit man mich mit dieser Aussage nicht in eine den Kulturfaschismus verherrlichende Ecke drängt, erkläre ich ausdrücklich, daß es mir nur um die eindeutige, verständliche Aussage geht, gleich welcher ideologischer Prägung.

Natürlich ist es nicht wünschenswert, den Künstler als Sprachrohr, einer wie immer gearteten Regierungsform, zu verwenden. Zweifellos ist heute der Mißbrauch von Künstlern und Einflußnahme auf Kulturarbeit ebenfalls kaum zu vermeiden. Man muß sich die von Staat und Wirtschaft unterstützten Kulturprojekte genau ansehen. Deren angeblich uneigennützige Unterstützung hat, wenn man genauer nachdenkt, nachfragt und nachsieht, geschickt getarnte wirtschaftliche und ideologische Hintergründe. Wir wissen, daß jede Führungsschicht einer Gesellschaft, ob demokratisch oder diktatorisch geprägt, nur die Kunstform, verstehbar oder nicht, duldet und protegiert, in deren Aura sie sich anschließend sonnen oder für Ihre subjektiv begründbaren Zwecke mißbrauchen44) kann.

Selbstverständlich dürfen wir unsere Augen nicht davor verschließen, daß die meisten Kunstwerke vergangener Zeiten, gerade menschenverachtender Epochen45), nicht ideologisch unbelastet, nur der Kunst wegen entstanden sind. Die ägyptische Kunst, die Kultur der Babylonier, das alexandrinische Zeitalter, die römische Kaiserzeit (Caligula, Nero?), die Kultgegenstände der altamerikanischen Völker in Südamerika, die borgianische Renaissance, das napoleonische Zeitalter oder der inquisitorische Katholizismus sind gute Beispiele für menschenverachtende Politik und Huldigungen an Regime und Religionen.

Trotz allem, oder vielleicht gerade deshalb, entstanden in deren Umfeld von uns heute bewunderte Kunstwerke. Wir können davon ausgehen, daß damalige Auftraggeber sicher darauf achteten, daß man ihnen nicht in die Suppe spuckte.

Ich wundere mich, wo heute der Aufschrei, der doch sonst so sensiblen Kulturgemeinde, vor machtverherrlichenden Werken in den Museen bleibt. Diese Werke wecken beim Betrachter erstaunlicherweise keine Empfindlichkeiten. Die heute so beliebte political correctness findet während des Genusses von Kunstwerken dieser Art nicht statt.

Keiner der Berufsbetroffenen schreit auf, obwohl sie doch sonst zu allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten nicht versäumen, mit Ihrem persönlich eingebrachten Leidenswillen, anderen Menschen Ihre korrekt eingebrachte "Wehret-den-Anfängen-Sensibilität" zu beweisen.

Stehen wir in den Museen vor politischer Einflußnahme der jeweiligen Herrscher, sicher Huldigung von Person oder sogar Herostratentum, oder stehen wir in den Museen staunend und adorierend vor Kunstwerken, deren politischen Sinngehalt wir uns bewußt nicht entschleiern, um den Anblick nur ästhetisch genießen zu können? Hat der gnädige Zeitschleier die Ideologie der Auftraggeber dieser Kunstwerke verwischt, gemildert oder verklärt? Ist es vielleicht gar nicht so wichtig, welche Ideologie einem Kunstwerk den Boden bereitet hat?

Einige dieser Fragen müssen wir stellen; wir werden jedoch durch Nachfragen zur Geschichte und Ergründung des Umfeldes, in dem die Kunstwerke entstanden, nur Teilantworten erhalten. Wir werden, indem wir Nachforschungen zur Geschichte eines Meisterwerkes anstellen und die Vita eines Künstlers zu ergründen versuchen, immer noch keine endgültige Antwort auf unsere Frage erhalten, warum uns ein Kunstwerk fasziniert. Allenfalls nähern können wir uns ihm.

Es ist selten, daß ein modernes Museum46), mithin eine öffentliche Institution, das ganze Spektrum der Kunst der letzten hundert Jahre als Vergleichsmöglichkeit anbietet.

Überwiegend entsprechen Museen mit ihrer Ausstellungspolitik den Forderungen des Kunsthandels, obwohl von Seiten der Sammlungsverwalter betont wird, die Wünsche des Publikums zu berücksichtigen. Diese hingegen kann man nur beachten, wenn man sich die Mühe macht, jene Bedürfnisse kennenzulernen. Das heißt ja noch lange nicht, ausschließlich dem Geschmack der leider auf nivelliertem untersten Bildungsniveau verharrendem Bürger nachzugeben. Immerhin sollte man ihm alle verfügbaren Bildungsmöglichkeiten anbieten. Ein Mensch, der wissen möchte, was in diesem Jahrhundert von Künstlern geschaffen wurde, muß einen erheblichen Aufwand betreiben, um sich einigermaßen in Museen über Stilrichtungen, Ismen und Maltechniken zu informieren; schwerlich findet der Suchende die Möglichkeit eines Vergleiches von Künstlern verschiedener Richtungen der gleichen Zeitspanne.

Es scheint so, als gäbe es nach Impressionismus und Expressionismus nur die Auswüchse der sogenannten Abstrakten und die Werke ihrer teils sklavisch zitierenden Nachfolger. Für die Zeit nach 1945 finden wir zahllose, sich ständig potenzierende Ismen, die an sich nicht erwähnenswert wären, prägten sie nicht Sichtweisen und das Qualitätsbewußtsein der Menschen unserer Tage.

Wir sehen deshalb in den Museen, die ja primär Bildungsinstitute und nicht Endlagerstätten für gehirnakrobatische Kunststückchen sein sollten, nur eine sehr subjektive Vorauswahl47). Subjektiv im Sinne von parteiisch. Wir sehen dort die Resultate der seit einhundert Jahren manipulierten48) und durch die Masse geduldeten Kunstpolitik, also moderne Kunstprodukte, die von geschmacksbildenden Kunsthistorikern zu Kunstwerken erklärt wurden.

Leider werden Werke der eher klassischen Malerei, also konservativer Darstellungsweise, undifferenziert als Negativbeispiel zum Vergleich mit modernster Kunst herangezogen. Die Betrachter sind schließlich durch diese Vergleiche so irritiert, daß ihnen alle handwerklich stupende, realistische, idealisierende oder phantastische Darstellung fragwürdig, fremd, veraltet, kunstlos antiquiert erscheint.

Der moderne Mensch wird sich aus diesem Grunde selten die ihm heute fremden Erscheinungsformen traditioneller Malerei erschließen wollen. Obwohl er sie vielleicht nur zu gerne, freilich ohne schlechtes Gewissen, genießen würde.

Die jedem Menschen immanente Empfindung und subjektive Genußbereitschaft wird verhöhnt und zerstört, sogar dessen eigene Urteilsfähigkeit in Zweifel gezogen und verworfen; nicht verboten oder verhindert durch körperliche Gewalt, sondern durch subtiles spötteln, Lächerlichmachung und durch apodiktisch sich äußernde Kunstrichter zerstört. Diese Richter über Kunst und Kultur scheuen nicht davor zurück, einer introvertierten und vielleicht nicht sprachgewandten Äußerung eines Kunstbetrachters, der zum Beispiel das Bild "Hüter des Tales" von Hans Thoma gesehen hat und dem es gefällt, faschistoides Gedankengut zu unterstellen.

Bekennt man sich zu einer mehr konservativ gestalteten, gar wiedererkennbaren Darstellung, muß ein Rezipient heute vermeiden, sich gewisser sprachlicher Termini vergangener faschistisch geprägter Jahre zu bedienen, um vor routinierter Haarspalterei moderner Kunstkritik bestehen zu können.

Dazu gehören Unworte wie: Schmierfinken, Scharlatane, entartet etc., Sie wissen schon, was ich meine. Sie, die Kunstpolitik, hat es mit ihrer Dialektik geschafft, daß man sich als Konsument für die eigenen Erkenntnisse und die daraus gezogenen Schlüsse entschuldigen, ja beweisen muß, kein Idiot und kein Kunst-Faschist zu sein. Naturalistisch gestaltete oder mit traditionellen Techniken hergestellte Kunstwerke, verbunden mit literarischer, manifester Aussage, sind nicht zeitgemäß, das heißt, sie sind für einen Betrachter ohne weitere Interpretierung plausibel. Diese verständlichen Kunstwerke könnten von unredlicher, gewöhnlicher, zeittypischer, innovativer Kunstproduktion ablenken.

Kunst ist einfach; da dem so ist, verkompliziert man sie, um sie politisch, im Sinne von berechnendem zielgerichtetem Verhalten, nutzbar für deren Partizipienten zu machen.

Ich sehe daran, daß es für die Ausbildung einer stabilen Persönlichkeit, für die Bildung eigener Meinungen und eigener Urteilsfähigkeit, außerordentlich wichtig ist, jede denkbare Vergleichsmöglichkeit in den Museen zu haben - ohne politische Vorsortierung und ohne die, den Kunstmarkt berücksichtigende, Interessenwahrung einiger weniger.

Der Künstler hat verlernt, will es vielleicht gar nicht mehr, seine nur ihm innewohnenden Gedanken und Fähigkeiten49), durch sein Produkt zu vermitteln. Und der Betrachter hat verlernt, die Darstellung zu lesen, das heißt, das zu erkennen, was er sieht. Er wird zum Entsorger einer vorgekauten und bereits voll verdauten Kunstproduktion degradiert, ohne daß er selbst den geringsten Einfluß auf das ihm vorgesetzte Gericht und dessen Rezeption gehabt hätte.

Hier muß ich, weil ich beim Leser Widerspruch und Unverständnis erwarte, folgendes anmerken: Wenn ich schreibe, daß ein Rezipient bedauerlicherweise keinen Einfluß auf ein zu produzierendes Kunstwerk hat, so hat das seine Richtigkeit - in dem Sinne, daß er nicht mehr fordert, sondern nur noch duldet. Leider hat er nichts anderes gelernt, weder in der Schule, noch durch heutige Kunst- und Kulturpolitik.

Von den politischen Geistesgrößen dieser Gesellschaft, die Vorbildfunktionen ausüben müssten, sollten, könnten, will ich nicht reden, sie sind das perfekte Zeitgeist-Abbild unserer Gesellschaft.

Der Künstler umgeht seine Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber dadurch, daß er die ganze Entscheidung, wie sein an sich unverständliches Objekt zu betrachten sei, in die Hände der Berufsexegeten gelegt hat. Bezieht der unvoreingenommene Betrachter eine positive oder eine negative Stellung, so bleibt, wie immer sein Urteil ausfallen mag, der "Schwarze Peter" bei ihm selbst. Die Kunstentscheider und die Kulturschickeria wird entweder sein positives Urteilsvermögen loben, das schmeichelt und erhebt den Betrachter, oder sein negatives Urteil mit dem Argument metzeln, daß er keinen Kunstverstand habe oder altmodisch sei. Wer gibt das gerne zu?

Macht der Mensch seinen Willen geltend, so fordert er vom Künstler ein ihm verständliches Werk. Was ist daran so schlimm, warum sollte ein Kunstwerk um als Kunstwerk zu gelten, unverständlich oder nur wenigen, angeblich Eingeweihten, verständlich sein?

Werk und Betrachter sind die Hauptakteure. Nicht das Wollen, sondern das Können ist unentbehrlich für die Existenz von Kunst. Entbehrlich in diesem Rahmen sind nur die Theoretiker.


Interaktion

Ich komme jetzt zu zwei weiteren Teilaspekten. Im Blickwinkel habe ich unsere interessierten Zeitgenossen. Am Schluß des letzten Kapitels habe ich mein Thema angedeutet. Es geht mir einerseits um die Aussagefähigkeit50) eines Kunstobjektes, andererseits um die Aufnahmebereitschaft des Rezipienten.

Von einem halbwegs gescheiten Betrachter muß ich unbedingt eigenes Entscheidungsvermögen beim Beurteilen eines Kunstwerkes erwarten können. Wie man diese Eigenschaft erwerben kann, habe ich im vorigen Kapitel vorsichtig angedeutet. Wichtig für einen Kunstliebhaber sind seine Einsichten und Fragen an seine Sensitivität. Die Ehrlichkeit, mit der er sich seine Fragen beantwortet, die dabei gewonnenen Erkenntnisse und Schlußfolgerungen, sollten ihm Maßstab sein. Ihnen sollte er vertrauen, nicht den Erkenntnissen weniger.

Machen Sie sich klar, daß eine wie immer geartete, von außen an Sie herangetragene Rezension von Kunstwerken erwartungsgemäß äußerst subjektiv filtert, vorausgesetzt sie besteht nicht nur aus Schlagworten und Worthülsen. Die vermeintlich aufklärende und objektivierende Gattung von Kritikern und Kunstschriftstellern51) versucht Ihre Rezeptionsfähigkeit zum Wohle der modernen Kunstmarktpolitik zu kanalisieren.

Betrieben sie wirklich Aufklärung (Aufdeckung, Bewußtmachung, Bloßlegung) im eigentlichen Sinne, so gäbe es wohl bald eine Vielzahl Kritiker weniger, da sie sich im Sinne einer vergleichenden und daraus abzuleitenden, wertenden Kritik als unfähig erwiesen und somit ihre Existenzberechtigung innerhalb des Kunstmarktbetriebes verlören.

Entscheidend ist der Urteilswillen eines jeden einzelnen Betrachters. Dieser Wille zum Urteil muß indes erst von einem entscheidungsbereiten Kunstbetrachter erworben werden. Nicht nur durch Vergleiche anderer Urteile und Meinungen mit den eigenen Erkenntnissen, sondern vor allem durch ständige, vergleichende Rückrufe ursächlicher Erlebnisse, die durch die Betrachtung von unterschiedlichsten Kunstwerken entstanden sind. Ebenso durch Vergleiche möglichst vieler verschiedener Kunstrichtungen.

Der Weg zu eigener Entscheidung und damit zu einem erstrebenswerten Selbstbewußtsein zu kommen ist nicht leicht. Er wird den Menschen, durch insistierende Wiederholungen von Postulaten des Kunstbetriebes nicht leicht gemacht. Auch hier höhlt steter Tropfen den Stein.

Wie oft ich an Ausstellungsabenden oder in Museen bei großen Ausstellungen der Modernen Kunst, Menschen treffe, die völlig hilflos vor den Werken heute bedeutender Meister stehen, will ich gar nicht mehr zählen. Erfreut bemerke ich manchmal, daß nicht alle die Kunstwerke mit Ihren Blicken verschmähen, sich während der Vernissagen nicht nur treffen, um dabeigewesen zu sein oder um sich ein wenig von der Aura der Kunstmacher bescheinen zu lassen. Manch ein Teilnehmer wendet sich tatsächlich der Kunst zu.

Erschreckend ist es, während dieser Eröffnungszeremonien, die Reaktionen auf die Werke der Künstler zu beobachten. Sprechen die Grüppchen, um Interesse zu heucheln, über die ausgestellten Kunstwerke, so beschränken sich ihre Bemerkungen auf hilflose Oberflächlichkeiten. Keiner der Anwesenden riskiert, sich mit einer eigenen Meinung zu exponieren. Sie haben regelrecht Angst, von dem anwesenden ebenso dussligen Premierenpublikum ein Armutszeugnis für Unwissenheit oder gar Kulturlosigkeit ausgestellt zu bekommen. Entweder schweigen sie zu den Kunstwerken und ergehen sich in belanglosen Alltäglichkeiten oder sie werfen Teile angelesener Halbbildung in die Gesprächsrunde. Natürlich kann man vorsichtig abwarten um hernach seine, mit der Mehrheit solidarisierende, Meinung abzugeben. Fast alle Ausstellungsbesucher sind unsicher in ihrem Urteil und warten sehnsüchtig auf eine wohlformulierte Erklärung irgend eines Kulturidioten, der sie sich hinterher dankbar und nicht weiter das gerade Gesehene und Gesagte reflektierend, bequem anschließen können.

Ein weiteres Phänomen: Ist der ausstellende Künstler anwesend ("Wie sieht denn der Künstler aus ?"), suchen ihn prominentengeile Kulturbanausen zunächst mit den Augen, um vorab zu klären, ob er als Person interessant genug scheint, das eigene Image zu heben. Ist dem so, stöbert man ihn aus einem fadenscheinigen Grund auf, unterbricht ihn womöglich bei einem wichtigen Verkaufsgespräch und sagt ihm artig, wie hübsch und ungemein interessant man seine Werke findet. Die Farben seien zwar etwas zu bunt, aber das könne er ja ändern. Ob der Künstler will oder nicht, er erfährt außerdem, daß der/die Störer(in) in der Schule jedesmal eine Eins im Zeichnen hatte, doch leider, leider heute keine Zeit mehr habe um den Pinsel zu schwingen. Eine besonders penetrante Anmache beinhaltet zu allem Übel das nivellierende gewerkschaftliche "Du". Dann endlich, unter widerlichen, mittlerweile ritualisierten Küßchen links und rechts auf Künstlerwangen und unter den bewundernden Blicken der Umstehenden ob der Vertrautheit mit dem Künstler, verläßt diese lästige Person die Galerie. Natürlich ohne etwas zu kaufen.

Wie ich sagte, ist es selten genug, daß Besucher einer Ausstellung in irgend einer intelligenten, selbstbewußten Form Stellung zu den Exponaten beziehen. Meistens ist eine Ausstellungseröffnung Mittel zum Zweck, neue, sündhaft teure Kleider vorzuführen, von deren Anschaffungspreis der Künstler nicht nur die Miete eines Ateliers, sondern Nahrung für mindestens drei Monate bezahlen könnte. Eine so genannte Vernissage ist Transferort für das neueste Gerücht, für Verabredungen zu anderen Medienereignissen und Gelegenheit, Urlaubsberichte auszutauschen. Dem Kulturidioten bietet sich die Chance, sich über seine letzte Steuernachzahlung beim Künstler zu beschweren, weswegen er, so gerne er würde, wenn nicht diese dumme Steuernachzahlung wäre, in einer Höhe, wovon der Künstler nicht nur Atelier, Essen, neue Leinwände und Farbe, sondern auch eine zweijährige Studienreise durch China und Japan mit Aufenthalten in den besten Hotels finanzieren könnte, leider von einem Bilderkauf Abstand nehmen müßte. Natürlich teilt der Artist, dessen Magen eh vom bloßen Zuhören rotiert, dessen Hirn die ins Spiel gebrachten Summen nicht mehr realisieren kann, diese Sorgen und spricht sein Bedauern darüber aus.

Er greift nach dem achten Glas billigen Schaumweins, verzieht sein Gesicht zu einer verständnisvollen Leidensmiene, er könne ihn gut verstehen, ihm gehe es nicht besser. Nach dieser Erzählung erst recht nicht.

Kommen wir nun zu der Hauptattraktion von wichtigen Ausstellungseröffnungen. Es ist eine leidige kaum abzuschaffende Gewohnheit zu erklären, was der Künstler eigentlich sagen wollte - jedoch nicht in der Lage war, es zu tun. Kaum eine Vernissage ohne den obligaten literarischen Adoranten und kunstphilosophierenden Erleuchter. Die Besucher stellen sich artig in einem Halbkreis um den angekündigten Redner und harren der geistreichen Erklärungen zu den ausgestellten Werken. Zuvor eine beiläufige Begrüßung des anwesenden Künstlers in einem Halbsatz und danach eines der zahllosen Begrüßungsrituale, in denen der Galeriedirektor neben anderen unwichtigen Personen anwesende Politiker aus der Kulturverwaltung und Sponsoren des zwölf Kilo schweren Kataloges begrüßt, um deren Eitelkeiten zu befriedigen. Sind diese Präliminarien zu voller Zufriedenheit des Auditoriums erfolgt, ist es endlich soweit. Dem Hauptredner wird das Wort erteilt.

Schon während des Vortrages dieser Geistesgrößen entsteht im Kopf des Ausstellungsbesuchers, der nicht aus vielleicht gesellschaftspolitischen Gründen der Ausstellung beiwohnt, folgende Problematik. Er muß sich zwischen eigenen Einsichten, beziehungsweise dem eigenen Urteil und den Auslegungen des Redners entscheiden. Selten sind beide Schlußfolgerungen kongruent. Wenn man den Erklärungen seines Ausstellungstextes folgt, so wird der Hörer am Ende überrascht sein, daß er nicht zu diesen Erkenntnissen kam - sollte ich Erleuchtungen sagen?

In der Regel gehört es zum normalen Verhalten, daß kaum einer das gerade Gesehene, Gehörte reflektiert und darüber nachdenkt, was sich zeitgleich in seinem Bewußtsein abspielt. Ist er wirklich an Kunst interessiert, so müsste er sich folgende Fragen stellen: Welche Wirkung hat das Objekt auf mich, kann ich das Werk / die Darstellung lesen, war oder ist der Maler fähig, das Kunstwerk als Medium, als Mittler seiner Intentionen zu nutzen? Welche Formensprache hat der Künstler gewählt - eine verständliche oder eine, die erst durch einen nutzlosen Interpreten, zudem verklausuliert, ausgelegt werden muß? Verstehe ich die Sprache des Künstlers? Oder brauche ich, um die Auslegungen des beigeordneten Redners und Kunstdialektikers54) zu verstehen, nochmals Hilfe in Form eines etymologischen Lexikons ?

Wir müssen uns fragen, ob wir allen Ernstes die Filterung und Kanalisierung einiger höchst einfacher Vorgänge brauchen. Etwas sehen und annehmen oder ablehnen. Etwas sehen und erkennen oder nicht erkennen. Wir müssen uns fragen, ob der Künstler überhaupt etwas mitteilen möchte. Macht er sich die allgemeine Unbildung55) und Unsicherheit des Publikums zunutze, um mit Nichts als einem fertigen Produkt, besonders nachdenkenswert und deshalb als bedeutend zu erscheinen; macht er sich gar lustig, geriert er sich, wie es ihm seine Impresarios bestimmt haben, nur als Künstler? Oder, und dies halte ich für besonders unredlich, erfindet ein Künstler nur eine Masche, um sich von den anderen Markenzeichen zu unterscheiden ?

Die Realität sieht so aus: Je unverständlicher und komplizierter ein Kunstwerk, je dicker das über den Künstler geschriebene Kunstbuch, je unverständlicher die Exegeten56) mit Erklärungen, je wirrer und unergründlicher sich Kunstrichtungen durch Kritiker darstellen, so faszinierter sind die Kunstliebhaber57) von deren Produkten. Ich gehe davon aus, daß die meisten Menschen nicht in der Lage sind, diesen entbehrlichen, doch geistreich scheinenden Texten so zu folgen, daß sie Interpretationen und Wortschöpfungen dieser Philologen58) nicht oder nur teilweise folgen können.

Dies wissen die Deuter. Sie können unbeirrt und ohne Rücksicht auf das Publikum ihren Ergüssen freien Lauf lassen und natürlich nebenbei ihre Existenz rechtfertigen. Sie können ihre scheinbar wichtige Position im funktionierenden Kunstmarkt einnehmen und bestätigen. Ermöglicht erst durch ergebene Duldsamkeit des Publikums.

Für einen Scharlatan59) ist das natürlich ein Freibrief. Er kann wunderbar von seinem marginalen Werk ablenken und/oder dessen fiktive Aussage dem Kritiker überlassen, er kann mit Rückendeckung der Kritik schließlich alles produzieren, was er will. Wenn dieser Protagonist sich eine eindrucksvolle Position auf dem Kunst-Autorenmarkt verschafft hat, wenn ebenso ungebildete wie einspurig geprägte Museumsdirektoren - es gibt einige Ausnahmen, die öffentlich nicht widersprechen - Kunstliebhaber-Gesellschaften und Kunsthändler bewußt in die Irre führen, wenn sie wider besseres Wissen feige schweigen, tolerant und liberal mitschwimmen, steht dem Erfolg eines neuen Ismus, oder der Geburt eines neuen Genies nichts mehr im Wege. Das nennt man dann: Alles ist Kunst; Kunst ist, was machbar ist.

Diese zeitgeistigen Verhaltensweisen von Künstlern, Kritikern und dem Publikum gefallen mir nicht; vor zwanzig Jahren haben sie mich in tiefste Depressionen gestürzt - heute bin ich nur noch wütend. Ich gebe zu, daß ich mich deren geschliffener Dialektik, wie auch der Dummheit des Publikums, unterlegen fühle. Ich fühle mich ihrer Freiheit-für-die-Kunst-Keule ohnmächtig ausgesetzt. Doch weil ich weiß, daß ich ein Recht auf eigene Erkenntnisse durch Erfahrung habe, denen sich möglicherweise viele ebenso verlachte Individualisten anschließen, nehme ich mir das Recht aufzubegehren. Den Weg zu einer bewußten Gelassenheit habe ich noch nicht gefunden.

Das ist der Hauptgrund für diese Zeilen. Ich will zeigen, wie angelernte und ständig wiederholte moderne Kunstansichten dazu führen, daß zu viele Menschen sie in aller Demut verinnerlichen. Diese gläubige Demut, wie wir sie heute noch in alten Religionen und anderen neueren Sekten finden, haben dazu geführt, daß eigenständiger Widerspruch oder Infragestellung der Glaubenssätze mit Anarchie gleichgesetzt werden. Die bedingungslose Folgsamkeit in den Köpfen der Gläubigen zu verändern, wird schwierig bis unmöglich sein.

Womöglich kann ich aber einigen Menschen, die sich ihrer Urteilsfähigkeit beraubt fühlen, behilflich sein, wieder in ihre ursprünglichste Empfindungswelt und eigene Erlebensfähigkeit zurückzufinden. Vielleicht kann ich, da meine Auffassung für mich unleugbar geworden ist, anderen verunsicherten Menschen helfen, wieder Zwiesprache mit einem Kunstwerk zu halten.

Bitte, liebe Kunstfreunde, schauen Sie in Ausstellungen nicht erst auf den Kunstwerk-Titel oder in den Katalogtext, beides ist meistens verwirrender als das Werk selbst, sondern versuchen Sie die Sprache des Künstlers, also sein Werk zu lesen. Was hilft der Titel Landschaft, wenn eine Landschaft dargestellt ist, was bedeutet der Titel Landschaft, wenn keineLandschaft, sondern nur unverständliche Hieroglyphen dargestellt sind. Da muß jeder Versuch scheitern, mit dem Kunstwerk Zwiesprache zu halten.

Ist das Kunstwerk nicht eine, wenn nicht die einzige Sprache des Künstlers, die nur ihm eigene Möglichkeit, sich der Welt mitzuteilen? Wie sieht es eigentlich in einem Künstler aus, wenn der Titel nicht der Darstellung entspricht oder umgekehrt, die Darstellung dem Titel widerspricht?

Wenn man sich ein Kunstwerk unbekannter Herkunft ansieht, wenn dieses Werk nur aus unverständlichen, ungegenständlichen Formen besteht, reduziert man dessen Aussage auf den optischen Reiz, den es verbreitet. Das darf, um als Kunstwerk zu gelten, nicht genügen. Einen solchen Reiz verspürt man desgleichen beim Betrachten von Tapeten und flirrenden Interferenz-Störungen eines Fernsehbildschirmes. Mit großer Sicherheit würde man selbst diese Bildstörungen in Museen ausstellen und bewundern, wenn sie mit einem Rahmen und der notwendigen Interpretation versehen wären.

Bemühen wir uns nicht in einem fremden Land dessen Sprache zu sprechen, um uns unbekannte Kulturen zu entdecken und um unsere eigene Kultur verständlicher zu machen? Mit Händen, Füßen und Grimassen können wir Sprache nur unvollständig ersetzen, bruchstückhaft unsere Wünsche mitteilen, unvollkommen unsere Herzen öffnen, um andere teilhaben zu lassen.

So denke ich, muß es gleichfalls einem Künstler gehen, der Mittel und Fähigkeiten der normalen Sprache, die er selten vollkommen beherrscht, wie man an diesem Text sehen kann, durch die ihm einzig mögliche, verständliche und vertraute Sprache seines Bildes/Kunstwerkes ersetzen muß. Die Sprachebene des Künstlers ist sein Werk. Ein Kunstwerk und dessen Inhalt erklärt sich durch die Darstellung, also sich selbst. Die Darstellung wird nicht durch Sprachbarrieren behindert, sie wird in allen Idiomen verstanden werden.

Mir scheint, als hätten unsere zeitgenössischen Kreativen ihre Darstellungsfähigkeit und damit ihre universelle Sprache verloren, denn was sie heute produzieren, ausstellen und sogar verkaufen, kann zwar in jeder Sprache interpretiert werden, deren Eindeutigkeit ist nicht mehr gewährleistet. Jede Tapete wäre eindeutiger, obwohl auch diese relativ interpretierbar wäre.

Einen Dialog mit einem Kunstwerk führen bedeutet zunächst, unverschlüsselt zu kommunizieren, unvoreingenommen das wahrzunehmen, was man sieht, und nicht das, was man hört oder sich angelesen hat. Daß dies ein utopisches Ansinnen sei, habe ich mir oftmals sagen lassen müssen. Ich glaube nicht, daß es eine unerreichbare, sondern eine selbstverständliche Forderung sein sollte.

Genügt es nicht, sich einen Baum oder ein Herbstblatt anzusehen oder bedarf es da der Interpretation? Selbst wenn in diesen Augenblicken Sprache versagt, unsere Gefühle zu beschreiben, so vermittelt uns doch der Anblick dieser beiden Dinge eindeutige, von der menschlichen Gesellschaft allgemein formulierte, mit einer Bezeichnung versehene und deshalb allgemeinverständliche Fakten. Wie wir diese Vorgaben bewerten und sie in uns aufnehmen bleibt zweifellos unserer Empfindungsfähigkeit und unseren Wertungsmaßstäben vorbehalten.

Ein Künstler muß in einer verständlichen Sprache sprechen. Tut er das, ist ein Betrachter verpflichtet, seiner immanenten Empfindungsfähigkeit wieder Raum zu geben und nach seiner Befähigung darauf zu antworten. Verwendet ein Künstler dagegen eine nur ihm vertraute Symbolik, so kommt er ohne weitere mündliche oder schriftliche Erklärungen nicht aus. Er spricht weiterhin in Rätseln zu uns, wobei er fälschlicherweise davon ausgeht, daß seine Rätsel zu lösen sind.

Rätsel kommt von raten; etwas erraten wofür es eine richtige Lösung, die wir kennen könnten, unter unzählbaren falschen Antworten gibt. Wir befinden uns vor einem Kunstwerk, nicht in einem Quiz, wo ein Kandidat hundert Punkte erhalten kann, wenn er die Lösung findet.

Eine Symbolik, die niemand kennt, kann deshalb von keinem Betrachter erraten, schon gar nicht entschlüsselt werden.

Ortega60) hat sinngemäß so formuliert: [...]; Kunst ist für wenige auserwählte und besonders feinnervige Menschen da [...];. Dieses Zitat könnte zu Mißdeutungen Anlaß geben. Indessen kann ich mir nicht denken, daß er damit eine besonders hohe Schulbildung oder angelerntes Wissen gemeint hat, wenn man den Schwerpunkt dieses Zitates auf das Wort Kunst legt.

Es gibt unendlich viele Menschen, die ohne Bildung61) im traditionellen Sinn das haben, was wir sensus communis nennen. Kinder reagieren zum Beispiel auf Kunstwerke normal, noch ohne Verbildung. Ihnen gefallen leuchtende Farben, weil sie ihre Augen reizen, sie erfreuen vielleicht ihre Seelen. Ohne sinngebende Formen werden sie sich, wenn man sie nicht ausdrücklich um Interpretationen bittet, auf die Benennung der Farben beschränken. Dazu brauchen sie keine weitergehenden Erklärungen. Sie benennen, bedingt durch Lernprozesse, Gegenstände ihrer Umwelt, wenn Sprache eine Bezeichnung für einen Gegenstand gefunden hat. Sie sehen ein Bild mit der Abbildung eines ihnen vertrauten, also benennbaren Gegenstandes. Sie können ihn deshalb nach ihrem Wissensstand, noch abstrahiert dargestellt, lesen und bezeichnen. Ohne weitere Interpretation eines gebildeten Erwachsenen.

Sie erkennen daher einen Schrotthaufen als Schrotthaufen, eine schmutzige Badewanne als Badewanne, zufällige Kleckse als Kleckse. Eine andere Bedeutung, als die von ihnen direkt und ohne Umwege erkannte, gibt es für sie nicht. Deshalb fragen sie verunsichert ihre Vorbilder, die Erwachsenen, wenn sie in Museen unverständliche Kunst sehen: Was soll das darstellen? Und wie antworten wir auf diese, meist unangenehme Nachfrage?

Wenn wir ehrlich sind, werden wir zugeben müssen, daß wir uns diese oder eine ähnliche Frage schon gestellt haben. Dennoch kramen wir in unserer anerzogenen Bildung zur Kunstgeschichte und versuchen Kindern, mit der uns eigenen Verunsicherung der Kunst gegenüber, das zu erklären, woran wir selbst nicht glauben können oder wollen. Trotzdem beantworten wir ihre Fragen so, daß sie in ihrem weiteren Leben nicht mit eigenen Ansichten zur Kunst anecken. Wir erziehen sie also zur Duldung und nivellieren sie.

Würden wir ehrlich auf ihre Fragen antworten, so müßten wir sie vorderhand lehren selbst zu sehen und das zu beschreiben, was sie mit ihren eigenen Augen wahrnehmen. Nichts weiter. Das ist bei Kindern, die neugierig und wissensdurstig sind, die alles hinterfragen, kein einfaches Unterfangen. Es macht Mühe. Indes sind wir aufgefordert, erst einmal zwischen unseren tatsächlichen und den angelernten Ansichten zur Kunst zu unterscheiden. Das ist nicht einfach.

Dennoch können wir mit einiger Anstrengung die innere Gewißheit erlangen, mit der es möglich ist, unseren Kindern wieder eine ehrliche, und vor allen Dingen für Sie begreifbare Antwort auf ihre elementaren Fragen zu geben.

Wir wissen, daß soziale Kontakte und gesellschaftliche Stellung der jungen Menschen sich formend in ihr Leben einschalten werden. Die Versuchungen der Konsumwelt sind beträchtlich, der Druck der Gesellschaft immens, das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Gruppe erstrebenswert. In dieser Gesellschaft Eigenständigkeit im Denken zu bewahren, erfordert gerade von heranwachsenden Menschen, die mit all diesen Verlockungen umgehen müssen, ein außergewöhnliches Selbstbewußtsein. Wir alle können zu diesem beitragen, wenn wir zukünftige Generationen nicht mehr, und sei es nur aus Bequemlichkeit, belügen.

Zweifelnde Fragen zur ungegenständlichen, modernen Kunst werden besonders erwachsene Kulturkonsumenten kaum laut stellen. Zu dogmatisch sind Einflüsse von Medien und Öffentlichkeit. Unüberlegt Übernommenes beziehungsweise Angelerntes ist meist in irgendeiner Gehirnhälfte gespeichert. Um diese Verbildung zugunsten einer möglichen Neubeurteilung vorübergehend aufzugeben, ist Rückbesinnung auf Individualität notwendig. Da diese Neubeurteilung Mühe bereitet und wir bequem im Denken sind, unterziehen wir uns erst gar nicht dieser Aufgabe.

Dies zu tun hätten wir die Pflicht; die Fähigkeit und Intelligenz haben wir. Fragen wir uns wie ehrlich unsere Gefühle und Urteile dem Kunstwerk gegenüber sind. Es muß möglich sein, einen Austausch zwischen Betrachter und Kunstwerk, eine Zwiesprache ohne Übersetzer stattfinden zu lassen.

Sparen wir uns die Mittlerrolle von Broschüren, Büchern, Seminaren an Volkshochschulen und offizielle Führungen durch Museen und sparen wir uns vor allem die Deuter unverständlicher, abstrakter "Kunst".


Moderne Kunst die ich meine ...

Wenn Sie den Text aufmerksam gelesen haben, mag es Ihnen scheinen, daß mein Anliegen darauf abzielen würde, Sammler, Käufer und Kunstliebhaber zu nötigen, modernste Kunst generell abzulehnen und negativ zu beurteilen. Der Anschein trügt nicht.

Werke der Avantgarde, die Nichts durch irgend Etwas sichtbar zu machen versuchen, dennoch nichts darstellen, halte ich für überflüssig. Ich will, daß interessierte Menschen ihre Angst vor heutiger Kunstdoktrin verlieren. Viele fürchten, wenige geben zu, moderne Kunst nicht zu verstehen. Sie fühlen sich unwohl, weil ihnen ihr Verstand etwas anderes sagt. Tatsächlich gibt es keinen Grund für diese negativen Empfindungen. Sagen Sie endlich, was Sie denken. Je beherrschter und überlegter Sie Ihre Erkenntnisse äußern, desto überzeugender wirkt es auf Ihre Umgebung. Machen Sie sich nicht würdelos durch einen Kotau vor des Kaisers neuen Kleidern. Ich weiß, daß ich es von Ihnen fordern muß, weil Sie sich ein Recht auf Individualität nicht vorenthalten lassen sollten.

Unter dem Begriff Moderne Kunst, wird heute allgemein das Kunstschaffen bezeichnet, das sich durch besonderen Erfindungsreichtum und übersteigertes Selbstwertgefühl der Künstler samt Dünkelhaftigkeit ihrer Protegés auszeichnet. Um wenigstens für eine gewisse Zeit Aufmerksamkeit und einen Handelswert für ihre Kunstprodukte zu erreichen, ist absolute Neuigkeit der Äußerungsform, ein unbedingtes Muß. Jedes Mittel ist recht, um der Erwartungshaltung der Kunstgemeinde zu entsprechen.

Formt man den Begriff Moderne Kunst nur wenig um, zu modische Kunst, der Mode unterworfene Kunst, so wird sie eine fashionable, modegerechte, modebewußte, schicke - eine Kunst nach der neuesten Mode, Modekunst. So kommen wir dem Kunstbegriff unserer Zeit sehr nahe. Die Konfrontation der Gesellschaft mit schrulligen Dekorationen ist auf den kurzfristigen Schockeffekt angelegt. Haben wir noch Zweifel, daß es vielleicht nicht schick ist, in ein Schlafzimmer einen fettverschmierten Schlitten zu stellen, vielleicht ein schimmelndes Schokoladenobjekt oder die Reste irgendeiner Sammelaktion auf einem Müllplatz über den Esstisch zu hängen?

Stehen diese Objekte62) mit deren Anbetungscharakter nicht doch für die Inkarnationen unseres höchsten Kulturbewußtseins?

Ich kann und will es nicht glauben.
Es sind diese und ähnliche Produkte moderner Kunst, deren Kunstwert ich abwertend beurteile. Vergleichend weise ich auf die Terminologie unseres tausendjährigen Kulturreiches hin. Ausgeburten krankhafter Hirne, oder so ähnlich hat man damals diese Objekte genannt. Unsere alten und dummen Kulturfaschisten hatten nichts begriffen. Genau das Gegenteil war der Fall. Nicht unfähige Künstler und einfältige Kunsthändler haben diese Kunst forciert, sondern eine hochintelligente Gemeinschaft, handwerklich unfähiger Kunstproduzenten und Vermarkter, machten sich die Glaubensbereitschaft ihrer Anhänger von einfältigen Stutzern zu nutze.

Beschämt nehme ich noch heute zur Kenntnis, daß Menschen aus Renommiersucht immer noch ihnen Vorgesetztes wahllos konsumieren, ohne ihre wesentlichen, geistigen Bedürfnisse, wenn sie vorhanden sind, zu bedenken. Die moderne Kunst mutiert zur Verbrauchs- und Adorationsware gerade herrschender Modeströmungen oder ist zum Aktienersatz degeneriert.

Viele flexibel denkende, liberale, fortschrittsgläubige Menschen sagen: "Das ist so, man muß mit der Zeit gehen, sich nicht gegen Entwicklungen stellen!" Diese Auffassung teile ich nicht. Es gibt keinen Beweis, daß Fortschritt im Sinne von Innovation auf dem Gebiet der Kunst nötig wäre, als Hypothese vielleicht parallel nur zu einem wirklichen Fortschritt63) des Menschen. Und wie lange diese Entwicklung dauern kann, können wir Millenien zurückverfolgen. Die Gestalt des Menschen verändert sich, das Prinzip seines Verhaltens blieb sich gleich. Das wird auch in der Zukunft (wenn ich mir diesen Fernblick erlaube) so sein.

Rückbesinnung auf traditionelle Werte bedeutet nicht gleichzeitig Rückschritt oder Stillstand. Ein gleichfalls zeitgenössischer, moderner Künstler kann mit althergebrachten64) handwerklichen Mitteln seine Leinwände mit entzifferbaren Darstellungen zeitbezogener Inhalte so füllen, daß sie jeden Menschen auch heute noch erreichen; sie sind deshalb nicht weniger modern (siehe Bacon, Mattheuer, Leipziger Schule, etc.).

Das bedeutet nicht, daß ein Kunstliebhaber sich nur an Blumenstücken, Landschaften, Porträts, Veduten und Tierbildern erfreuen sollte, bei aller Achtung vor diesen Themenbereichen. Dergleichen Motive versetzen einen Betrachter meist in angenehme Stimmung.

Entgegen avantgardistischer Auffassung ist das keineswegs verwerflich. Diese Darstellungen werden zweifellos selten große gedankliche Konflikte im Betrachter auslösen. Muß man sie deshalb gering schätzen und den Besitzer oder Liebhaber dieser naturalistischen Darstellungen deshalb als Kunstbanausen schmähen? Ich halte ihre Zuneigung zur direkt und unmittelbar anrührenden Kunst für ehrlich und natürlich (natürlich im Sinne einer ursprünglich im Menschen vorhandenen Genußfähigkeit).

Den Antipoden sehe ich im unaufrichtigen Sammler und Förderer unverständlicher Kunst.

Natürlich erwarte ich von einem Künstler unserer Zeit nicht Darstellungen im Geiste früherer Jahrhunderte - wir leben schließlich im 20.Jahrhundert, mit eigener Geschichte, eigenen Ansprüchen und zeitbezogenen Forderungen. Die Ideen und Geschehnisse unserer Zeit bieten neuen Gestaltungsstoff; keinen besseren und keinen schlechteren. Ich erwarte, daß ein Maler mit seinen Themen sein Publikum fordern sollte, auch zu Ablehnung und Widerspruch, ebenso wie man bei einer Diskussion eine konträre Meinung bekämpft. Der Interaktion zwischen Betrachter und Bildthematik förderlich ist allein eine erkennbare Darstellung.

Man sollte sich als Maler oder Betrachter dem oberflächlichen Zeitgeist nicht unterwerfen.

Mit Schrecken erinnere ich mich an die Ausstellung gleichen Namens (Gropius-Bau, Berlin), die für mich, in ihrer einseitigen Zusammenstellung, der Inkarnation der Moderne entsprach. Ebenso die Sammlung Sonnabend, einer Kunsthändlerin aus Amerika, die hier in Berlin vor einigen Jahren im Hamburger Bahnhof gezeigt wurde. Eine Ansammlung alltäglicher Gebrauchsgegenstände, geadelt vom Kunsthandel, durch das Etikett avantgardistischer Kunst.

Von Avantgarde konnte allerdings nicht die Rede sein, die Surrealisten und Dada-Künstler hatten diesen Unsinn längst in den 20er und 30er Jahren vorweggenommen. Sie selbst hat es allerdings verblüfft, daß sie damit ernstgenommen wurden. Nun ist dieser Sackbahnhof mit Pomp und erheblichen finanziellen Mitteln und unter Beteiligung der Schickeria zu einem senatsgenehmigten Endlager für moderne Kunst degradiert worden.

Kann man mit einer Brillo-Kiste oder einer Campbell's Suppendose gedanklich kommunizieren? Das Ergebnis eines solchen Versuches wäre die Einsicht, daß uns der Künstler mit seinen Ergüssen wohl an der Nase herumführt. Verglichen mit einem ballspielenden Seehund im Zirkus oder einem radfahrenden Bären, wirkt da der Mensch, die Krone der Schöpfung, noch erbärmlicher.

Nicht nur die oben als Beispiele archetypischer, avantgardistischer Kunst genannten Werke möchte ich ablehnen, sondern die in gleicher Zeitspanne, also etwa seit den 60er Jahren bis heute angefertigten, hyperrealistischen Gemälde und Zeichnungen (Photorealismus), die ein zwar stupendes, handwerkliches Können zeigen, in meinen Augen und nach meinem Gefühl aber absolut tot in ihrer Wirkung sind. Sie kaprizieren sich ebenso auf den Effekt, wie die Op-Art. Sie blähen handwerkliches Geschick zum eigentlichen Zweck auf, statt es als Mittel zu verwenden. Besonders deutlich wird dies, wenn wir den heutigen Photorealismus mit dem Realismus der 20er und 30er Jahre vergleichen.

Heute wird von Nur-Handwerkern platt abgemalt und abgezeichnet, daran ändern meist geschmäcklerische Kompositionen nichts. Trotzdem wird diese Tätigkeit als eigenständige Kunstrichtung propagiert. Noch vor wenigen Jahren konnte man an Kinotheatern und in der Werbung diese Handfertigkeiten bewundern. Jetzt werden sie, weil sie ihren illustrativen Zweck verloren haben, einfach in den Bereich der modernen Kunst mit aufgenommen.

Man will ja keinen im Regen stehen lassen. Außer dem Aha-Erlebnis wird keine weitere Reaktion erwartet und ist überdies nicht möglich. Vergleicht man diese Plattheiten mit den Gemälden von Dix, Schad, Sheeler, Hopper, Oppi, Casorati, Spencer oder den flämischen Künstlern der Neuen Sachlichkeit, sollte selbst einem zeitgenössischen Betrachter ein Licht aufgehen.

Ein Künstler stellt mit seiner Arbeit seine Auffassung, seine Meinung zur Diskussion. Im Idealfall kann der Betrachter eine Auseinandersetzung mit dem Werk führen. Das Werk nimmt eine Stellvertreter-Funktion für des Künstlers Intentionen ein. Ein Kunstwerk kann oder soll Fragen stellen und natürlich Antworten geben. Wie gesagt, eine Suppendose oder eine Waschmittelverpackung, ob im Original oder gezeichnet, ist als Gesprächspartner denkbar ungeeignet, da sie letztlich, aus dem Alltagsverbrauch herausgerissen, und in eine museale Umgebung gestellt, keineswegs genuine Schöpfungen im Sinne von Kunst sind.

Normalerweise ist nichts so deprimierend für einen Künstler, wie eine ignorante, freundliche oder gar tolerante Haltung seiner Arbeit gegenüber. Dieses Konsumentenverhalten entsteht meistens dann, wenn das Kunstwerk entweder mit dem normalen Verstand nicht mehr angenommen werden kann oder bestenfalls kurzfristig für einen Überraschungseffekt reicht. Leider muß man in zeitgenössischen Ausstellungen dieserart den Werken moderner Kunst gegenübertreten. Es lohnt sich noch nicht einmal, über diese Kunstwerke zu diskutieren; obendrein fehlt ihnen der Inhalt. Scheinbar stört das heutige Produzenten und Sammler überhaupt nicht, abgehoben und ignorant wie sie sind.

Noch größeren Schaden kann moderne Kunst nicht erfahren. Diesen abzuwenden und den Verlockungen eines bedenklich manipulierten Kunstmarktes nicht zu folgen, fordere ich die Künstler auf und gebe es allen Kunstfreunden zu bedenken. Es gibt immer noch Menschen, die altmodisch gemachte Kunst honorieren, nicht nur im ideellen Sinn. Die Basis der kunstliebenden und sammelnden Menschen verschiebt sich, bedingt durch die verklausulierte Darstellungsweise der Künstler, immer mehr zugunsten einer vermögenden, dümmlichen Möchtegern-Elite, die alles konsumiert, wenn die Produkte ihrer Gier den Segen selbsternannter Propheten erhalten haben.

Die Sammler und Käufer von Moderner Kunst bitte ich ernsthaft zu bedenken, daß es billig und entwürdigend ist, von geliehenen Bewertungen oder Meinungen zu leben - vertrauen Sie ihrem eigenen Urteilsvermögen und lassen Sie sich nicht durch den Zeitgeschmack und Zeitgeist ablenken. Es ist kein Zeichen beeindruckender Persönlichkeitsstruktur, andauernd der letzten Modeerscheinung nachzulaufen. Rufen Sie sich ins Bewußtsein, daß kein noch so gebildeter Kunsthistoriker Geschmack vorschreiben oder die Bedeutung65) eines Kunstwerkes durch Interpretation und Festschreibung in der Kunstgeschichte etablieren66) kann.


Ein Kunstwerk ist Interpretation

... bedarf es einer Auslegung durch Dritte, ist der Inhalt eines Werkes nicht erkennbar, so hat es seinen Zweck verfehlt. Weiterhin stelle ich fest, daß es nur subjektive Bewertungen und Betrachtungsweisen gibt. Objektive Rezensionen kann es nicht geben. Ein Kunstwerk erklären zu wollen, gehört in den Bereich der Tautologie.

Ein Kunstwerk erklärt sich durch sich selbst67) - ein Satz, bei dem mir einige wenige, jedenfalls keine wirklich ernstzunehmenden Kunstfreunde widersprechen werden. Was man für ein Kunstwerk hält, muß jedem Betrachter überlassen werden. Die gewiß erlernbare Voraussetzung für ein Urteil ist eigenes Wahrnehmungsvermögen. Diese beiden Sätze werden wesentlich mehr Widerspruch auslösen. Meinen Postulaten wird die Kunstgemeinde einzig aus Selbsterhaltungstrieb nicht zustimmen können.

Es ist eine unwiderlegbare Tatsache, daß ein Kunstwerk im Atelier oder vor der Natur und im Augenblick des Betrachtens entsteht, wenn es den Rezipienten unmittelbar und ungefiltert erreicht, nicht durch schriftlich vorbereitete oder nachgereichte Erklärungen und nicht als Gedanke68) pur. Das Kunstwerk überdauert, wenn es eine verständliche Aussage besitzt, Zeitgeist und Moden. Auch noch in fünfhundert69) Jahren, wenn schriftlich niedergelegte oder auf anderen Datenträgern vorhandene krude Exegesen hoffentlich vermodert sind, verramscht wurden oder nicht mehr verstanden70) werden. Es bleibt im günstigsten Fall nur noch das Kunstwerk übrig. Es wird kaum Hilfsmittel geben, das Objekt im Sinne seiner Entstehungszeit zu erklären. Das Produkt wird für sich selbst sprechen müssen. Vergleichen Sie bitte doch einmal das von Rodin geschaffene Denkmal "Die Bürger von Calais" mit dem traurigen, sogenannten "Holocaust"-Denkmal - könen Sie sich vorstellen, daß in 200 Jahren noch Betrachter den Sinngehalt des letztgenannten entschlüsseln können ?

Ich sehe die lächelnden zukünftigen Generationen, die sich ein Bild der Kulturlandschaft unserer Zeit machen wollen und aus den verstaubten Winkeln der Museumsarchive die Werke unserer Kunstproduzenten ziehen, wenn sie dank ihrer miserablen handwerklichen Qualität noch existent sind, wie sie sich beim Betrachten vor Vergnügen auf die Schenkel schlagen. Sie werden die Kulturgesellschaft unseres Jahrhunderts für völlig verblödet und degeneriert halten. Sie werden mit ihrem Urteil recht haben. In diesem Sinne dokumentiert die zeitgeistige Kunst zweifellos die Geistesverfassung unserer Gesellschaft umfassend und präzise.

Wahrscheinlich dauert es doch keine fünfhundert Jahre, um festzustellen, daß eine umgedrehte Lokomotive oder ein einzementiertes Auto eher ein technisches Kunststück, ein Gag, ein kurzer Lacher, eine Verblüffung ist. Ein Blick in unsere Umwelt ist allemal aufschlußreicher, als verschimmelnder Abfall in einem Glaskasten, welcher als Kunstwerk deklariert in einem Museum aufgestellt wird. Dieser Müll verdeutlicht nichts, wie der Künstler unterstellt, außer Müll und Abfall im Zerfallsprozeß, der sich zudem noch der Einwirkung und gezielten Gestaltung des Künstlers entzieht. Ein Blick auf eine Müllkippe oder in ein naturwissenschaftliches Buch über Probleme der Abfallbeseitigung auf biologischem Wege, ist aufklärender.

Ein Kunstwerk ist (auch), was durch einen bewußten Schöpfungsprozeß des Künstlers, durch von ihm erworbenes sachbezogenes Können hergestellt, die Zeit überdauert, immerwährende Authentizität der Aussage besitzt, welches es bestätigt. Nicht die Definition durch eine vermeintlich objektive Kritik oder hineininterpretierte Aussage. Es ist kein Schöpfungsprozeß, Abfall zu sammeln und es ist erst recht kein kreativer Prozeß, diese Entdeckungen in Museen auf Sockeln zu dekorieren.

Die Kreativität dieser Künstler und ihrer Helfer besteht ausschließlich darin, all ihre Energie darauf zu verwenden, dem Betrachter ihre Objekte als Kunst zu verkaufen - darin allerdings sind sie wahre Meister. Sie bieten unserer konsumorientierten, neuigkeitsgierigen Zeit das Futter, welches sie offensichtlich braucht und ohne das unsere gelangweilte Gesellschaft weiter vor sich hindämmern müßte.

Wie anders, als geprägt durch den Erfahrungsbereich des einzelnen Betrachters, kann Kunst beurteilt werden. Hat nicht jeder Mensch in seinem Leben besondere nur ihn betreffende eigene Erlebnisse gehabt; sind nicht diese nur subjekiv empfunden worden? Wenn mir jemand von einer Reise erzählt und davon schwärmt wie schön oder wie häßlich eine Landschaft war, kann ich da objektiv diese Erlebnisse nachvollziehen oder nacherleben? Das ist unmöglich. So eine Erzählung kann natürlich anregen, die Reise selbst zu machen. An der Schilderung einer Landschaft durch einen Erzähler kann man sich erfreuen. Zweifellos wird die beschriebene Landschaft jedoch mit unserem selbst erlebten Augenschein bebildert. Diese persönlichen Erfahrungen von Erde, Ebenen, Hügeln, Flüssen, Bäumen sind abrufbar in unserem Kopf gespeichert, damit bebildern wir fremde Erzählungen71). Unsere Erfahrungen sind andere, sind subjektiv. Wie will man denn Maßstäbe setzen für den Begriff Objektivität? Diese Objektivität könnte man doch nur erreichen, wenn alle Menschen über gleiche Bildung, Sensibilität, Erfahrungen, Fähigkeiten, Herkunft et cetera verfügen könnten. Daß dem so nicht ist, wissen wir. Geklont und genmanipuliert sind Menschen noch nicht (?). Aber wir sind auf dem besten Wege, einseitige Denkschemata zu produzieren und uns diesen noch freiwillig und aus Bequemlichkeit zu unterwerfen.

Es gibt seit etwa einhundertzwanzig Jahren, vielleicht schon mit Beginn der industriellen Revolution, spätestens jedoch seit Anfang dieses Jahrhunderts, unausgesprochen und selbstverständlich im Wesentlichen undokumentiert, mehr Hypothese als bewiesen, Bestrebungen, das Niveau unseres Kunstbewußtseins auf einen Stand zu bringen, der für einen uneingeweihten und arglosen Betrachter nicht mehr erklärbar ist. Die Entwicklung zeigt, daß eine Polarisierung zwischen verstehenden Kundigen und Unkundigen stattfindet, die ausschließlich gesellschaftlich politische oder finanzielle, nicht aber kunsthistorisch relevante Gründe hat.

Mit der Verdrängung oder dem Ausschluß aller nicht konform gehenden Künstler, knüpfte man erfolgreich in Deutschland nach 1945 an Zeiten kurz nach dem 1.Weltkrieg an, als in Europa und Amerika geschickte Kunsthändler, nicht zu vergessen willfährige Künstler und Museumsdirektoren, in Deutschland Kunstverwerter wie Herwarth Walden, dafür sorgten, daß Kunst zu einem Mysterium spezieller Art erklärt wurde, somit den Menschen entzogen wurde, statt sie ihnen nahezubringen. Sie hatten Aufklärung auf ihre Fahnen geschrieben. Sie wollten verkrustetes Denken aufbrechen, Kunst wieder Kunst sein lassen. Das treffendste Argument für meinen Verdacht des vorsätzlichen Betruges liefert Herwarth Walden selbst. In seinem Katalogbuch Einblicke in die Kunst formuliert er am Ende seines Einführungstextes folgendes: Die Kunstgelehrten wissen was Kunst ist. Natürlich das, was sie nicht wissen. Wir wissen es, meine Freunde, aber wir sagen es nicht. Weil es unsagbar schön ist72). In diesem Augenblick hat Walden mit seiner Brüskierung der Gesellschaft genau das erreicht, was bis heute das Gesetz des Kunstmarktes ist. Er hat die Menschen zu kleinkarierten Unkundigen gemacht. Hier begegnet uns die Dialektik eines Sophistikers.

Je unverständlicher die Kunstprodukte und die damit verbundenen Mystifikationen für die Allgemeinheit, je unverständlicher die Protagonisten der neuen Kunst argumentierten, desto eingeschüchterter wurden die Menschen. Wenn man einen Menschen verschüchtert und ihm seine angebliche Tumbheit vorhält, wenn man ihn also mit dem Rücken zur Wand stellt, so besinnt er sich auf seine Abwehrmechanismen, die möglicherweise und meist unnötig, ungezielte Agressionen hervorrufen. Oder er unterwirft sich und glaubt den Predigern. Nach einhundert Jahren indoktrinierender Kunstgeschichtsschreibung wissen wir heute, daß sich die Menschen wieder auf einen vorkopernikanischen Zustand zurückbewegen. Mysterien haben die Eigenschaft, für die Allgemeinheit nicht zugänglich, ausschließlich Eingeweihten verständlich zu sein. Also begann man in der Frühzeit dieses Jahrhunderts, dem Menschen wieder zu vermitteln, daß Ablehnung der neuen Kunstrichtungen einen Quasi-Ausschluß aus dem Kreis der verstehenden, sich zugehörig fühlenden, avantgardistischen Kunstgesellschaft bedeutet. Man begann das Bewußtsein der Kulturschaffenden so zu manipulieren, daß Widerspruch gegen Neuentwicklungen auf den Gebieten aller Kunstgattungen bei ihnen das Gefühl erzeugte, hoffnungslos antiquiert, rückständig und reaktionär zu sein. Das ist natürlich kein sehr schöner Zustand. Kein Künstler und kein Sammler verharrt gerne darin. Diese Angst vor Rückständigkeit wird heute noch schlimmer als in vergangenen Zeiten empfunden, zumal unsere Zeit ein Mehr an Klassifizierung, Zugehörigkeit und Etikettierung verlangt.

Heute erkennen wir, daß Individualismus nur noch im geordneten Rahmen gesellschaftlich akzeptierter Regeln erlaubt wird. Die Kulturgemeinschaft ist so weit heruntergekommen, daß sie als Nutznießer die Regeln für individuelles Verhalten bestimmen will. Die sogenannte individuelle Kreativität muß, um akzeptiert zu werden, von der Insidergesellschaft durch möglichst simple Etikettierungen erkannt werden können. So einfach ist das heute.

Ist ein modernes Kunstwerk nicht zu verstehen, so widmet ihm ein Kritiker mehrere Spalten im Feuilleton oder ein ganzes Buch. Er beschäftigt sich mit einer Aussage, die er selbst erst in das Werk insinuiert und verpaßt ihm damit gleichzeitig eine bestimmte Aura, also ein Label der besonderen Art. Haftet einem Kunstwerk dieses Etikett der Unverständlich an, so wird dieses Werk zweifellos als bedeutungsvoll akzeptiert und, da es niemand versteht, muß man folglich nicht mehr darüber nachdenken, denn das haben die Kunstschriftsteller getan, denen man blindlings vertraut. Unglücklicherweise lassen sich Künstler zwingen, ein einmal lanciertes typisches Objekt aus ihrer Produktion, das vom Kunstmarkt angenommen wird, also gut verkäuflich ist, ständig zu variieren, um den Konsumenten ein wiedererkennbares, im materiellen Wert schätzbares, dem Künstler eindeutig zuzuordnendes Kunstwerk zu bieten.

Nur wenige, simple73) Informationen brauchen die Menschen, keine komplizierten literarischen Vorgänge, diese erschrecken sie und erinnern sie an eigene Unzulänglichkeiten. Wer besitzt denn heute noch die Grundlagen und Fähigkeiten, religiöse oder mythologische Bildinhalte vergangener Zeiten zu lesen, wer dagegen empfindet noch Befriedigung, ein modernes Kunstwerk zu studieren, welches keinen Inhalt mehr besitzt? Die erste Frage ist durch Bildung zu lösen, die zweite ist unlösbar. Den Menschen bleibt also nur der Glaube und die Hoffnung, daß sie von Künstlern, Kunstwerken und deren Verwertern nicht hintergangen und betrogen werden.

Zu den grob geschilderten, gewiß geschickt genutzten Manipulationen, kommen noch angelernte Vorurteile hinzu. Diese beinhalten die weit verbreitete Hypothese, daß naturalistische Malerei Rückschritt bedeute, zumindest Stagnation. Naturalistische Malerei vergleicht man, da haben wir schwer an unserer letzten Vergangenheit zu knabbern, mit den dubiosen, politisch manipulierten Blut-und-Boden-Kunstwerken der 30er und 40er Jahre dieses Jahrhunderts. Mit diesen anerzogenen Vorstellungen verbinden sich erwartungsgemäß die Darstellung von Spitzenhäubchen und Kleinbürgermief für das 19.Jahrhundert, Duckmäusertum und platt rassistische74) Malerei im zwanzigsten Jahrhundert. Literarische Kunst zu produzieren wird seit Anfang des 20. Jahrhunderts in westlichen Gesellschaftsordnungen verachtet, der Terminus selbst, zum Schmähbegriff, vielleicht gerade wegen der, zum Standard erklärten und geförderten, Halbbildung der Masse.

Vergessen wir nicht, daß die bildnerische Kunst der letzten Jahrhunderte, an Orten wie Kirchen oder als Skulpturen auf Marktplätzen, wo sie vom einfachen Volk gesehen werden konnte, immer verständlich und ihrer Zeit gemäß, lesbar war. Trotz unterschiedlichster gesellschaftlicher und künstlerischer Ideologien. Dazu kam noch, als vielleicht bedeutsamstes Argument und als Voraussetzung für unbedingt notwendige Eindeutigkeit eines Kunstwerkes, die Tatsache, daß der größte Teil der Bevölkerung des Schreibens und des Lesens unkundig war. Offizielle Kunstwerke, Kultstätten, Standbilder et cetera waren nicht einfach da, ästhetische Vergnügen zu bieten; sie dienten weitaus mehr der ungebildeten Bevölkerung als begreifbare, vorbildhafte Anschauungs- und Erbauungsmaterialien. Das damalige Objekt, von uns erst heute zum Kunstobjekt gemachte Anschauungsobjekt, war faßbarer Vermittler einer bis dato geschriebenen oder mündlich verbreiteten geschichtlichen oder religiösen Begebenheit. Wenn wir uns heute in den Museen die Kunstwerke dieser vergangenen Zeiten ansehen, sollten wir deshalb nie das Zeitalter und die Umstände vergessen, in denen sie entstanden sind. Trotzdem bleibt für uns, die wir vor diesen Werken vergangener Zeiten stehen, eine klare und eindeutige Darstellung, die auch wir erkennen können. Diese Kunstwerke haben eine Substanz, die für jeden gebildeten, oberflächlich gesehen, auch ungebildeten Menschen verständlich ist.


3.Zwischenbemerkung

Der Begriff Kunst umfaßte vor fünfhundert Jahren, weit mehr als heute üblich, die Bereiche von Architektur, Literatur, Dialektik, Musik, Schauspiel, die bildenden Künste und selbstverständlich das Kunsthandwerk75) Sie alle waren kaum zu trennende Teile des Gesamtkunstwerkes Kultur. Die kläglichen Versuche, dies unter Nutzung des gleichen Begriffes heute zu wiederholen, müssen schon aus wirtschafts- und bildungspolitischen Gründen scheitern.

Natürlich wurde damals ebenso hart um die richtige Schilderung gerungen. Man weiß, daß Rembrandt mit seinem Gemälde "Die Nachtwache", fälschlich so genannt, bei seinen Auftraggebern nicht gerade Freude hervorgerufen hat. Wohl weniger der malerischen Qualität, als vielmehr der verletzten Eitelkeiten einiger dargestellter Personen wegen. Die Portraitierten erkannten sich. Rembrandt wurde gelinde gesagt, gebeten, das Gemälde im Sinne der Auftraggeber zu verändern. Heute stehen wir staunend vor diesem grandiosen Bild und verstehen kaum noch, daß die Auftraggeber erbost auf die, durch den Künstler erfolgte, Sezierung ihrer Charaktere reagierten. Nur dieses eine Beispiel veranschaulicht eines der Probleme damaliger Künstler. Ein Beispiel von vielen anderen, die uns die Geschichte überliefert hat. Es gibt hinreichend Beispiele für heutige Portraitaufträge76), die von modernen Künstlern ausgeführt wurden - mit anderen Ergebnissen - der Dargestellte erkennt sich nicht, die dargestellte Person wird von seinen besten Freunden nicht erkannt, der Künstler beruft sich auf seine künstlerische Freiheit77), die Kritik lobt das Werk als Ausdruck höchster, noch nie zuvor so empfundener Imaginationskraft. Wie wahr. Der Künstler wird heute sein Werk nicht ändern müssen, dank der künstlerischen Freiheit, die ihm durch die Gesellschaft verliehen wurde. Und wir, das sehende Publikum und die Auftraggeber, lachen zwar bitter in uns hinein, in der Öffentlichkeit verschweigen wir unsere wahre Meinung. Das, was Rembrandt mit der für uns erkennbaren naturalistischen Darstellung seiner Auftraggeber gelungen ist, weit über gewöhnliche Wiedergabe der Realität hinaus, macht sein Genie78), macht seinen Erfindungsgeist aus. Dazu brauchte er weder hilfreiche Interpreten noch einen, ich wiederhole mich, erweiterten Kunstbegriff. Dieses Werk ist heute noch lesbar, weil es in einer verständlichen Sprache vor uns steht.

In den letzten Jahren bemühte man sich um die Restaurierung von Michelangelo Buonarottis Fresken in der Sixtinischen Kapelle. Ein Aufschrei ging durch die Kunstwelt. Wohl ahnend, daß die Restauratoren unter dem Staub und Schweiß der Jahrhunderte eine Malerei vorfinden würden, die das altvertraute und romantisierende Bild, das man sich von der Malerei Michelangelos machte, vollkommen umkehren und somit alle bis dato geschriebenen Exegesen in deren Gegenteil umwandeln oder zumindest korrigieren könnte. Die Furcht ängstlicher, festgefahrener Kunstwissenschaftler war berechtigt. Heute, nach Reinigung der Darstellungen und Restaurierung von Übermalungen, verblüfft uns die soweit im Original erhalten, damals neuartige Palette von Farben dieses einmaligen Künstlers - für die Zeit der Renaissance revolutionär. Revolutionär für unsere verstaubten und modernen Kunsthistoriker, die die Geschichte der Malerei in einigen Kapiteln umschreiben müssen. Auch hier sehen wir, anhand der abgenommenen Übermalungen, daß eine neue, für die Auftraggeber sicher ungewohnte Farbgebung nicht der Anlaß für Korrekturen war, sondern klerikal begründete Unzüchtigkeiten im Lauf der Jahrhunderte für Veränderungen und Übermalungen sorgten. Überdies zeigen uns seine Farben, im Vergleich zu den Bildern moderner Künstler, daß deren Palette keineswegs so revolutionär war oder ist, wie man uns seit einhundert Jahren zu erklären versucht.

Wie wir aus diesen beiden Beispielen sehen, ist das Argument heutiger Kunstschaffender und deren Anhang, daß alle Veränderungen an Kunstauffassungen und neue Kunstströmungen immer und zu allen Zeiten Gegner hatten, nicht ganz richtig, allerdings entzündeten sie sich an erkennbaren Darstellungen, vielleicht noch an Perspektive und ungewöhnlichen, neuen Körperhaltungen.

Es kann nicht hingenommen werden, daß diese Kämpfe um die richtige Darstellungsweise heute als Argument für die Forderung nach unbeschränkter künstlerischer Freiheit mißbraucht werden.


Wertungen

Mitte des 19. Jahrhunderts, mit dem schnellen Wachstum eines konsumhungrigen Geldadels, setzte eine Entwicklung ein, die sich bis heute noch verstärkend, weiter anhält. Der Erwerb von Kunstgütern wurde und wird für diese reich gewordenen, kulturell meist ungebildeten Kreise fast unentbehrlich. Er diente schon früher der Stützung ihrer gesellschaftlichen Position, um sich auch auf dem Gebiet der Kultur ihren Vorbildern des Hoch- oder Geistesadels der vergangenen Jahrhunderte zu nähern. Während diese selten wirklich gebildet waren, jene mit der Muttermilch Kultur aufgesogen hatten, nicht unbedingt freiwillig, waren die neuen Kunstliebhaber auf kenntnisreiche Berater und Kunsthändler angewiesen, die Ihnen entweder die Entscheidung der Auswahl abnahmen oder empfehlend zur Seite standen. Heute ist es weniger wichtig dem Adel, Kirchenfürsten oder gar politischen Leitfiguren nachzueifern, deren geistige Potenz und kulturelle Beziehung kaum noch Vorbildcharakter hat, heute zählt das vom Kunsthandel zuvor definierte wiedererkennbare Etikett eines großen Namens in der Kunstszene und die für den Künstler typische, also durch die Masse, wiedererkennbare Darstellungsweise.

Das Kunstwerk, mit seinem fiktiv materiellen Wert, erhöht oder verbessert doch wenigstens durch seinen Erwerb die gesellschaftlich angestrebte Stellung des Käufers. Jeder weiß nun wie teuer ihm kulturelles Engagement ist, vom Ansehen, das ihm dieses Werk innerhalb seiner Klientel verschafft, ganz zu schweigen.

Schmücken sich deshalb neuerdings Frisiersalons, Modeboutiquen, Arzt- und Rechtsanwaltbüros mit wechselnden Ausstellungen von Kunstwerken? Wollen sie alle ein wenig abbeißen vom Kulturkuchen?! Es ist geradezu absurd, wenn sie uns einreden wollen, daß sie einem jungen Künstler erste Auftritte in der Öffentlichkeit ermöglichen; sie selbst wollen sich mit dem Hauch der Kulturbeflissenheit schmücken, Ihre Umgebung dekorieren, um anschließend in diesem Rahmen einen Abglanz dessen zu erhalten, was die Kunst an gesellschaftlichem Nutzen repräsentiert. Ich weiß, wovon ich rede.

Da heute ein potentieller Kunde, der eine Galerie oder ein Atelier betritt, kaum noch Zeit hat oder Zeit opfert, sich mit seinen mentalen Bedürfnissen wirklich auseinanderzusetzen, offerieren ihm Künstler und Kunstverwerter Kunstwerke, die der Käufer nicht versteht, gar nicht verstehen kann, indes im Glauben an Etikettierungen und Marktwert kauft.

Man erwirbt nicht mehr, man holt sich einen Mondrian, einen Miro, einen Pollock, einen Twombly oder irgend einen anderen Markennamen, selbst dann, wenn es sich um tausendfache, billige, für Originale ausgegebene Reproduktionen handelt. Wir sehen den nahtlosen Übergang von den schräg geschnittenen Birkenhölzern mit der Dorfansicht von xyz bis zu den bunt bemalten Rahmen mit der "Verhüllung" des Reichstages in Berlin. Es geht dabei gar nicht mehr um den Inhalt eines Kunstwerkes. Nur der Erinnerungswert zählt, ich war dort / dabei.Und wenn es sich doch um Originale handelt, geht es um die durch diese Künstler repräsentierten materiellen und gesellschaftspolitischen Wert. Man darf sich nicht wundern, daß diese Kunstwerke schließlich zu billigen Dekorationen oder teuren Wandaktien degenerieren, passend zum innovativen Charakter einer Einrichtung und zur gesellschaftlichen Position des Käufers.

Die Zeiten sind wohl endgültig vorbei, in denen ein gebildeter Sammler einem ebenso gebildeten Künstler gegenübertrat, um sich ihrer gegenseitigen Achtung zu versichern, in dem Bewußtsein, daß sie beide dem Kunstwerk für eine kurze Lebensspanne geliehen waren. Die Zeiten gehören der Vergangenheit an, in denen Sammler und Kunstliebhaber noch ihren Namen verdienten. Es gibt, jeder mag sich dazu bekennen oder nicht, Ausnahmen. Sie sind leider in der Minderheit.

Als Künstler kann man nicht auf Galerie-Kunsthändler verzichten, egal welch geistiger Potenz. Sie regeln den Markt. Es bedarf heute der intellektuellen Absegnung von Kunstwerken durch willfährige Kritiker und Kunstschriftsteller, um den zunächst immateriellen theoretischen Unterbau zu schaffen. Erst durch diese Voraussetzungen ist der materielle Wert eines Kunstwerkes zu rechtfertigen. Was man als Käufer vielleicht als wertlos erachtet, wird durch geschickte Manipulation und durch Verwandlung in ein Mysterium erwerbenswert. Es wird Dekorationsware.

Ich zum Beispiel habe Mühe, an Expressionisten, Konstruktivisten, Futuristen, Abstrakten und weiteren kuriosen Kunstströmungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ganz zu schweigen von noch moderneren Künstlern der ich-weiß-nicht-wievielten Generation von Adepten, zu erkennen, was an deren Werken bedeutend war/ist. Sie sind anders als viele Werke ihrer Zeitgenossen und unterscheiden sich erheblich von den Werken früherer Jahrhunderte. Ist Antagonismus in der Kunst ein Qualitätsmerkmal? Rechtfertigt diese Ansicht die Förderung des Unverständlichen? Soll er gar als Beweis dafür herangezogen werden, daß alles Widersprüchliche per se die Weihen der Kunst erhält, nur weil es etwas Neues ist? Nach fast einhundert Jahren ständig wechselnder, unverständlicher Kunststile und Richtungen, sind wir lethargisch geworden, haben wir uns damit abgefunden und daran gewöhnt. Statt eines röhrenden Hirschen hängen wir nun als Kunst das Foto eines verhüllten Reichstages auf oder eine Abbildung von Klee's laufenden Torbogen. Wo fängt da Kitsch an, wo hört er auf ?

Um 1920 zeichnete sich eine Gegenbewegung zur Kunst der Abstraktionen ab, die zu einer sehr realistischen Ausdrucksform in der Malerei führte. Man entwickelte dafür einen Begriff Neue Sachlichkeit. Diese sachliche Malerei eroberte sich, bereits vor dem Faschismus in Italien, dem Nationalsozialismus in Deutschland, sogar in Frankreich und Amerika eine breite Anhängerschaft unter Künstlern und Sammlern. Parallel dazu verlief eine, wieder aufflammende Begeisterung für den Surrealismus, dessen Vorläufer in alten Zeiten, häufiger in der Renaissance, dort als Manierismus, und im Barock zu finden sind. Die einzige, wirklich phantasievolle Ausdrucksform in der Kunstgeschichte, die Jahrhunderte überdauert hat und deren schöpferische Hervorbringungen alle Bereiche der sieben freien Künste befruchtet hat.

Die entsetzlichen Entgleisungen, Malverbote und Autodafés, die Kunstverfolgungen in der Zeit des Nationalsozialismus, gehören mit Sicherheit zu den Hauptgründen, warum wir uns besonders in Deutschland scheuen, moderne Kunst anzugreifen und abzulehnen. Mindestens zwei Jahrzehnte vor dem Bildersturm faschistischer Diktatoren, damit früher, als allseits angenommen, haben Künstler, meist technisch hervorragend, die Probleme ihrer Zeit erkennbar in einer hyperrealistischen, sezierenden Weise dargestellt. Daß diese Kunstform glücklicherweise nicht in allen Bereichen, zur allseits verachteten Blut-und-Boden-Kunst mutierte, ist sicher zum Teil dem Widerstandswillen dieser Künstler zuzuschreiben.

Natürlich gab es andere Künstler, die seit ihrer Ausbildung im neunzehnten Jahrhundert, bis in die vierziger Jahre traditionelle Malerei pflegten und darin Bedeutendes leisteten79). Sie hatten das Pech, daß die Führer dieses Unrechtregimes (mit Ausnahme Görings, Goebbels und sogar einiger SS-Größen) diese Malerei liebten und verehrten, deshalb über alle Maßen förderten. Alles, was nicht in diesen vorgegebenen Rahmen paßte, wurde vernichtet und unterdrückt. Daß dabei naturalistische Malerei zur politischen Werbung, zur ideologischen Unterstützung politischer Ziele eingesetzt wurde, versteht sich von selbst. Leider haben auch künstlerisch ambitionierte Emporkömmlinge ihre Chance bekommen, deren beklagenswerte Machwerke in den Katalogen der Großen Deutschen Kunstausstellung München und in Die Kunst im Deutschen Reich zu bewundern sind. Die politische und ästhetische Wertung dieser "Scheußlichkeiten" haben zahllose Publikationen seit 1946 übernommen.

Die heutigen Gegner naturalistischer Kunst machen oft, wider besseres Wissen oder weil sie es nicht besser wissen, keinen Unterschied zwischen der damals über Europa und Amerika etablierten Neuen Sachlichkeit und der bereits erwähnten Blut-und-Boden-Kunst. Deshalb wird jeder noch so zaghafte Hinweis auf viele bewundernswerte Künstler der 30er und 40er Jahre und jede extreme Ablehnung moderner Kunst dummerweise als faschistoid und reaktionär abgetan.

Muß ich deshalb heute Musik von Schönberg und Alban Berg mögen, weil sie in der Nazi-Diktatur abgelehnt wurde, oder sollte ich gar die Musik von Mozart und Wagner verachten, weil ein schizoider Goebbels sie liebte, darf ich Gemälde von Spitzweg noch ansehen, weil der erfolglose Maler Hitler diesen Maler liebte, muß ich einen Bildhauer wie Breker ablehnen, weil Herr Speer sich seiner bediente ? Soll ich Kunstwerke von Chirico, Sironi, Adolfo Wildt usw. verachten, weil sie durch Mussolini geduldet oder sogar teilweise als Kunst des Faschismus in die Ideologie der Bewegung mit einbezogen wurden ? Darf ich folglich nur Kunstwerke von demokratisch gesinnten Künstlern akzeptieren ? Diese grotesken Argumentationen des Für und Wider will ich nicht weiter verfolgen. Doch sehen wir an den Beispielen, wie die Einseitigkeit, mit der heute gemessen und verurteilt wird, das Votum für oder gegen eine naturalistische Malerei, heutige Generationen beeinträchtigt.

Wie viele Kunstwerke entstanden eigentlich während des 30jährigen Krieges unter der Ägide machthungriger Kriegstreiber, wieviel im Umkreis des größenwahnsinnigen Kriegstreibers und Schlächters Napoleon ? Ist Holbein zu verachten, der einem Frauenmörder diente ? Können wir noch ruhigen Gewissens die Kultwerkzeuge südamerikanischer Kulturvölker betrachten, die Ihren Gegnern die Haut vom lebendigen Körper abzogen ? Die Kunstgeschichte ist voll von diesen Beispielen. Was zählt, sind die Kunstwerke, nicht Ideologien und die Personen dahinter. Ein miserabler Charakter kann gleichermaßen ein bedeutendes Kunstwerk schaffen; was wissen wir, außer Anekdoten, über die persönlichen Eigenschaften von Dürer oder Rembrandt, Leonardo da Vinci, Botticelli oder Rubens ?

Wir haben die Kunstgeschichte festgeschrieben, durch Ergebenheit oder Bequemlichkeit festschreiben lassen. Wir haben uns daran gewöhnt etwas gut zu finden, weil es die Kunstgeschichte so will und weil wir in diesen Fällen nicht mehr unser eigenes, nicht vorbelastetes Urteil fällen können oder wollen. Und natürlich weil der Kunstmarkt eine beherrschende Rolle als Makler fiktiver Werte übernommen hat. Was für ein Mißbrauch von Freiheit und Liberalität. Aber es ist bequem, hinzunehmen. Wir scheuen das vermeintliche Risiko, uns und anderen Menschen einzugestehen, daß wir immer noch nichts mit Kandinskys Emotionalien, Kirchners Expressionen, Modersohn-Beckers Knollennasenfiguren, den Schnitzelbildchen Schwitters oder Mondrians Konstruktionen anfangen können, von deren sklavischen Nachahmern ganz zu schweigen, daß uns Musik von Ligeti, Nono, Schönberg und besonders Stockhausen auf die Nerven geht, und Skulpturen z.B. von Richard Serra für uns immer noch nicht mehr sind, als rostiges Eisen. Voluminös, doch nur aufgeblähte Formen aus rostigem Eisen. Es ist übrigens ganz interessant, daß ein Künstler wie Jeff Koons, auf Auktionen Gemälde der Renaissance für seine eigene Sammlung erwirbt.

Es ist kurios anzusehen, wie die internationale Kulturschickeria ihren Status, ihre Existenzberechtigung mit Zähnen und Klauen verteidigt, überdies auf Kosten jedes individuellen Verstandes. Und auf Kosten der Allgemeinheit. Wenn die Menschen gelernt hätten, ihren Gefühlen und ihrem natürlichen, allerdings gebildeten Verstand zu trauen, wenn sie über ihre Fähigkeiten nachzudenken bereit wären, wenn sie diese vor anderen Menschen offenbarten und wenn sie ihren ursprünglichen Bedürfnissen entsprechend handelten, gäbe es keine so große allgemeine Verunsicherung. Verdummung wie sie heute stattfindet, wäre nicht mehr möglich. Der subjektiven und ehrlichen Erlebnisfähigkeit des aufgeklärten Betrachters ist nichts wirklich entgegenzusetzen.

Leider sind wir manipulierbar und fatalerweise hat dieses Verhalten etwas mit mangelnder Intelligenz (im Sinne von Duldung von Vorgegebenem) zu tun. Sich einfügen und mitschwimmen auf den großen Wellen der Bequemlichkeiten. Diese Devise bestimmt das Bewußtsein unserer Gesellschaft. Angepaßtheit ist nun einmal der Schwachen Stärke.


Zur Kritik

Es sind die scheinbar objektiven Berichterstattungen und Kritiken von Ausstellungen und Kunstereignissen, die sich uns so darstellen, als seien sie im Sinne vorauseilenden Gehorsams geschrieben worden. Gehorsam gegenüber den mächtigen, vielleicht bekannteren, auf jeden Fall einflußreicheren "Kunstpäpsten".

Wenn ich provokativ fragen darf: Wer hat denn unter den heutigen Kunstkritikern und Kunstschriftstellern, a) die für eine sachliche Beurteilung, unbedingt notwendige, umfassende Bildung, b) das Rückgrat, c) die Persönlichkeit und d) die finanzielle Unabhängigkeit, gegen die Kunstgeschichte des letzten Jahrhunderts und deren heutige, fatale Nachwirkungen zu schreiben? Ich will nicht ausschließen, daß es unter Kritikern einige gibt, die im stillen Kämmerlein über den derzeitigen letalen Zustand der Kunstszene nachgedacht haben. Wahrscheinlich kommen sie sogar zu ähnlichen Schlüssen wie ich, können dank ihrer Ausbildung und Fähigkeiten auch besser formulieren als ich, aber auch vorsichtiger, vielschichtiger und deshalb nicht radikal genug. Die meisten aber schweigen, dulden und sorgen mit ihrer devoten Haltung dafür, daß ihr eigener Berufsstand immer mehr in Verruf gerät.

Nun leben Kritiker ja nicht nur von der Kunstbetrachtung. Sie schreiben darüber und werden von den Medien meist schlecht bezahlt. Als freier Mitarbeiter ist man heute mehr denn je auf Veröffentlichungshonorare, nach Anzahl der gedruckten Zeilen, angewiesen. Da könnte man Nachsicht üben, wenn man aufgeblähte, nichtssagende Artikel im Feuilleton einer Zeitung findet, die natürlich, konform zur vorhandenen Kunstansicht, absolut nichtssagend sind. Jedes Anschreiben gegen herrschende Kunststömungen birgt für Rezensenten die Gefahr, nicht nur selbst abwertend beurteilt, sondern überdies noch lächerlich gemacht zu werden. Die Unterstellung, daß sie deswegen vielleicht noch ihre Anstellung verlieren, maße ich mir nicht an.

Wer, neben Kritikern und Kunstschriftstellern, besitzt unter den Konsumenten die oben geforderten Eigenschaften? Ausnahmen sind hier die selbstbewußten Sammlerpersönlichkeiten, nicht die Anhäufer und Dekorateure, es sind die Leisen, die Gebildeten, die gefestigten Charaktere, die man zum Beispiel auf Auktionen alter Graphik und Handzeichnungen antrifft. Und natürlich Sammler moderner Kunst, die gegen herrschende Kunststömungen nur ihrem eigenen Anspruch verpflichtet sind. Hier wird noch mit dem Maßstab des Könnens die Spreu vom Weizen getrennt. Neben diesen sind es leider wenige, die sich ihre natürliche Entscheidungsfreiheit erhalten haben.

Kritiker und Sammler, die unsere Kunstgeschichte noch nicht einmal ernsthaft infrage stellen wollen, die zaghaft einen Gedanken an klassische, (sur)realistische oder naturalistische Kunstschöpfungen der Neuzeit verwenden, werden von gehirnlosen Zeitgeist-Mitläufern des nationalistisch gefärbten Rückschrittes in eine braune Barbarei bezichtigt.

Was bewegt eigentlich einen Kritiker, die Leistungen von Künstlern, schlimmer die Nicht-Leistungen, die doch, wie wir wissen sollten, nicht objektiv meßbar sind, zu beurteilen? Ich wünschte mir, daß Kritiker sich sinnvollerweise auf eine beschreibende Schilderung des Sichtbaren beschränken würden. In der Schule nannten wir so etwas Bildbeschreibung. Wir erinnern uns, daß dies nicht sehr einfach, andererseits durch Fortbildung des Sehverhaltens erlernbar war.

Vielleicht würden dadurch Zeilenhonorare80) für Kritiken, bei den heute in Ausstellungen zu beschreibenden Werken, auf Pfennigbeträge zusammenschrumpfen. Gewichtige Bücher würden überflüssig. Selbst diese wenigen, oft kläglich endenden literarischen Versuche, mit rühmlichen Ausnahmen, scheitern an nicht vorhandenem historischen Kunstgeschichtswissen, der Unfähigkeit und daraus resultierender Unwilligkeit, zeitgenössische Kunst mit einem (unbekannten) Maler des 16. Jahrhunderts oder einem attischen Vasenmaler vor zweitausendvierhundert Jahren zu vergleichen - ganz zu schweigen von vergleichsweisen Beurteilungen von Vätern der Moderne, deren mittlerweile zweiter oder dritter Generation von sklavischen Kopisten81), die heute den Kunstmarkt mit Marginalem überschwemmen. Sie scheitern ebenso an ihrer Unfähigkeit, mit einem Pinsel oder einem Stück Ton etwas zu gestalten, außer vielleicht in der Toscana-Ferien-Selbsterfahrungs-Werkstatt: "Wie befreie ich mich selbst, knete dir einen Topf - Wir aquarellieren auf Goethes Spuren". Vielleicht haben sie sich sogar als richtige Künstler versucht, sind gescheitert und wollen doch am allgemeinen Kunstgeschehen parasitär teilhaben.

Ihr Verständnis für Kunst hört dort auf, wo sie selbst an mangelndem Können gescheitert sind, denn nur bis zu ihrem eigenen Vermögen sind diese Krittler in der Lage, Kunstschöpfungen zu verstehen. Alles was über ihren Horizont geht, wird auf ihr mittelmäßiges Niveau herabgezogen und zurechtgestutzt. Welche Anmaßung! Mit dieser theoretischen und praktischen Ausbildung läßt man die Leute auf die Menschheit los. Wie unverantwortlich !

Wie bitte sollen diese ein Gemälde naturalistischer Darstellungsweise beschreiben; andererseits wie erklärt man ein Bild, bei dem nichts weiter zu sehen ist, als ein oder zwei Schnitte in einer Leinwand? Was ist auf einer monochrom bemalten blauen Leinwand mehr zu sehen als eine aufgespannte Leinwand, die blau bemalt ist?

Da liegt des verhinderten Malers oder Literaten große Chance, nur da kann er sich seine Daseinsberechtigung erschreiben. Da wird er Protagonist einer neuen, in der Zukunft Gott-sei-Dank wieder marginalen Kunstrichtung. Er ist ein kleines aber sehr nützliches Glied in der Kette von der Produktion bis zur Vermarktung von Kunstwerken. Erst durch die an sich unmögliche Entschlüsselung und Verklärung von Nichtvorhandenem, nicht Erkennbarem, macht er sich mitschuldig an der Trennung zwischen Kunstwerk und Betrachter. "Avantgardistische" Kunst ist ohne die Symbiose von Kritiker und Künstler und ohne die üblichen zeitgeistigen Mitläufer nicht denkbar. Sie bedingen einander.

Dieses Verhalten dient nicht der Kunst, es ist kontraproduktiv. Es ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für überflüssige Philologen (eigentlich: Freund der Wissenschaften, Sprachwissenschaftler/nicht Sprachvergewaltiger), Soziologen, Germanisten, Kunsthistoriker und Möchtegern-Kritiker.

Zu erklären, was der Künstler eigentlich mit seinem Machwerk ausdrücken wollte, allein nicht konnte, ist sein Aufgabenbereich. Er fühlt sich aufgefordert, den eigentlich wichtigsten Part in der Beziehung Künstler verso Betrachter zu übernehmen, besser, zu ersetzen. Da ist seine Fabulierfreudigkeit angesprochen. Er muß, um sich nicht selbst als höchst überflüssig zu empfinden, die Intentionen erfinden, die er dem Künstler unterschieben kann. Dieser verwahrt sich nicht dagegen, läßt es geschehen; muß er sich doch selbst nicht rechtfertigen, kann es eingedenk seiner eigenen Unfähigkeit kaum noch.

Der moderne Künstler hat seine Lektion gelernt, im Kunsttheater gerade noch die Rolle eines Chargen82) zu spielen, dies auch noch zu genießen, und dafür sogar, wenn er die Gruppe der oberen Tausend erreicht hat, hoch bezahlt zu werden. Schließlich drängt ihm die Gesellschaft diese Rolle so lange auf, bis er endlich in den Wahn verfällt, ein bedeutender Künstler zu sein.

Und was tun wir? Wir schauen uns diese sich ständig wiederholenden Dramen an, wir warten voller Demut und feuchten Handflächen immerfort auf neue Szenarien noch innovativerer Selbstdarsteller und Regisseure.

Wir erweitern durch angehäuftes hypothetisches Wissen und Duldung des Kunstgeschehens unseren Kunsthorizont, lassen zu, ja unterstützen durch fleißige Ankäufe für unsere Bibliotheken noch, daß kommende Generationen nicht mehr über hunderttausend dicke Kunstbücher, bis an den Rand gefüllt mit kruden Exegesen, hinwegsehen können. Denn wir glauben noch dem alten Satz, wenn auch etwas abgewandelt: Was du schwarz auf weiß besitzt, kannst du getrost, also im Vertrauen, nach Hause tragen. Den großen und kleinen Manipulatoren ist es gelungen, uns mit ihrem Ergebnis, daß 2 plus 2 gleich 5 sind, nicht nur zu erfreuen, sondern sie haben uns auch noch zu ihren Aposteln gemacht, die freudig ihre Botschaften unter den Menschen verbreiten.

Wir sind stolz darauf, daß sie uns gestatten ihre Botschaft devot anzunehmen, daß sie uns erlauben, zu ihnen als gleichberechtigte nun ebenfalls Wissende aufzusteigen zu dürfen.

Das Kunstwerk ist nur noch Mittel zum Zweck und nicht mehr Mittler zwischen Künstler Betrachter. Es hat sein Eigenleben aufgegeben, aufgeben müssen, zum Wohle der Kunstdoktrin und derer, die daran partizipieren.

Wenn ich den Versuch mache, ich gestehe es kostet mich Überwindung, einen Sammler-Käufer moderner, avantgardistischer83) Kunst nach seiner Motivation und den Kriterien seiner Kaufentschlüsse zu fragen, erhalte ich, wie heute üblich, einen Wust unverständlicher, angelesener Worthülsen und Ausweichmanöver: äh...tja...eigentlich ....weil...innovativ.... mit ... der Zeit gehen .... hochbedeutender, von Professor X protegiert ... exzeptionell... die Farben eben....sinnliche Erfahrung.... äh.....und schon im Museum... und so... Aha ! Für einen Wissenden mögen diese interessanten und entschlüsselnden Erklärungen ausreichen, für mich nicht.

Keiner dieser Sammler-Käufer und keiner der Förderer dieser Kunst ist wirklich in der Lage mir zu erklären, warum sie diese Gegenstände, diese zufälligen Abstraktionen, Dekorationen und Fundstücke, arrangiert und dekoriert als Raumkunst, sogenannte Installationen oder Honigpumpen mit Freude(?) erwerben um sie zu genießen. Es sei denn, sie zitieren irgendwelche Kulturidioten84), die ihnen, in der Sprache hyperintellektueller Philologen, des Kaisers neue Kleider anempfahlen.

Man betrachte die Ergüsse modernster Künstler und lese hierüber die Stellungnahmen ergebener, selbstverliebter Kunstschriftsteller. Freilich vergessen sie darüber die Kunst, die hernach sowieso nur noch Steigbügel für pseudophilosophische Essays ist. Die Auslegungen verselbständigen sich. Kaum einer dieser Apologeten der modernsten Kunst kann ansatzweise über den Sinn der Kunst nachgedacht haben und wenn, hat er mögliche Einsichten schnell wieder aus seinen Gedanken verscheucht; seiner eigenen beruflichen Aussicht wegen? Wer sägt gerne an dem Ast, auf dem er sitzt?

Ein Aspekt für die Schwemme auf dem Kritikermarkt könnte folgender sein: Kritiker, oder solche, die sich dafür halten, haben wahrscheinlich nie in Ihrem Leben (ich habe das schon angedeutet) Kunst produziert. Es drängt sie aber, wie so viele andere, parasitär am Kunstschaffen teilnehmende Bürger, etwas zu hinterlassen. Wie sagte doch schon unser großer, schwarzer Vorsitzender (und seit einigen Tagen auch unser kleiner, gelber Spaßmacher): "... wichtig ist, was hinten rauskommt !"

Etwas zu hinterlassen, was kommende Generationen an sie erinnert. Immer nur zusehen, wie man heute noch von Malern, Bildhauern, Graphikern und Architekten aus vergangenen Zeiten spricht, scheint für sie eine schier unerträgliche Qual zu sein. Also arbeiten sie besessen daran, ihren Marginalien zur Kunstgeschichte, das nötige Gewicht zu verleihen. Sie unterstützen sich gegenseitig in Ihrer Tätigkeit (wie die Krähen sich gegenseitig kein Auge aushacken) und preisen einander. Jeder noch so zaghafte Hinweis auf Ihre vorzüglichste Aufgabe wird gnadenlos abgeschmettert.

Statt dessen sammelt man ihre unqualifizierten Ergüsse in entsprechenden Institutionen, um sie mit ihrer ganzen Wichtigkeit und Wichtigtuerei der Nachwelt zu hinterlassen. Das ist schon ein wenig peinlich - finden Sie nicht auch?

Nicht die Kunst, die sie eigentlich besprechen sollten, hat Priorität, sondern ihre schriftstellerischen Zutaten. Niemand, der nicht kochen kann, wird in einem Restaurant ein Urteil über schlechte Küche abgeben. Er wird das Gericht essen oder nicht essen. Aber er sollte dem Koch nicht sagen wollen, wie er zu kochen habe.

Der Kunstfreund indes, nimmt hin, ohne zu hinterfragen.

Ephraim Kishon hat in seinem vergnüglich zu lesenden Theaterstück "Liebling, zieh' den Stecker raus, das Wasser kocht"85) über alle Maßen treffend den heutigen Kulturbetrieb karikiert - leider übertrifft ihn die Wirklichkeit. Er zitiert, in einem Prolog zum Buch, teilweise Picassos künstlerisches Testament, das ich hier natürlich allzugerne wiedergebe:

[...]; seit die Kunst nicht mehr die Nahrung der Besten ist, kann der Künstler sein Talent für alle Wandlungen und Launen seiner Phantasie verwenden. Alle Wege stehen der intellektuellen Scharlatanerie offen. Das Volk findet in der Kunst weder Trost noch Erhebung. Aber die Raffinierten, die Reichen, die Nichtstuer und Effekthascher suchen in ihr Seltsamkeit, Originalität, Verstiegenheit und Anstößigkeit. Ich habe die Kritiker mit zahllosen Scherzen zufriedengestellt, die mir einfielen und die sie um so mehr bewunderten, je weniger sie ihnen verständlich waren. [...]; Ich bin heute nicht nur berühmt, sondern auch reich. Wenn ich allein mit mir bin, kann ich mich nicht als Künstler betrachten im großen Sinne des Wortes. Große Maler waren Giotto, Tizian, Rembrandt und Goya. Ich bin nur ein Clown, der seine Zeit verstanden und alles herausgeholt hat aus der Dummheit, der Lüsternheit und Eitelkeit seiner Zeitgenossen [...];86)
Diesem Zitat ist nichts weiter hinzuzufügen.


Schluß

Es gibt in diesem Jahrhundert keine Genies in der Kunst. Da kann man sich noch so verzweifelt mühen, in einem Kandinsky oder Beuys den Genius87) zu finden, es sei denn, den des Verkäufers; sie bleiben, wie die meisten der anderen hochgelobten avantgardistischen Künstler, nur die Karikaturisten der vorhandenen geistigen Potenzen ihres Zeitalters. Berühmt sind sie geworden durch die Dummheit der Menschen, durch den enormen Einfluß der Medien und deren millionenfach reproduzierten, nachgeplapperten Huldigungen. Berühmt sind sie geworden durch die Mystifizierung ihrer Darstellungen, durch willfährige Jünger.

Wenn etwas Falsches oft genug nachgeahmt wird, so glaubt man schließlich an dessen insinuierten Wahrheitsgehalt.

Nicht die Seuchen der Avantgarde sind für mich Nachfolger früherer Malergenerationen. Die wirklichen Erben der Malerei heißen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts:
In den Niederlanden und Belgien:
Pyke Koch, A.C.Willink, Dick Ket, Paul Delvaux, René Magritte, James Ensor, Georg Minne, Emile Fabry, Léon Frédéric, Jean Delville, Gustave van de Woestyne, Valerius de Saedeleer;
in Polen: Ludomierz Slendziñski, Tamara Lampicka, Janina Prószyñska, Jan Zamoyski;
in Italien: Felice Casorati, Giorgio de Chirico, Giorgio Morandi, Giacomo Manzu, Alberto Savinio, Mario Sironi, Mario Broglio, Arturo Martini und viele andere;
in der Tschechoslowakei: Otto Gutfreund, Karel Dvorák, Mary Durasová, Frantisek Muzika, Josef Sima;
in Spanien: Ignacio Zuloaga, Salvador Dali, Feliu Elias;
in Deutschland: Max Klinger, Carl Grossberg, Käthe Kollwitz, George Grosz, Otto Dix, Christian Schad, Karl Hubbuch, Arno Breker (der Name tut besonders weh, nicht wahr?), Georg Kolbe, Franz Radziwill, Edgar Ende, Max Ernst und hunderte andere;
in den Vereinigten Staaten: Edward Hopper, Andrew Wyeth, Georgia O'Keeffe, Charles Demuth, Ivan Le Lorraine Albright, Dorothea Tanning, Charles Sheeler;
in England: Stanley Spencer, Roland Penrose, Edward Burra;
in Frankreich: Hans Bellmer, Leonor Fini, Marie Toyen, Pierre Roy, René Rimbert, Balthus, Jean Hélion, sogar Pablo Picasso hat zeitweise großartige Bilder gemalt, André Derain, Roger de La Fresnaye;
in Skandinavien: Georg Jacobsen, Otte Skøld, A.L.Fougstedt;
in der Schweiz: Théophile Robert, Niklaus Stoecklin, Felix Vallotton, François Barraud, Rudolf Wacker und Otto Meyer-Amden;
in Japan: Tsuguharu Foujita.

Für die zweite Hälfte des Jahrhunderts nenne ich stellvertretend: Rudolf Hausner, H. U. Saas, Mac Zimmermann, Isabella Quantilla, Richard Oelze, Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer, Volker Stelzmann, Arno Rink, Wolfgang Peuker, Karl-Georg Hirsch, Rolf Münzner, Peter Nagel, Horst Janssen, André Thomkins, Hermann Haller, und weitere Surrealisten und Realisten, besonders in China und der ehemaligen UdSSR, denen man, wenn überhaupt, nur am Rande Aufmerksamkeit schenkt.

Warum, zum Beispiel, werden zwei Generationen ostdeutscher Künstler, die eine hervorragende handwerkliche Ausbildung genossen haben, kaum im Westen wahrgenommen ? Sie haben ihre Zeit und Umgebung sehr subtil verarbeitet, kritisiert und dafür Nachteile oft schlimmster Art in Kauf nehmen müssen - allerdings für den auf Showeffekt geprägten Westler kaum spürbar. Oder soll ich davon ausgehen, daß die Westkunst nur Angst vor einem Vergleich scheut ?

Keiner dieser Künstler pflegt(e) einen platten Realismus, den man heute gleichfalls bei vielen Photorealisten (hervorragende Techniker zwar, aber leider ohne "Empfindung") sehen kann.

Zugegeben - es ist eine sehr von Vorlieben geprägte Auswahl von Künstlern die mir bekannt geworden sind - wie viele weitere mag es wohl geben, die durch eine schwachsinnige Bevorzugung von Alternativ-Kunst oder gar aus politischen Gründen in die Ecke der Ewiggestrigen gedrängt wurden und abwertend beurteilt werden?! Nach dieser schmalen Aufzählung darf keiner behaupten, daß diese Künstler unfähig waren oder sofern sie noch leben, nicht in der Lage sind, unsere Zeit mit zeitgenössischen Themen zeitgemäß zu schildern.

Welchen Stellenwert haben eigentlich die englischen und belgischen Symbolisten, der Spanier Mario Fortuny (mal davon gehört?!), Moreau, Blechen, Menzel, Spitzweg, Schinkel, Delacroix, Zorn, Krøyer, Leibl und die Münchner Schule? Haben Sie einmal daran gedacht, daß Goya erst 1828 gestorben ist?

Der "geringste" unter den oben genannten, den Malern des 19. Jahrhunderts, tausend andere kann ich nennen, übertrifft an technischem Können und Darstellungsvermögen alle hochgelobten Künstler des 20. Jahrhunderts.

Wir denken in unserer Vermessenheit und grenzenlosen Überheblichkeit noch nicht einmal daran, daß auf anderen Kontinenten und in anderen Kulturen, Kunstwerke lange vor unserer Zeitrechnung geschaffen wurden, deren ungebrochene Ausstrahlung und Modernität uns kaum bewußt ist; wir sie uns gar nicht erst bewußt machen, weil wir instinktiv Angst davor haben, daran gemessen zu werden.

Gönnen Sie sich doch einmal einen Blick auf die chinesische Malerei des 7. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung; Ich möcht wetten, daß Sie zumindest erstaunt sein werden, wenn Sie diese mit den Kunstschöpfungen des gleichen Zeitraumes auf dem europäischen Kontinent vergleichen.

Und - machen wir uns bitte klar, daß eine Handzeichnung Dürers gerademal soviel auf einer Auktion einspielt, wie ein Bild eines zeitgenössischen Scharlatans. Von den Preisen der Bilder, der Kunst-Ikonen van Gogh oder de Kooning, will ich nicht reden, da mir beim Gedanken daran die Galle hoch kommt.

Die Menschen - subsummarisch - sind offensichtlich völlig verblödet, anders kann ich solche Entwicklungen nicht mehr bezeichnen. Sie sind ungebildet und nicht mehr in der Lage oder Willens, Vergleiche aus ihrer eigenen Geschichte heranzuziehen. Man hat den Massen Freiheiten gegeben, mit denen sie nichts anzufangen wissen, weil man vergessen hat, ihnen den Sinngehalt dieses Begriffes zu erklären. Zur Freiheit gehört eben auch der Hinweis auf und dazu die unbeschränkte Sicht in die Vergangenheit.

Es sind, dank großzügigster, grenzenloser Freiheiten, sämtliche Grundsätze für Qualität abhanden gekommen. Diesen Verlust von Maßen nur auf die Kunst zu beziehen wäre zu einfach. Es ist ja nicht ausschließlich die Kunst, die von Enthemmungen und Fehlentwicklungen geprägt ist, es sind viele andere Lebensbereiche ebenso davon betroffen.

Ohne, durch Vergleiche mit Leitbidern, eigene Fähigkeiten zu messen und sich in ihrer Beschränktheit zu akzeptieren, ohne die notwendigen Regeln der Gesellschaft gegenüber einzuhalten, ohne sich selbst am Lauf der Geschichte zu messen, wird unsere Kulturgemeinschaft sicher nicht zusammenbrechen, Sie wird aber weiter verwässern. Jeder wird schrankenlos fordern, was ihm eingedenk mangelnden Könnens und/oder fehlender Intelligenz nicht zusteht.

Das ist die Entwicklung zur einer Art Anarchie (nicht im Sinne der Aufklärung, sondern im Sinne von Zügellosigkeit), die einem bequemen, liberalen und zudem noch falsch verstandenen und falsch vermittelten Demokratiebegriff beigesellt wird, wie etwa:

Demokratie (alle dürfen alles) = Maßlosigkeit (alle machen, was sie wollen) = Freiheit (keiner kann). Statt: Alle müssen dürfen. Wenige können. Diese dürfen, was sie können.

Ende des Textes


Liebe Leser,

der Hund bellte, wie Sie lesen konnten, die Karawane wird weiterziehen.

Wenn Sie bis hierher den Text gelesen oder überflogen, sich über meine Sprache amüsiert oder hier zuerst nachgesehen haben, was vermutlich bequemer war, dann erwarten Sie vielleicht eine Art Resumé von mir ?!

Also, vergessen Sie, was Sie gelesen haben, falls das nicht ohnehin schon geschehen ist, lehnen Sie sich wieder zurück in Ihren gestylten Sessel, im Bewußtsein Ihres unerschütterlichen Wissens und Glaubens an das, was Sie gelernt haben, unter Kunst zu verstehen. Schalten Sie regelmäßig Ihren Designfernseher an und zappen Sie, um sich zu informieren, durch die informativen, intelligenten Kulturprogramme der ausgewogen, paritätisch besetzten Sender, mit Berichten zu avantgardistischen Kunstevents. Vielleicht lesen Sie 'mal wieder ein modern hergestelltes Buch, von einem ebenso modern schreibenden Schriftsteller; informieren Sie sich durch Zeitgeistzeitschriften. Oder gehen Sie in eine moderne Galerie, ein modernes Museum, in eine avantgardistische Oper, in ein modern inszeniertes Theaterstück, lassen Sie sich durch moderne Texte und Inszenierungen eine wohlige Gänsehaut wachsen, hören Sie moderne Musik, gehen Sie in moderne Lokale, bestellen Sie bei einem modernen Ober und essen Sie frugale Gerichte von minimalistisch kochenden Köchen, präsentiert auf gigantischen Platztellern und pflegen Sie weiterhin, dem Zeitgeist entsprechende, oberflächliche Beziehungen zu Ihren Mitmenschen.

Denken Sie, und dies wird Sie ja wohl kaum überfordern, zeitgeistig, denn Zeitgeist ist der einzige Geist, der nicht weh tut. Das Verdauen von Vorgekautem sättigt schneller. Sie fühlen sich wohl in diesem Pfuhl, nicht wahr? Sie fühlen und genießen es, daß Sie sich durch nichts von einem Menschen unterscheiden, der im Hier und Heute lebt, der in der liberalen Soße des politisch korrekten Gutmenschen mitschwimmt.

Sie können deshalb mit Recht behaupten, daß Sie ein durch und durch moderner, aufgeschlossener Mensch und zeitgeistiger Mitläufer sind.

Gute Nacht lieber Leser, schlafen Sie auch weiterhin gut - Ihr moralinsaurer

Volkert Emrath
Berlin 1995 und 2005

 


 


Fußnoten zum Text

  1. Man muß sein Glaubensbekenntniß von Zeit zu Zeit wiederholen, aussprechen, was man billigt, was man verdammt; der (sic!) Gegentheil läßt's ja auch nicht daran fehlen. Goethe

  2. Aufrichtig zu sein, kann ich versprechen, unparteiisch zu sein aber nicht. Goethe

  3. Botero, der berühmte Kunstwerke vergangener Zeiten aufbläst wie einen Luftballon und hemmungslos zitiert, ist ein wunderbares Beispiel. Ebenfalls die sogenannten Jungen Wilden, die ebenso rücksichtslos die Expressionisten kopieren, oder jener bestimmt schon über 50jährige Künstler mit seinen krakligen Strichmännchen, der nicht nur (wie er stets betont) immer 12 Jahre alt sein möchte, sondern dieses Alter in seinen Arbeiten auch repräsentiert, nur auf viel, viel größeren Flächen. Hier werden nicht nur Klee's Intentionen, sondern auch noch seine Arbeiten ausgebeutet. Eingegangen in die moderne Kunstgeschichte ist auch der Satz, daß Künstler wie kleine Kinder sein sollen. Gegen deren goldige Naivität ist ja nichts zu sagen, aber müssen sie dann auch noch malen? Man stelle sich Michelangelo mit einem Finger in der Nase und Kohlestift in der Hand vor, die Fresken der Sixtinischen Kapelle skizzierend...? (e)

  4. [... ]; ist doch die Wissenschaft überall dazu da, die Praxis zu erleichtern, indem sie erkennen läßt, was wesentlich und was unwesentlich ist [...]; Aus Künstlerkreisen ist mir gelegentlich ein Einwand gemacht worden, den ich gleich hier bekämpfen möchte. Es ist dies die Befürchtung, daß durch wissenschaftliche Erörterung die künstlerische Inspiration gehemmt und das Kunstwerk nüchtern gemacht würde. Hier handelt es sich ja doch zunächst nur um das rein Handwerksmäßige der Kunst; es scheint mir keinem Zweifel unterworfen, daß alle Künstler um so freier schaffen werden, je sicherer sie das Handwerk beherrschen. Wilhelm Ostwald, Malerbriefe, Beiträge zur Theorie und Praxis, Leipzig 1904

  5. [...]; Die Kunst hat den Boden des Handwerks verlassen und entbehrt daher ihrer sicheren Grundlage [...]; Die Gesetze des Materials gelten für alle Maler, gleichviel welcher Richtung sie angehören. Ohne diese Grundlagen sind wir Sklaven des Materials oder, wie Böcklin sagte, Abenteurer, gegenüber der festgefügten Tradition der Alten, bei denen einer auf den Schultern des andern stand [...]; ..so muß man über die Sorge mancher Maler von heute lächeln, die glauben, ihre Persönlichkeit könnte darunter leiden, wenn sie sich mit dem Handwerklichen ihrer Kunst näher befassen sollen. Max Doerner, Malmaterial und seine Verwendung im Bilde, München 1921

  6. Immer wieder hat es auch im 20. Jh. Künstler gegeben, die ihre Kollegen aufgerufen haben, sich zu besinnen, wie zum Beispiel Giorgio de Chirico, dem man gewiß nicht nachsagen kann, daß er im ideellen Sinne Traditionalist sei.
    [...]; Die wenigen Maler, die ihre Sinne beisammen haben und klar blicken, schicken sich an, zu der Malwissenschaft zurückzukehren, die den Prinzipien und Lehrsätzen unserer großen alten Meister folgt. Die großen Meister haben uns vor allem das Zeichnen gelehrt. Die göttliche Kunst des Zeichnens bildet die Grundlage einer jeden Komposition; sie ist das Skelett eines jeden guten Kunstwerkes; sie ist ein göttliches Gesetz, das jeder Künstler befolgen muß. Die modernen Maler, ich betone alle, die Dekorateure der Parlamentsäle und die diversen Professoren ehrenhalber miteingeschlossen, haben die Zeichnung links liegengelassen, sie vernachlässigt und verunstaltet. [...]; Bei der Rückkehr zum Handwerk müssen unsere Maler sehr auf die Perfektion ihrer Mittel bedacht sein. Leinwand, Farben, Pinsel, Öle und Firnisse soll man nur in hoher Qualität wählen. Die Spitzbüberei und Amoralität der Fabrikanten und die Hast der modernen Maler haben die Händler ermutigt, schlechte Ware zu verkaufen. Sie wissen nur zu gut, daß kein Künstler reklamieren würde. Es wäre gut, wenn die Maler den hochzuschätzenden Brauch wiederaufnähmen, Leinwand und Farbe selbst herzurichten. Gewiß, das fordert etwas mehr Geduld und Arbeit. Eines guten Tages aber wird der Maler begriffen haben, daß er ein Bild nicht in allerkürzester Zeit ausführen darf, nur um es in einer Ausstellung zu zeigen oder an den Händler verkaufen zu können, daß er vielmehr lange Zeit, ganze Monate oder Jahre an einem Bild arbeiten sollte, so lange, wie er sich noch nicht zur Vollendung durchgearbeitet hat und sein Gewissen noch nicht ganz beruhigt ist. Wenn der Maler das eingesehen hat, wird es ihm leichtfallen, ein paar Stunden des Tagewerks für die Zubereitung seiner Leinwand und das Reiben der Farben zu opfern. Er kann das mit Sorgfalt und Liebe tun. Es kostet weniger Geld; er versorgt sich mit Material, das sehr verläßlich und dauerhaft ist. [...]; Wenn Ingres malte, hatte er mehr als hundert Pinsel erster Qualität zur Hand, alle auf das beste gewaschen und getrocknet und für den Gebrauch bereit. Heute rühmen sich die Avantgardisten, mit zwei Dekorationspinselchen zu malen, die ausgetrocknet und hart sind und niemals von irgend jemandem gewaschen wurden. [...]; Il ritorno al Mestiere, in "Valore Plastici", 1.Jg. 1918/19

  7. Gerade in diesen von öffentlicher Hand geförderten, mit Steuermitteln finanzierten Institutionen müßte man darauf achten, daß der Handelswert eines Kunstobjektes nicht auch noch durch selbstzerstörerische, schlechte Handwerksarbeit minimiert wird. e

  8. Vor einigen Tagen erhielt ich in anderem Zusammenhang von einem Sammler ein Gemälde auf Leinwand, mit einigen offensichtlichen Kratzern und Abplatzungen. Als ich den Sammler darauf hinwies, wurde mir gesagt, dies sei so vom Künstler (einem Professor) gewollt. Schlimmer noch - jener empfahl seinen Schülern, weniger rücksichtsvoll mit ihren eigenen Werken umzugehen, um ihnen angeblich ihre Noch-Bedeutungslosigkeit bewußt zu machen. Ja da stimmt doch irgend etwas nicht im Kopf dieses Professors. (e)

  9. Darstellungen, die dem Bereich der bildenden Kunst zugeordnet werden, sind leider heute mehr oder weniger Mittel zum Zwecke eines sich verselbstständigenden Exhibitionismus der Künstler. Gegen Selbstdarstellung ist im Prinzip ja nichts einzuwenden, aber ist dafür die Malerei als Trittbrett notwendig ? (e)

  10. Wer hat diese Selbstdarsteller nicht schon einmal in einer Ausstellung oder im Fernsehen gesehen, wer hat nicht schon einmal über sie gelesen, selbst in primitivsten Klatschkolumnen, in schicken Kunstjournalen oder sogar in ernstzunehmenden Zeitschriften. Wer hat nicht schon diese eitle Pfauengemeinde erlebt, deren Worthülsen gelauscht, ihrem selbstzufriedenen Händereiben beeindruckt zugesehen und gebannt an Ihren Sprechblasen gehangen - statt sich ihre Kunst-Produkte anzusehen. Da ist sich ein Künstler nicht zu schade, mit Fett, Filz und Honig eine angeblich neue Kunstzeit (die wievielte?) einzuleiten, er wird durch ein völlig gedankenloses Publikum auch noch zu einem der größten Künstler des 20. Jahrhunderts stilisiert. Da hält sich ein, eigentlich marginaler, offensichtlich an Megalomanie leidender, heutiger Kunstakademiedirektor gar für einen Malerfürsten und läßt es wohlgefällig zu, daß ihn seine Schüler mit "Meister" anreden, eine reine Lachnummer. Sie alle machen sich und ihre eulenspiegelnde Kunst so außerordentlich wichtig, daß einem das Kotzen kommen müßte, wenn man nicht gleichermaßen Entzückensschreie über Ihre zwar alte, aber immer noch geniale Verkaufsmethode ausstoßen müßte. (e)

  11. Es gibt sogar Künstler, die die schnelle Auflösung ihrer Schöpfungen zum künstlerischen Credo verklären. Als wüßten wir nicht, daß unsere Gesellschaft seit Beginn ihrer, uns bekannt gewordenen Existenz, die bewußte Zerstörung der Sinne, den gezielten Verfall, wenn nicht zum Prinzip erklärt, so doch geduldet hat. Die Versuche, dem entgegenzuwirken, sind seit Jahrhunderten immer wieder gescheitert oder verwässert worden. Aber warum nur erinnern wir uns mit Freude und Genuß an die großen kreativen Herrscher, die Philosophen und Künstler vergangener Zeiten ? (e)

  12. Zu den problematischsten Aufgaben eines Restaurators gehört es, sich mit einem zeitgenössischen, nur auf einer Idee beruhenden Bild herumzuärgern. Nichts fürchtet er mehr, als Kunstwerke, die mit modernen Maltechniken hergestellt wurden. Andererseits bietet diese Technik der Zuliefererindustrie von Restaurierungsmaterial eine neue, und konstant steigende Einnahmequelle. (e)

  13. Hergestellt durch Zermahlen von mit Asphalt imprägnierten Mumienteilen. (e)

  14. "Gute bensel machen lustige moler, böse bensel machen manchen Sudler!", aus dem "Illuminierbuch" des Valentin Boltz von Ruffach, 1549

  15. In einigen Bereichen können Ihnen natürlich auf diese Fragen auch Bücher helfen, die sich mit der Technik der Malerei beschäftigen. Bei den Literaturhinweisen am Ende meines Textes nenne ich einige davon. Die Inhalte aller genannten Titel haben mir ein mindestens 6semestriges Studium ersetzt. Ein mühsamer Weg war das, wenn man keinen "Meister" hat, aber durch eigene Experimente bleibt auch das Erlernte sicherer haften. (e)

  16. Wenn ich von liberalen Ideen reden höre, so verwundere ich mich immer, wie die Menschen sich fern mit leeren Wortschällen hinhalten: Eine Idee darf nicht liberal sein! Kräftig sei sie, tüchtig, in sich selbst abgeschlossen, damit sie den göttlichen Auftrag, produktiv zu sein, erfülle! Goethe

  17. Kein Wunder, daß wir uns alle mehr oder weniger im Mittelmäßigen gefallen, weil es uns in Ruhe läßt; es gibt das behagliche Gefühl, als wenn man mit seines Gleichen umginge. Goethe

  18. Niemand auf der Welt bekommt so viel dummes Zeug zu hören wie die Bilder in einem Museum. Jules de Goncourt.

  19. Das gilt für die Disziplin darstellender Kunst wie auch für Musik und Literatur. Wie ist es möglich, daß jeder mittelmäßige Schlagersänger sich in der Schauspielerei verdingt oder umgekehrt, sie sich im Wahn grenzenloser Selbstüberschätzung sogar Künstler nennen? Wie sonst könnte sich ein Fußballspieler (ich liebe Fußballspiele!) erlauben, eine Biographie zu schreiben, bzw. schreiben zu lassen. Wie ist es möglich, daß schale, tumbe Sportler zu aktuellen Ereignissen der Politik befragt und deren Antworten dann auch noch in den Medien kommentiert werden ? (e)

  20. Wenn ich häufiger von Bildung schreibe, so verwende ich diesen Ausdruck auch im Sinne von "geschult durch Vergleiche" oder "sachverständig durch eigene Urteile" (e)

  21. Bei den Tibetern der 7. Sinn

  22. Eine Fettecke von Beuys ist materialbedingt zu definieren, selbst wenn sie dekorativ in der Ecke eines Zimmers hängt; auch ideologisch unterfüttert bleibt es Fett - in diesem Fall sogar noch ziemlich unmotiviert - in einer Zimmerecke. Beispiele ähnlicher Macharten (Legion ist deren Name) als Kunst ausgegeben, sind pure Unverschämtheiten. Doch bin ich nicht sicher, ob Beuys zu den Eulenspiegeln gehört ?! Ich wage nicht, mir diese Frage eindeutig zu beantworten. (e)

  23. [...]; Ferner sollte man nicht vergessen, daß die meisten echten Künstler es vorziehen würden, wenn man über sie keine Biographie schriebe. Ein echter Künstler glaubt, daß er auf der Welt ist, um eine bestimmte Aufgabe, die durch das ihm verliehene Talent bestimmt wird, zu erfüllen. Sein persönliches Leben liegt natürlich ihm selbst und, wie er hofft, auch seinen persönlichen Freunden am Herzen, aber er glaubt nicht, daß es das Publikum etwas angeht oder angehen sollte [...]; . Auden

  24. Goethe, in seinen Traktaten zur Farbenlehre, hat die Problematik der Wirkung von Farben auf den Menschen sehr anschaulich, durch, für jeden nachvollziehbare, eigene Experimente und Beobachtungen in der Natur, in seiner Farbenlehre dargestellt. (e)

  25. Es gibt keine meßbare, weder alte noch neue, gar objektive Ästhetik; allenfalls von verschiedenen Gesellschaftsordnungen in verschiedenen Zeiten, mannigfaltige, abhängige unterschiedliche Betrachtungsweisen. Womit zumindest auch die Frage nach einer dem Kunstwerk anzumutenden ideellen Qualität beantwortet sein sollte (handwerklichen Fähigkeiten sind dagegen sehr wohl nach einem, hier nicht näher zu erläuternden, Qualitätsbegriff zu beurteilen). (e)

  26. Man sagt: Das Adleraugeder Kritik. In vielen Fällen wäre es besser zu sagen: Die Hundsnase der Kritik. Lichtenberg

  27. Geschmack ist das Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen oder Mißfallen ohne alles Interesse. Der Gegenstand solchen Wohlgefallens heißt schön. Kant

  28. Natürlich gibt es Ausnahmen; die schlichten und praktischen Truhen, Tische und Sessel der Gotik, die sinnvollen, aus heimischen Hölzern gebauten, sogenannten Biedermeiermöbel (welch schreckliches Wort), Gebrauchsgegenstände des Bauhauses, nicht zu vergessen die Gebrauchsgeräte-Kultur der Shaker und heutige materialbedingte Verbesserungen der Wohnkultur-Landschaft. (e)

  29. Tacitus (ca.55 bis 120) berichtete über die Germanen: [...]; nehmen sie rohes Gebälk, ohne Bedacht auf äußere Schönheit. Einige Stellen übertünchen sie besonders sorgfältig mit einer so reinen und glänzenden Erdart, daß es wie Malerei und Farbenzeichnung aussieht [...]; kein Prunken mit der Ausrüstung; nur die Schilde bemalen sie mit auserlesenen Farben [...];

  30. Ich glaube, daß dieser Begriff seit vielen Jahren mißverständlich interpretiert und verwendet wird. Es kann keine Freiheit der Kunst geben, sowenig wie es Freiheit im Denken und Handeln geben kann. Alle Begriffsformulierungen, die sich auf das Wort Freiheit beziehen, scheitern an den Grenzen unserer Vorstellungskraft, die, bedingt durch subjektive Erfahrungen, Bildung, gesellschaftlichen Rang und Herkunft keine objektive Interpretation zulassen. Diese "Objektivität" wäre aber notwendig, vorhandene Grenzen, einer zu definierenden Unfreiheit, zu überschreiten, die uns die Kunst, natürlich auch die Gemeinschaft in der wir leben, setzen. Der Begriff Freiheit in der Kunst wird leider von genialen Dialektikern dazu benutzt, jede noch so unsinnige und zudem überflüssige neue Kunstrichtung in der Welt zu etablieren. Nur weil sie neu ist, und ohne der Allgemeinheit auch nur die kleinsten Chancen zum Widerspruch zu ermöglichen. Im Namen der Kunst wird so Druck ausgeübt, dem man sich nur durch kräftiges und andauerndes Nachdenken widersetzen kann. (e)

  31. "Erweiterter Kunstbegriff". Ich weiß nicht, wann dieses Doppel-Unwort zum erstenmal auftauchte; es wird mir aber in Gesprächen häufiger vorgehalten, wenn es darum geht, mir moderne Kunst zu erklären. Kunst, das wissen wir, läßt sich nicht objektiv definieren - also kann man diesen Begriff auch nicht erweitern, es sei denn, daß man davon ausgeht, daß Kunst schaffen, eine in jedem Menschen vorhandene Eigenschaft ist. Ist sie das, so ist der Begriff Kunst überflüssig, da nun alles, was der Mensch hervorbringt, Kunst, also Können wäre. Folglich wäre auch eine Erweiterung des Begriffes unnötig. Erweitern kann man eine Hose, weil sie einem zu eng wurde; das ist real und nachvollziehbar. Kunst ist an sich ein verschwommener Begriff, das Produkt kann man haptisch, die Aussage kann man körperlich nicht begreifen. Aber was nicht begreifbar ist, kann man erst recht nicht erweitern. Oder? Um was bitte? Dienen diese Termini nur dazu, jeder noch so überflüssigen neuen Kunstrichtung einen Weg zu bahnen und um gleichzeitig (mit Hinweis auf die Freiheit der Kunst) jede Kritik daran zu ersticken? Wenn man also unfaßbares, nicht erklärbares, erweitert, so wäre es doch interessant zu erfahren, wohin uns diese unendliche Begriffserweiterung führt. Wenn ich mir demnach in einem Lokal Pfifferlinge bestelle, aber Kartoffeln in Form von Bananen erhalte und mir der Koch sagt, es seien Pfifferlinge, ich müsse dies nur unter dem Aspekt "erweiterter Pilzbegriff" sehen, ich könne aber voll Vertrauen an Pilze glauben und sie, wenn ich mir nur Mühe gäbe, schmecken, so meine ich, daß ich ein Recht auf Protest habe. (e)

  32. Es ist alles Kunst was machbar ist; dieser Satz entbehrt der Logik. Wäre dem so, gäbe es natürlich auch den heute üblichen Terminus Kunst nicht mehr. Da hilft auch keine philosophische Betrachtung. (e)

  33. Erinnern wir uns daran, wie schwierig es für Dürer war, seine Illustrationen für das Gebetbuch Kaiser Maximilians bezahlt zu bekommen. Man lese seine (vorsichtigen) Klagen in seinen Aufzeichnungen. Hans Rupprich, Schriftlicher Nachlaß Dürers, Berlin 1956-1969. Das Verzögern oder Verweigern von Zahlungen an Künstler hat Tradition. Schon Phidias (Pheidias), Athen 5.Jh.starb wegen angeblicher Veruntreuung im Gefängnis. (e)

  34. Die Allegorie verwandelt die Erscheinung in einen Begriff, den Begriff in ein Bild, doch so, daß der Begriff im Bilde immer noch begrenzt und vollständig zu halten und zu haben und an demselben auszusprechen sei. Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, daß die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich bleibt. Goethe

  35. Auf Kinder wirkt das Vorbild, nicht die Kritik. (Thiersch, über christliches Familienleben). Das stimmt natürlich, aber warum plagt man heute Kinder immer noch mit schlechten Beispielen?

  36. Herwarth Walden, Das Wissen um die Kunst, in: Einblick in Kunst, Sturmverlag 1924. Auf dieses Vorwort der Bibel für moderne Kunst gehe ich später noch einmal ein. Das Vorwort rechtfertigt, durch alle dort angesprochenen Themen, meine Gründe, sogenannte moderne Kunst anzugreifen. (e)

  37. Heute bewundert man Skizzen früherer Malergenerationen ihrer Spontaneität wegen. (übrigens hat Umberto Eco in seinem Buch Im Labyrinth der Vernunft, Reclam-Verlag Leipzig 1990), versucht, das Wort Skizze bis zum Wort Kitsch etymologisch zu verfolgen). Skizzen waren, so grandios sie uns auch erscheinen mögen, wie wir wissen, nur dazu da, Farb- oder Motivwahl kurzfristig festzuhalten, um als Erinnerungsstütze dem Künstler im Atelier zu dienen. Sie waren nie reiner Selbstzweck, sie haben erst durch die heutige Kunst-Betrachtungsweise ihre Bedeutung erlangt. Statt moderne Malerei an der Kunst der Alten zu messen, vergleicht man deren Skizzen mit den Werken heutiger Künstler. Man zäumt das Pferd vom Schwanz auf. (e)

  38. Carl Hofer hat, unter anderem in diesem Zusammenhang von Tapetenkunst gesprochen. Ein schöner Vergleich, ohne jetzt wieder alle Designer von Tapeten zu beleidigen, denn die wissen ja, was sie sinnvoll gestalten, schätzen ihre Fähigkeiten richtig ein und überschreiten nicht ihre Befähigung. (e)

  39. Einmal selbst sehen ist mehr wert als hundert Neuigkeiten hören. Aus Japan

  40. In Museen ausgestellte Ausnahmen sind: Die surrealistischen Kunstwerke von Max Ernst, Salvador Dali, Ren' Magritte und Horst Antes. Für die naturalistische, zeitgenössische Darstellung fallen mir nur einige wenige Künstler ein, wie Andrew Wyeth, Edward Hopper und Alex Colville, die aber mehr in amerikanischen Museen zu finden sind. In spanischen Sammlungen kann man, wenn man Glück hat, die hervorragend gemalten realistischen Arbeiten der Isabella Quantilla und deren Künstlerkollegen sehen. In Deutschland wird man vergebens Ausschau nach gleichwertigen Arbeiten in Museen suchen, obwohl sie in den 70er Jahren angekauft wurden; z.B. Vogelgesang, Petrick, Nagel, Dichgans. (e)

  41. Bewußt habe ich diesen Zeitraum, Zwischenspiele genannt. Tatsächlich gibt es keinen eng einzugrenzenden Zeitraum für naturalistische Malerei. e

  42. Entarten; seine Art verlieren und eine schlechtere annehmen. Im Nationalsozialismus wird "entartet" zu einem Schlüsselbegriff der Propaganda gegen die moderne Kunst; siehe dazu die Ausstellungen Entartete Kunst (München 1937) und Entartete Musik (Düsseldorf 1938); heute unterliegt "entartet" einem sprachlichen Tabu und wird im Kulturbereich nicht mehr zitiert oder bewußt negativ belegt. Als Ersatz für diesen Begriff verwendet man im Bereich des Kunstschrifttums "depraviert, Depravation" oder, wenn es denn lateinisch sein soll: depravatio, Begriffe, die letztlich auch nichts anderes bedeuten als entartet. (e)

  43. Die abstrakt-konstruktivistische Kunst der frühen 20er Jahre in Rußland, ist an ihrem eigenen, politisch revolutionären Anspruch und dem Unverständnis ihrer Aussage gescheitert. Sie wird aber in westlicher Kunstgeschichte als Beweis für die Überlegenheit des kapitalistischen Systems gefeiert, indem man sie lobt (ihres Inhaltes beraubt), interpretiert (einen neuen Inhalt insinuiert), ausstellt (damit verbürgerlicht) und gleichzeitig zum Handelsobjekt macht (was unverständlich ist, muß nicht unbedingt auch schlecht verkäuflich sein). (e)

  44. Warum reagieren wir eigentlich nicht, wenn sich derzeitige Mandatträger nicht scheuen, eine "Documenta" hochzuloben oder sogar mit Ihrer Anwesenheit zu beglücken. Warum fragen wir nicht endlich nach, was ein Gremium daran findet, 3000 Wackersteine verlegen zu lassen, ein sinnloses Loch bohren zu lassen, diese eulenspiegelnden Kunstaktionen auch noch zu finanzieren? Vielleicht glauben sie, mit ihrem Schweigen und Zugeständnissen, Kunstverstand dokumentieren zu können. Sie gelten aber auch noch als besonders innovativ und liberal - dem zeitgenössischen Kunstschaffen gegenüber aufgeschlossen. (e)

  45. Hier auch noch diesen Begriff zu definieren, führte zu weit. Welche Epoche ist in der Rückschau eigentlich nicht menschenverachtend? (e)

  46. Das Museum Ludwig in Köln zum Beispiel, zeigt in größerer Anzahl Werke der sozialistischen Länder. Abstrakte Kunst ebenso, wie typisch sozialistische naturalistische Malerei. (e)

  47. Natürlich wollen wir, wenn wir in Museen gehen, keine Rumpelkammern oder Gruselkabinette vorfinden, in denen alles gezeigt wird, was jemals produziert wurde. Um eine Auswahl unter Vorhandenem zu treffen, ist Subjektivität nicht schädlich; grundsätzlich aber sollte den Auswahlkriterien ein umfassendes Wissen zugrunde liegen, um Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Erst dieses Wissen rechtfertigt die Stellung von Museumsdirektoren, nicht Beziehungen oder Parteibuch. Die Auswahl unter zeitgenössischen Kunstwerken darf aber weder nach den Gesetzen des Kunstmarktes betrieben werden, noch kurzfristigen Modeerscheinungen nachgeben. (e)

  48. Man komme mir jetzt nicht mit einer Verschwörungstheorie, der ich anhängen könnte. Unsinn!!. Um einer Manipulation zum Erfolg zu verhelfen genügt auch das Schweigen zu unseriösen Ansprüchen. Auch im Dulden kann eine Mitschuld liegen. Wir wissen das aus der Geschichte. (e)

  49. Das, was wir heute an Mitteilungen durch Kunstwerke erhalten, läßt einige Rückschlüsse auf deren Schöpfer zu. Mir fallen dazu nur Bezeichnungen ein, die einem sprachlichen Tabu unterliegen. (e)

  50. [;...]; "So hat man in der Ästhetik über die Geschlossenheit und Offenheit eines Kunstwerkes diskutiert. Diese beiden Termini meinen einen Aspekt des Kunstgenusses, den wir alle aus eigener Erfahrung kennen, und den zu bestimmen wir uns oft gedrungen fühlen. Einerseits ist ein Kunstwerk nämlich ein Objekt, in dem sein Schöpfer ein Gewebe von kommunikativen Wirkungen derart organisiert hat, daß jeder mögliche Konsument [...]; das Werk selbst, die ursprüngliche vom Künstler imaginierte Form nachverstehen kann. In diesem Sinne produziert der Künstler eine in sich geschlossene Form und möchte, daß diese, so wie er sie hervorgebracht hat, verstanden und genossen werde. Andererseits bringt jeder Konsument bei der Reaktion auf das Gewebe der Reize und dem Verstehen ihrer Beziehungen eine konkrete existentielle Situation mit, eine in bestimmter Weise konditionierte Sensibilität, eine bestimmte Bildung, Geschmacksrichtungen, Neigungen, persönliche Vorurteile, dergestalt, daß das Verstehen der ursprünglichen Form gemäß einer bestimmten individuellen Perspektive erfolgt. [...]; ist ein Kunstwerk eine in ihrer Perfektion eines vollkommen ausgewogenen Organismus vollendete und geschlossene Form, doch auch offen, kann auf tausend verschiedene Arten interpretiert werden, ohne daß seine irreproduzible Einmaligkeit davon angetastet würde. Jede Rezeption ist eine "Interpretation" und eine Realisation, da bei jeder Rezeption das Werk in einer originellen Perspektive neu auflebt". (Ich denke, daß man diese Aussage ebenso auf die Malerei beziehen kann). U. Eco, "Im Labyrinth der Vernunft", Reclam-Verlag Leipzig 1989, unter dem Abschnitt Widersprüche der Avantgarde (im Zusammenhang mit, durch die Rezipienten interpretierbare, Musik)

  51. Sie peitschen den Quark, ob nicht etwa Crême daraus werden wolle. Goethe

  52. Das eigentlich Unverständige sonst verständiger Menschen ist, daß sie nicht zurechtzulegen wissen, was ein anderer sagt, aber nicht gerade trifft, wie er's hätte sagen sollen. Goethe

  53. Man hat als Dialektiker ein schonungsloses Werkzeug in der Hand. Man kann mit ihm den Tyrannen oder den Trottel machen; man stellt ihn bloß, indem man (sprachlich) siegt. Der Dialektiker überläßt dem Gegner den Nachweis, kein Idiot zu sein - er macht wütend, er macht zugleich hilflos. Der Dialektiker depotenziert den Intellekt seines Gegners. Friedrich Nietzsche, (sinngemäß aus dem Gedächtnis zitiert)

  54. Unbildung möchte ich nicht mit Dummheit verwechselt wissen. Ich halte Unbildung für ein Manko, das jeder nach seiner Befähigung durch Weiterbildung tilgen kann. Dummheit kann nicht durch Weiterbildung eliminiert werden, sie ist angeboren. Sie wird aber auch von der Masse gebildet, die durch die Gewohnheit, ihr Denkvermögen niemals anzustrengen, die Fähigkeit zum Denken verloren hat. (e)

  55. Siehe Feuilletonseiten der Tageszeitungen, Kunstzeitschriften und in: Ephraim Kishon, Picassos süße Rache, Langen Müller Verlag, 1995

  56. Da macht sich eine, wörtlich zu verstehen, ungebildete Kunstgemeinde gemein mit Scharlatanen - nur um nicht als ungebildet zu gelten. Das ist pervers. (e)

  57. Kann man den Erklärungen folgen, so wird man feststellen, daß sie nichtssagend und blöde, in sich unschlüssig sind, und schon in statu nascendi sich selbst als überflüssig beweisen. (e)

  58. Ein schönes, besser ein zutreffendes Wort. Ich benutze es aber ungern, da es durch Eichlers Buch Künstler, Könner, Scharlatane, einen für die Kunst-Fachpresse degoutanten Beigeschmack erhalten hat (e)

  59. Ortega y Gasset

  60. Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad von Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand. Schopenhauer.

  61. Vordergründig (mit Einschränkungen) werden Kunstwerke um ihrer selbst erworben. Der tatsächliche Grund bleibt im dunkeln. Vielleicht geht es nur darum, der sozialen Schicht, der ein Käufer angehört, mit einem besonders strittigen Objekt zu beweisen, wie unglaublich modern und fortschrittlich man ist. Der Besucher einer solcherart mit Kunstwerken ausgestatteten Wohnung wird sich hüten, sein Unverständnis und damit seine Unwissenheit zu offenbaren. Er wird sich zwangsläufig unterlegen fühlen und damit dem Eigentümer einen psychologischen Vorteil verschaffen. (e)

  62. Wenn man einige Gedanken an die täglich wiederkehrenden Ereignisse aus allen Bereichen des menschlichen Lebens verschwendet, und dazu vielleicht noch in einem Geschichtsbuch blättert, wird man feststellen müssen, daß es in allen Zeiten völlig identisches menschliches Verhalten gibt. Man wird feststellen, daß sich an der menschlichen Gestalt einiges, aber an dessen Verhalten nicht ein Jota verändert hat. Immer wird eine zeitgemäße Bemäntelung (Religion, Macht, Kriege, Technik, Moral, etc.) gefunden, menschlichen Fortschritt zu insinuieren. Die technische Entwicklung hat zwar die Umwelt verändert aber nicht grundsätzliche, menschliche Verhaltensweisen. Daran kann und wird sich wahrscheinlich auch in kommenden Zeiten nichts ändern. Der Mensch ist eben gut oder schlecht (nach gesellschaftlicher und religiöser Definition) - er hat einen Willen oder keinen, er denkt, oder nicht. (e)

  63. Als Beispiel für moderne Kunst möchte ich nur an Chirico und Dali, Meyer-Amden, Spencer, die Wiener Schule und deren Nachfolger erinnern. Ich erinnere an naturalistische, moderne Maler wie: Hodler, den frühen Picasso, Beckmann, Dix, Grosz, Casorati, Morandi, Sheeler, Hopper, Derain und andere, deren Name Legion ist. Keiner wird behaupten, daß diese Künstler, mit traditionellen Mitteln, nicht in der Lage gewesen wären, zeitkritisch und gleichermaßen modern zu sein und ihre Ära zeitübergreifend, verständlich zu dokumentieren. (e)

  64. Der eigentliche Obskurantismus ist nicht, daß man die Ausbreitung des Wahren, Klaren, Nützlichen hindert, sondern daß man das Falsche in den Kurs bringt. Goethe

  65. An dieser Stelle muß ich unbedingt noch eine Einwendung machen, die den Begriff "Verstehen" betrifft. Verstehen im Sinne von "Sinn erfassen" und dadurch erkennbar werden. Die heute verwendeten Begriffe, um Kunst zu erklären sind ebenso relativ wie die Zeit. Es wird, neben den üblichen Betrachtungsweisen und Hypothesen zu Aussagen von Kunstwerken, immer wieder durch Kunstschriftsteller und Maler auf einen, scheinbar wichtigen Punkt hingewiesen: Man müsse Kunstwerke in ihrem Sinne verstehen, um sie zu erfassen. Diese Forderung ist unannehmbar und unmöglich durch den Betrachter vollkommen zu erfüllen. Kein Mensch ist in der Lage, einen Schöpfungsprozeß (nicht einmal einen Gedanken eines anderen Menschen) nachzuvollziehen, schon gar nicht im Sinne des Erschaffenden. Das nämlich hieße; mit dem im Augenblick des Schaffens, Gedachten und Gefühlten, nicht durch eigenes Denken zu konkurrieren, sondern in des Künstlers Seele einzutauchen und vollkommen darin aufzugehen. Das ist ebenso unmöglich, wie das Wort und die Bedeutung von "Liebe" eindeutig und unverrückbar für alle Menschen nur in einem Sinne zu beschreiben und nur in diesem eindeutigen Sinne zu erleben. Ein Betrachter kann sich dem Kunstwerk und dem Produzenten annähern, dann, wenn der Künstler durch sein Werk eine den Menschen verständliche Sprache spricht. Es ist einem Betrachter unmöglich, ein nur gedachtes oder auf vielfältige Weise erst zu interpretierendes Werk zu verstehen; es sei denn, der Künstler bezweckt dieses Unverständnis beim Publikum. Man kann einen Menschen, ich will das nicht ausschließen, sensibilisieren, ihm das Unwohlsein vor der Kunst nehmen und ihm helfen, wo und wie er sie für sich erkennen kann. Aber immer wird er die Kunst, ob alt oder modern, mit seinen Augen, seinem Verstand und nach seiner Lebenserfahrung beurteilen und verstehen. Häufig wird, zur Stützung einer vorgeblich unvoreingenommen Wertung durch Kritiker, der Begriff objektiv verwendet. Eigentlich in unserem Sprachgebrauch der Gegensatz zu subjektiv; da wir aber nur subjektiv erfahren und handeln, d.h. verarbeiten, kann es Objektivität nicht geben. (e)

  66. Die Kunst widerspiegelt die Wirklichkeit am Vollkommensten, Lebendigsten und am Eindringlichsten, indem sie bei ihren sinnfälligsten Zügen verharrt. In dem Maße, wie sie auf diese verzichtet, verlieren ihre Darstellungen ihre unmittelbare wirkende, evokatorische Kraft (Erweckung von Vorstellungen oder Erlebnissen bei der Betrachtung von Kunstwerken). Man mag von Hauser und seinen Theorien, Kunst soziologisch zu examinieren, halten was man will - da hat er recht! Arnold Hauser, Kunst und Gesellschaft, C.H.Beck Verlag, München 1973

  67. Künstler, die ihre Intentionen als Gedanke oder Idee darzustellen versuchen, müssen letztendlich scheitern. Nicht nur, daß sie, wenn sie sich unverstanden fühlen, jederzeit die Ausrede parat haben, der Konsument sei nicht sensibel und gebildet genug - sie setzen boshaft wie sie sind, auch völlig identische Denkschemata bei einem Kunstkonsumenten voraus. Das ist, wie wir wissen, unmöglich. (e)

  68. Gesetze, Zeiten, Völker überleben sich. Nur die Sternbilder der Kunst schimmern in alter Unvergänglichkeit über den Kirchhöfen der Zeit. Jean Paul

  69. Heute verstehen wir im Allgemeinen weder die Symbolik der Renaissance, noch die Gleichnisse auf alten Gemälden religiösen Inhaltes. Trotzdem anerkennen wir sie, auch noch viele hundert Jahre nach ihrer Entstehung, als Kunstwerke. (e)

  70. Man lese einmal die Reiseberichte Goethes aus Italien. Präzise und bildhaft sind seine Erlebnisse dargestellt, doch in unseren Köpfen mit unserer Phantasie und unserem Wissen bebildert. (e)

  71. Zitat aus: Herwarth Walden, Das Wissen um die Kunst, in: Einblick in Kunst, Sturmverlag 1924. Das Vorwort rechtfertigt, durch alle dort angesprochenen Themen, meine Gründe, sogenannte moderne Kunst anzugreifen.

  72. Masse und Kollektiv können in der Tat ohne Wahrheit leben. Sie sind ihrer weder bedürftig noch fähig. Ortega y Gasset, Aufstand der Massen, Vorwort III

  73. An sich unverständlich - wie kann ein Kunstwerk rassistisch sein, wenn wir es nicht durch unsere Deutung dazu machen. Ein Kunstwerk kann, für sich alleinstehend, nicht rassistisch sein. Nur durch den Sinn, der durch den Stand unseres historischen Wissens (und Gedächtnisschwundes) bestimmt wird, erlauben wir uns heute, ein Werk eines Künstlers oder einer Kunstepoche als rassistisch zu bezeichnen. Wie sehen wir denn heute zum Beispiel das Bronzetor Salmanassars (1300 v.Chr.) im British Museum? Eine einzige Verherrlichung eines massenmordenden Königs. Hören wir heute darüber auch nur einen einzigen Ton mit einer Anklage wegen Volksverhetzung oder Rassismus? Oder wegen der Unerträglichkeit der dargestellten Massaker? Vergangene Zeit schleift das Empfinden und schärft den Blick für Wesentliches in der Kunst. (e)

  74. Der Begriff selbst ist in den letzten 100 Jahren stark in Mißkredit gebracht worden. Wir sind kaum noch in der Lage, dieses Wort mit Achtung auszusprechen; anders die Künstler der Renaissance, wie Cranach, Cellini und Leonardo da Vinci etc., die "nebenher" auch noch begnadete Erfinder, Entwerfer und Kunsthandwerker waren. (e)

  75. Ich denke dabei an ein Portrait Willy Brandt's von dem modernen Maler Georg Meistermann. Und noch viel erschreckender - der Skulptur Brandt's in Berlins Parteizentrale der SPD. Die Aufträge wären wohl besser an Kokoschka oder einen Bildhauer vergeben worden. (e)

  76. Es gibt keine Freiheit der Kunst, ebensowenig wie der Begriff Freiheit eindeutig definierbar ist. (e)

  77. Ihre Entstehung verdanken die Meisterwerke dem Genie, ihre Vollendung dem Fleiß. Jouberg

  78. In Deutschland; z.B. Künstler wie Slevogt, Liebermann, Lesser Ury, die Nachfolger der Leibl-Schule, etc. (e)

  79. Die Beschreibung der Kunstwerke könnte etwa so aussehen: für Gemälde Lucio Fontana's - mehrere vertikal (bzw. horizontal) nebeneinander in die Leinwand geschnittene Schlitze oder gestochene Löcher; Jackson Pollock: in vielen verschiedenen Farben auf den Malgrund aufgetragene Kleckse, ohne Ordnung; Ein E.W. Nay: auf Keilrahmen gespannte Leinwände, die mit verschieden großen farbigen Kringeln in Augenform bemalt sind; Kurt Schwitters: kleine, zusammengeklebte Papierfetzen, die teilweise mit aus dem Zusammenhang gerissenen Texten bedruckt sind; Cy Twombly: vergrößerte "gestische" Telephonzeichnungen; Ives Klein: blau angestrichene Leinwände verschiedener Größe; R. Rheinsberg: beliebige Fundstücke, ebenso beliebig dekoriert. Die tausend anderen Künstler kann ich hier unmöglich namentlich erwähnen. Sollten Sie aber weitere Beispiele suchen, so gehen Sie bitte in das nächste Museum für Moderne Kunst, schauen Sie die ausgestellten Objekte an und beschreiben Sie, was Sie dort wirklich sehen. (e)

  80. Es gibt auch Afterkünstler: Dilettanten und Speculanten; jene treiben die Kunst um des Vergnügens, diese um des Nutzens willen. Goethe

  81. Wenn die Kunst abwärts geht, so tragen daran zumeist die Künstler selber die Schuld. Denn bestochen und hingerissen durch vorübergehende äußere Erfolge erniedrigen sie sich, dem frivolen Instinkt und Geschmack der Menge nachzugeben. Unbekannt.

  82. Der italienische Maler Giorgio de Chirico, hat sich in einem Interview zur hypermodernen Kunst geäußert; "Es hat keinen Sinn. Es erfreut niemanden, weder Künstler noch Käufer. Sie alle haben Angst, die Wahrheit zu sagen". Aargauer Tagblatt vom 11.11.1970

  83. Die meisten Menschen legen den größten Wert auf die Meinung der anderen, obwohl ihnen diese doch als schmeichlerisch, unaufrichtig, neidisch und voreingenommen bekannt ist. e

  84. Ephraim Kishon: Picasso war kein Scharlatan, Randbemerkungen zur modernen Kunst, Langen Müller Verlag, Berlin und München 1986

  85. Es wird hier aus einem Brief Picassos an den italienischen Schriftsteller Giovanni Papini zitiert. Dieses Testament, natürlich von der Kunstwissenschaft angezweifelt, hat Picasso allerdings nie dementiert, wozu ihm genügend Zeit bis zu seinem Tode geblieben wäre.

  86. Man sagt wohl zum Lobe des Künstlers: Er hat alles aus sich selbst. Wenn ich das nur nicht wieder hören müßte! Genau besehen, sind die Produktionen eines solchen Originalgenies meistens Reminiszenzen. Wer Erfahrung hat, wird sie meistens einzeln nachweisen können. Goethe

 


 


Etymologische Hilfe aus Deutsches Wörterbuch

  • Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1992

  • abstrakt, Zurück zur Stichwortliste
    lat. abstractus, Partizip zu abstrahere>abziehen häufiger seit dem 18.Jh.;>losgelöst vom Sinnlich-Gegenständlichen; begrifflich, oft im Gegensatz zu>konkret, abstrakte Kunst; lat. abstrahere, >herleiten, verallgemeinern.

  • Aufklärung,
    zunächst wie >aufklaren reflektiert vom Wetter, bald auch>von Unwissen, Aberglauben, Vorurteilen und dergleichen befreien, berühmt die Preisfrage: Was ist Aufklärung? Kants Antwort (1784 Berl. Monatsschr. 4,481): Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.

  • Avantgarde, Zurück zur Stichwortliste
    militärischer Ausdruck; französisch>avant-gardé (Gegensatz arrière-garde), verdeutscht mit Vortrab, Vorzug, zuletzt Vorhut; so bis Anfang 20.Jh.; im frühen 19.Jh. bedient sich Saint-Simon öfters der Avantgarde-Metapher, insbesondere auch in bezug auf Künstler; In Deutschland ist der Begriff seit der Jahrhundertwende in der Kunstwissenschaftlichen Diskussion, die nach 1945 wieder aufflammte: Enzensberger, Die Aporien der Avantgarde (1962). Als Stil wird die Avantgarde zum Avant-gardé. (Böhringer).

  • darstellen,
    seit dem 17.Jh.>veranschaulichen,>gestalten vom Künstler, z.B. vom Maler (auch das Gemälde stellt die Flucht nach Ägypten dar; was in der darstellenden Kunst die form ist 1799 WvHumboldt).

  • können, Zurück zur Stichwortliste
    althochdeutsch: kunnan, mittelhochdeutsch: kunnen, künnen; Präteritopräsens (vgl. dürfen); verwandt mit lat. (G)nosco und griech. gignosko>erkenne (gotisch; kunnan>erkennen);>kennen,>kund,>Kunst. Das Prätorium lautete noch bis ins 17.Jh. kunde, kunte, verkürzt kunt, welche Form noch von neueren Dichtern altertümelnd gebraucht wird: wenn dir der Dreck gefallen kunt Goethe; daß ich kein Wörtlein sprechen kunt, Heine. Über die Verwendung des Infinitiv statt des Partizip vgl.>dürfen. Die ursprüngliche Bedeutung ist>wissen, aber schon im Mittelhochdeutschen wird es meistens nur gebraucht, wenn es sich um ein auf Tätigkeit bezogenes Wissen, eine erlernte Fertigkeit handelt. Dieser Gebrauch dauert im Neuhochdeutschen fort. Am nächsten der ursprünglichen Bedeutung steht>auswendig können, in welchem Sinn auch können allein steht: er kann viele Gedichte, Geschichten; doch spielt auch hier die Vorstellung mit, daß man das Erlernte vortragen kann. Sicher auf erlernte Fähigkeit bezieht es sich in eine Sprache, ein Handwerk, eine Kunst, Französisch können; veraltete Konstruktion: der kann wohl auf Saitenspiel, Luther; am häufigsten mit Infinitiv, was im Althochdeutschen erst allmählich üblich geworden ist: sprechen, lesen, schreiben, rechnen, Geige spielen können. An die Stelle des Wissens, Verstehens trat mehr und mehr die Vorstellung des Imstandeseins und damit die heutige Bedeutung, der sich auch die zu dem älteren Gebrauch stimmenden Fälle unterordnen. Damit hat können die Funktion übernommen, die im Mittelhochdeutschen mügen (neuhochdeutsch>mögen) hatte. Das Können kann jetzt von den verschiedensten Faktoren abhängig sein, wie Körperkraft, Vermögen, äußeren Umständen usw.; auch von einem Wissen, vergleiche: Kannst du mir seinen Namen sagen, den Weg zeigen? Man gebraucht können, auch um auszudrücken, daß kein fremder Wille entgegensteht: Das kannst du meinetwegen tun; es nähert sich so der Bedeutung von dürfen. [...];

  • Kritik,> Zurück zur Stichwortliste
    französisch>critique (griech. Ursprungs),>abwägende Beurteilung, in bezug auf Werke der Literatur, Kunst und Wissenschaft; Ein Kunsturteil, welches nicht selbst ein Kunstwerk ist [...]; hat gar kein Bürgerrecht im Reiche der Kunst (FSchlegel, Lyrische Fragmente); Ein Kritiker ist ein Leser, der wiederkäut. Er sollte also mehr als einen Magen haben (FSchlegel a.a.O.; 2,149).

  • Kunst,> Zurück zur Stichwortliste
    Verbalabstraktum zu können (wie Brunst zu brennen). Althochdeutsch kunst. Der Bedeutung des Verbs entsprechend zunächst>Wissen, Wissenschaft, so noch frühneuhochdeutsch; vergleiche: die große Kunst macht dich rasend, Luther; auch jetzt noch traditionell: Die sieben freien Künste (septem artes liberales); Kunst löst in diesem Bereich vom 13.-17.Jh. allmählich>List ab; dann ist es wie gleichfalls können auf durch Übung gewonnene Fertigkeit bezogen; Vergleiche mittelhochdeutsch>swarziu kunst, bzw.>zouberkunst, frühneuhochdeutsch: Koch-, Kriegs-, Fecht-, Malerkunst, weiterhin: Sprach-, Rede-, Tichte-, Vers-, Singe-, Schauspiel-, Rechen-, Garten-, Feldbau-, Uhrmacherkunst. Dabei bezeichnet Kunst nicht bloß die dem einzelnen anhaftende Fertigkeit, sondern auch die Ausübung solcher Fertigkeit und die Gesamtheit dessen, was zu dieser Ausübung gehört. Seit dem 18.Jh. wird Kunst schlechthin auch mit Einschränkung auf die künstlerische Betätigung gebraucht, wofür anfangs auch schöne Kunst gebraucht wurde. Häufig Gegenüberstellung von Kunst und Natur, vgl. Im Fleiß kann dich die Biene meistern,/.. die Kunst, o Mensch, hast du allein (Schiller, Die Künstler); dagegen Benn (Phänotyp): Es hat sich allmählich herumgesprochen, daß der Gegensatz von Kunst nicht Natur ist.>Kunstmaler bezeichnet den Maler als Künstler, im Gegensatz zu dem handwerksmäßigen Anstreicher bezeichnend. Im heutigen Sinn seit dem 18.Jh. üblich.

  • malen,> Zurück zur Stichwortliste
    althochdeutsch>malon, mittelhochdeutsch>malen (etwas anders gebildet gotisch>meljan), abgeleitet von>Mal, daher ursprünglich mit Malen (Zeichen) versehen,>bunt machen; bezogen auf den Gegenstand, auf den Farbe aufgetragen wird: ein Haus, eine Stube malen, auch Holzschnitte, Kupferstiche malen, im Perfekt; mit gemalten Wangen (Goethe); vereinzelt bezogen auf den Stoff, der aufgestrichen wird: Öl [hab' ich]; gemalt (Goethe); bezogen auf das Produkt: ein Bild malen,>sorgfältig (und ungeübt) schreiben; die mehrsten mahlten .. ihren namen hin, ohne zu wissen, was sie unterschrieben (Schiller); bezogen auf das Nachgebildete: Er hat den Kaiser gemalt, auf Leinwand, in Öl malen, im Perfekt, wie gemalt bildschön; übertragbar allgemein auf optisch Wahrnehmbares: mit der Iris schönstem Licht will ich eure Blätter malen (Schiller), die sonne malt zitternde kringeln an die wand (Chamisso;); so auch im Sinne von>sich spiegeln: Da malten sich seine Jugendträume wieder lebend vor seinen Augen (Klinger), anders als sonst in menschenköpfen, malt sich in diesem kopf die welt (Schiller;); auf akustisch Wahrnehmbares bezogen: der Dichter, Tonsetzer, Rhythmus malt, Worte malen, dazu lautmalend (19.Jh.): plätschern ist ein lautmalendes wort (DWb); im Sinne von>schildern<: er malt das Glück des Ehestandes (Kotzebue), im Sinne von>ausmalen; etwas in düsteren Farben malen, schwarz malen. Maler althochdeutsch malari, malen folgend im Sinne von>Anstreicher, für>Kunstmaler: sie, wie Mahler bringen zusammen das Schöne der Erd< (Hölderlin, Andenken); übertragen: Ein mahler von empfindungen (Schiller;). Malerei vorwiegend im Plural>Gemälde, daneben>die Kunst des Malens: Liebhaber der Malerei (Stieler). malerisch (vor 1541 Paracelsus;) Joachime bezeugte eine malerische freude über die wolkengruppierung (Paul;), bezogen auf den zum Malen geeigneten Gegenstand im Sinne von>schön,>anschauenswert: Der mahlerische Lenz (Hagedorn).

  • modern, Zurück zur Stichwortliste
    Das Adjektiv>modern Anfang 18.Jh.; französisch>moderne>gegenwärtig, nach heutiger Art: Sprechen alle meine Personen zu modern, zu aufgeklärt für die damalige Zeit (Schiller der neueren Zeit entsprechend; im Gegensatz zu dem gleichzeitig entlehnten> antik: Unter Einfluß von> Mode, modisch bald auch>dem neuesten Stand der (kulturellen, sozialen, technischen usw.) Entwicklung entsprechend; Steigerung: hochmodern. Nach der 1687 in der Académie Française ausgelösten Querelle des Anciens et des Modernes wurde modern der Kulturphilosophie und Ästhetik des 18.Jhs. als Epochenbegriff stabilisiert. Goethe ist kein Moderner sondern ein Progressiver also zugleich antik (Fr.Schlegel, Literary Notebooks 1797-1801, hrsg. v. H.Eichner); abgesetzt von> romantisch, erhielt modern auch einen negativen Akzent: Das Romantische bleibt ewig neu - das Moderne wechselt mit der Mode (ebd. Nr.473), H.Bahr propagiert (Zeitschrift: Die Moderne 1890ff; Zur Kritik der Moderne 1890): Sie haben kein Programm. Sie haben keine Ästhetik. Sie wiederholen nur immer, daß sie modern sein wollen.

  • Museum, Zurück zur Stichwortliste
    lateinisch mUseum; griechisch mUseíon>Musensitz; im 16.Jh. und bis zur Mitte des 19.Jhs. studentisch>Studierstube, dann>Kunst- und Altertumssammlung (17.Jh.);

  • Mysterium, Zurück zur Stichwortliste
    lateinisch>mysterium>Geheimnis; griechisch>mysterion>Geheimkult;>mystifizieren; Ende 18.Jh. als Weiterbildung zu französisch>mystifier>täuschen, foppen; heute>etwa mit dem Schein eines Geheimnisses umgeben; desgleichen Mystifikation, ... mit Mystifikationen und anderem Hokus Pokus hingehalten (Goethe; Kehrein).

  • Parasit, (15.Jh., ursprünglich und bis ins 18.Jh. in lat. Form;) Lateinisch:>parasItus, griechisch:>par~sItos (zu griech. par~>neben, sItos>Nahrung) eigentlich:>Wer seine Speise bei jemandem anderen hat; in der griechischen Komödie>Spaßmacher, der Gäste auf deren Kosten für eine Mahlzeit unterhält;

  • pfuschen, Zurück zur Stichwortliste
    zuerst 1572 ostmitteldeutsch (Breslau) im Bereich des Handwerks>unordentlich arbeiten, stümpern; dazu oder jemandem ins Handwerk pfuschen : pfuscht er jetzt Notaren und Advokaten ins handwerk (Goethe); zuvor bereits Pfuscher>Stümper; seit 1575 wiederum aus Breslau bezeugt, öfter dem zünftigen Meister gegenübergestellt; etwa gleichzeitig die synon. Stümper(er), Böhnhase usw. (zu den unterschiedlichen Bezeichnungen in den einzelnen Handwerken vgl. Ad.); der dilettant verhält sich zur Kunst, wie der pfuscher zum handwerk (Goethe); Erst Anf. 20.Jh. die Rückbildung Pfusch. Früh verpfuschen : die Arbeit zu verderben und zu verstümpeln oder verpfuschen; Mein Leben ist verpfuscht (Fontane, Effi Briest).

    Die Lust der Deutschen am Unsichern in den Künsten kommt aus der Pfuscherei her; denn wer pfuscht, darf das Rechte nicht gelten lassen, sonst wäre er gar nichts. Goethe

  • Qualität, Zurück zur Stichwortliste
    <lat. qualitas (vgl. frz. qualité, engl. quality ), lat. flektiert seit 15.Jh., dt. qualiteten 1519 (FWb); Über die Philosophie, Medizin und andere Fach- und Berufssprachen verbreitet; 1.>Beschaffenheit, (Summe der) Eigenschaft(en)<, oft im Ggs. zu => Quantität: Quantität und Qualität als die zwei Pole des erscheinenden Daseins (Goethe; Kehrein);>(Charakter) -Anlagen, Fähigkeiten, Vorzüge< (vgl. Qualifikation; alle edlen Qualitäten/Auf Euren Ehrenscheitel häufen (Goethe F.I,1791f); vom 17. bis Anf. 20.Jh. Heute je nach Kontext positiv oder negativ: gute, schlechte Qualität; ohne Zusatz besonders in Handel und Gewerbe positiv: Qualitätsarbeit (1907; FWb), nur Qualität kaufen; vgl. auch das politische Programmwort Lebensqualität> engl. quality of life : Umweltschutz und Lebensqualität für alle; (2) z.B. menschliche, künstlerische, fachliche Qualität(en); Führungsqualität (1970; FWb; Führerqualität 1922 MWeber; ebd.). qualitativ (Ca.Erg. 1813)>der Qualität(1) nach< (Ggs. quantitativ ); qualifizieren (1511; FWb)<lat. qualificare (frz. qualifier ),1.1>geeignet machen bzw. dafür erklären<;1.2 refl.>sich als geeignet erweisen, bewähren<; qualifiziert Adj. seit ca. 1600 bes. von Personen>ausgewiesen, befähigt<, hochqualifiziert vereinz. schon 17.Jh. (FWb), unqualifiziert>unpassend< (Fontane; FWb).

  • Technik, Zurück zur Stichwortliste
    im frühen 18.Jh.>Gelehrtenlatein>technica, entspricht dem griechischen>technikós, zu griechisch>téchne>Kunst (im weitesten Sinn), also auch>Handwerkskunst und>grammatisch-rhetorische Kunst; Summe der Regeln einer Wissenschaft oder Kunst; [;Die allgemeine Logik eine];; Technik der Gelehrsamkeit (1800 Kant;); im anbrechenden industriellen Zeitalter>Arbeitsmethode, -verfahren, Handhabung: Weniges gelangt aus der Vorzeit herüber als vollständiges Denkmal, vieles in Trümmern; manches als Technik, als praktischer Handgriff (Goethe;);>Gesamt methodischer Hand-, Kunstgriffe und Regeln;>Art und Weise, wie jemand etwas ausführt Technik der Pianistin, technisch frühes 18.Jh., zuvor in lateinischer Form>technicus, vor allem in >Terminus technicus, fachsprachlicher Ausdruck; vor allem bezogen auf die den Regeln entsprechende Ausübung einer Kunst oder eines Verfahrens, seit spätem 18.Jh. verallgemeinert>ein bestimmtes Verfahren betreffend; Technologie frühes 18.Jh.>Gelehrtenlat. technologica; seit späterem 18.Jh.>Wissenschaft von den Gewerben (Handwerke, Manufakturen, Fabriken): Anleitung zur Technik oder zur Kenntniß der Handwerke, Fabriken und Manufacturen (Beckmann 1777); Um die Verfahren der sich ausbreitenden Gewerbe in einem wissenschaftlichen Sinn zu umreißen, verwendet man seit dem 19. Jh. allmählich das Wort Technik. Paul
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