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Kunst kommt von Können 1. Zwischenbemerkung ...und so weiter Technik ist Mittel zum Zweck Farbe darf Form nicht zerstören 2. Zwischenbemerkung Die Kunst ein Mysterium ? Lernen, erkennen, beurteilen Interaktion |
Moderne Kunst / Ansichten Ein Kunstwerk ist Interpretation 3. Zwischenbemerkung Wertungen Zur Kritik Fußnoten Schluß Liebe Leser, mein Resumé Etymologische Hilfe |
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Vorwort
Kein vernünftiger Mensch, werden Sie sagen, stellt seine Ansichten in dieser Form ins Internet. Mir fehlt diese Doppelbegabung. Trotzdem beschreibe ich meine Einstellung1) zur Kunst mit Argumenten, die einer Stammtischrunde zu entspringen scheinen. Auf die heute so beliebte politische Korrektheit, alle unterschiedlichsten Befindlichkeiten zu berücksichtigen, verzichte ich. Durch die sogenannte Avantgarde der Kunst, ebenso unverständliche Kunstliteratur, und von einem Entertainment-Kulturbetrieb angeekelt, werde ich meine Einstellung zur derzeitigen Kunstkultur darlegen und dabei auch die Kunstgeschichtsschreibung dieses Jahrhunderts nicht vergessen. Das Abstecken meiner Position ist a priori für mich wichtig. Gleichwohl glaube ich, daß ebenso ein Nicht-Künstler seine bisherigen Kunstbetrachtungsweisen überdenken könnte, um angelernte Kunstdefinitionen des 20. Jahrhunderts zu hinterfragen. Es ist das legitimes Recht eines Malers, sein Unbehagen an anderer Kunst zu äußern. Viele Künstler haben das vor mir getan. Sie sind, wie auch die Verbraucher, zeit- und gesellschaftsbedingt (erfreulicherweise) zu unterschiedlichsten Wertungen gekommen. Seit nahezu 30 Jahren beschäftige ich mich außerdem mit dem Erhalt von Kunstwerken verschiedener Jahrhunderte und Stilepochen. Diese Tätigkeit ermöglicht mir, den handwerklichen Verfall von Kunstprodukten, besonders den der letzten Dezennien unseres Jahrhunderts, genau zu verfolgen. Dabei gelange ich zu erschreckenden Erkenntnissen. Sie machen deutlich, wie wenig von einem ehemals geachteten Handwerk übriggeblieben ist. Dennoch entziehe ich mich einer globalen Verurteilung moderner Kunstwerke, so schwer mir das auch fällt. Werte, nicht nur in Bezug zur Kunst, sind fiktiv - sie sind abhängig von der Zeit, in der sie formuliert werden. Es hat in den letzten Jahrhunderten immer wieder beharrliche Versuche gegeben, den Begriff Kunst, auf eindeutig definierbare Grundlagen zu stellen oder wenigstens mit gewissen Gesetzmäßigkeiten auszustatten. Das ist, bedingt durch unterschiedliche Gesellschaftsformen und vielgestaltige Vorbedingungen, nie oder nur annäherungsweise gelungen. Früher allerdings hat man Künstlern eine langjährige handwerkliche technische Ausbildung angedeihen lassen, ohne die sie kaum an die Öffentlichkeit hätten treten dürfen. Diese, während ihrer Ausbildung erworbenen Fertigkeiten, waren (und sind es auch heute noch) wichtige Komponenten bei der Beurteilung ihrer Werke. Modernen Kunstwerken fehlen diese Maßstäbe. Ich bitte Sie, die Sie hoffentlich noch einen Cranach von einem Koons unterscheiden können, Ihre bisherigen Ansichten zur modernen Kunst zu überdenken. Vertrauen Sie nicht weiter in Demut offizieller Kunstpolitik. Keiner wird jemals eindeutig und allgemeingültig den Begriff Kunst definieren können. Haben Sie sich aber Ihren natürlichen Verstand bewahrt, finden Sie sicher einen Weg zu eigenem Urteilsvermögen. Ärgern2), werde ich die opportunistische Kulturschickeria, die sich gedanken- und bedingungslos Kunstdialektikern unterwirft - ob aus Einfältigkeit oder Bequemlichkeit, ist mir gleichgültig. Erleben Sie Kunst nicht aus zweiter Hand, oder gehören Sie noch oder schon wieder zu den Mitläufern und rentablen Empfängern alles Neuen?! Beziehen Sie individuell Stellung. Besinnung auf persönliche Urteile sind notwendig, selbst wenn Sie von Angelerntem Abschied nehmen müssen. Hören Sie endlich auf, zu glauben, daß man Kunst verstehen muß !! Die Einheit von Kunst und Handwerk wird zerstört. Ich billige das nicht, egal wie unmodern diese Ansicht ist. Ich hege kein Mitleid für Menschen, die durch Kulturmafia und Museen sanktionierte Kunst als Qualitätsmaßstab betrachten. Neues, nur weil es neu ist, kann kein Qualitätsmerkmal sein. Nosce te ipsum - machen Sie sich diesen klassischen Imperativ zu eigen. Dann kann aus Ihnen wieder eine individuelle Persönlichkeit werden. Nicht das bequeme Mitschwimmen, nicht scheinheilige Liberalität der Kunst gegenüber, wird Ihre Position und Wirkung innerhalb unserer Gesellschaft stärken. Produzenten, Kritiker und Kulturverweser würden bei vielen Menschen, die selten genug für Kunst zu begeistern sind, wieder offenere Ohren finden. Sie würden gepeinigte Augen und Gedanken heilen können, beschränkten sie ihre Aufgabe auf das, was Ihrem Berufsstand angemessen ist - das ihm namengebende Wesentliche. Vielleicht würde ihnen Kunst dann wieder Freude bereiten. Zum Schluß etwas an die Adresse unserer selbstgefälligen, eloquenten Kunsttheoretiker und Kulturrepräsentanten: Begehen Sie nicht den Fehler und belächeln Sie nicht überheblich meine Ansichten und meine vielleicht ungeschickten Formulierungen, in der Gewißheit auf der richtigen Seite zu stehen oder gar Recht zu haben. Schauen Sie in den Spiegel - Sie werden feststellen, daß Ihr mokantes, sauertöpfisches Lächeln eher hilflos wirkt. Es trägt gewiß nicht dazu bei, Ihrer (womöglich) eitlen Persönlichkeit ein würdigeres Aussehen zu verleihen. Auf Abbildungsbeispiele verzichte ich vorläufig. Die wenigen, von mir im Text als Exempel angeführten archetypischen, avantgardistischen, modernen Kunstwerke sind ausnahmslos, wenn man sich nicht der Fäkalsprache bedienen will, mit spärlichen Worten bildhaft und umfassend zu beschreiben. Über geforderte und bezahlte Preise für moderne und alte Kunstwerke schreibe ich ebenfalls nicht; aus der Gesamtsicht scheint mir eine Diskussion um den materiellen Wert von Kunst zweitrangig, selbst wenn es bei offiziellen Ankäufen um Steuergelder7) geht.
Kunst soll gut und möglichst umgehend bezahlt werden! Zum Titel: Kunst kommt von Können Ganz ehrlich, haben Sie mit diesem (fast undenkbaren) Gedanken, beim Anblick zeitgenössisch-avantgardistischer Kunst, nicht schon einmal gespielt ? Aber haben Sie sich dann auch getraut, das Ergebnis Ihrer gedanklichen Bemühungen laut und vernehmlich zu sagen? Sehen Sie - so einfach ist oder war das gar nicht. Wahrscheinlich haben Sie Ihre, gewiß gute, Schulbildung noch nicht vergessen und einfach geschwiegen - zwar mit einem dicken Kloß im Hals - aber Sie haben geschwiegen! Wie oft haben Sie eigentlich nach diesen Seherlebnissen an Ihrem Verstand gezweifelt? Sie sind anschließend, um denselben nicht zu verlieren und um sich zu beruhigen, in eine Pinakothek zu den Alten Meistern gegangen, und haben dort nicht nur dasselbe gedacht, sondern erleichtert geantwortet: "Also irgendwie hat Kunst doch etwas mit Können zu tun!" Wie oft haben Sie sich eigentlich verkniffen, in einschlägigen Etablissements vor ausgestellten Schrotthaufen, zerschlitzten Bildern und Suppendosen, einfach das zu sagen, was Sie stets sagen wollten, aber was Sie, Dank Ihrer Erziehung, bisher vermieden haben? Nur Mut für die Zukunft liebe Freunde, sagen Sie es, sagen Sie, was Sie denken. Ihr Nachbar darf es ruhig hören; er wird Ihren unqualifizierten Stoßseufzer zwar disgusting finden - aber machen Sie sich nichts daraus. Das wohlige Gefühl, welches Sie nach Ihrem Urteil empfinden, wird Sie für die vernichtenden Blicke Ihrer bedauernswerten Mitmenschen mehr als entschädigen. Lassen Sie sich deswegen nicht in die Ecke der Ewiggestrigen stellen. Sie leben heute und urteilen heute. Die nächste Ausstellung in einer modernen Galerie oder ein Besuch in einem Museum für zeitgenössische Kunst, gibt Ihnen sicher Gelegenheit dazu - falls Sie sich einer derartigen Kraftanstrengung und Konfrontation überhaupt stellen wollen. Es sind ja nicht nur die als Kunstwerke bezeichneten Produkte, die für Verwirrung in unseren Köpfen sorgen. Beleidigt wird unser Verstand zudem durch besonders nachlässig zusammengebastelte Materialcollagen oder wahllos zusammengestellte Dinge des alltäglichen Lebens zu Raumkunstwerken. Die billigste Darstellungsmethode besteht freilich darin, vergangene moderne Kunstrichtungen und intellektuelle Leistungen letzter Jahrzehnte unverarbeitet, folglich ungekonnt, rücksichtslos zu zitieren3) oder zu variieren. Die manuellen und intellektuellen Fähigkeiten eines Künstlers sind Voraussetzung und Grundlage kreativer Schöpfungen. Erfahrungen, die ich als Restaurator mit zeitgenössischen künstlerischen Erzeugnissen4) mache, zwingen mich, grundsätzliche Forderungen nicht nur an den Kunstproduzenten, sondern gleichermaßen an den Verbraucher zu stellen. Wenige Menschen, die sich heute aktiv oder passiv mit Kunst beschäftigen, haben sich jemals Gedanken über materialgerechte Verarbeitung und die damit verbundene Haltbarkeit eines Kunstproduktes gemacht. Viele Sammler und Museen haben (früher) grundsätzliche, konservatorische Regeln vernachlässigt, sie sogar ignoriert; das hat sich heute in den Museen gebessert. Die meisten modernen Künstler haben Präliminarien bekämpft; schlimmstenfalls kennen sie nur wenige handwerkliche Regeln, weshalb ihnen deren Einsatz selbstverständlich heute überflüssig erscheint. Beherrschung sachbezogener Techniken, Wissen um Werkstoffe5) und Achtung gewisser Traditionen bei der Produktion von Kunstwerken, sind mit meinem Begriff von Kunst untrennbar verbunden. Daß diesem bescheidenen Anspruch extrem selten Rechnung getragen wird, ersieht man durch nüchterne Betrachtung von gepfuschten6) Erzeugnissen und leichtfertig zusammengeschusterten Werken, welche die aktuellen Kunstszenen hervorbringen. Meine Erfahrungen im Umgang mit modernen Kunsterzeugnissen und die Forschungsergebnisse gut geführter Museumslabors beweisen eine nahezu vollkommene Ignoranz der Kunsttechnik. Gesprungene Malschichten, locker durchhängende Leinwände, verzogene Keilrahmen, abplatzende Farben, sich selbst auflösende Objekte und zusammenbrechende Installationen. Von Materialcollagen aus undefinierbaren Kunststoffen jeglicher Art wird man bereits in wenigen Jahren nichts mehr sehen können. Nur durch Reproduktion in Kunstbüchern werden sie beurteilbar sein. Offensichtliche desolate Zustände und materialbedingte Mängel sind gleichermaßen auch für einen technisch nicht versierten Laien klar erkennbar, und würden ihn, bei Gegenständen des täglichen Gebrauchs, sofort zu einem Besuch bei der "Stiftung Warentest" ermuntern. Was auf dem Markt für zeitgenössische Kunst angeboten5) wird, entspricht, sogar bei großzügigster Betrachtungsweise, nicht den Mindestforderungen an die Qualität, die Kunstliebhaber und verantwortliche Direktoren von Sammlungen für moderne Kunst selbstverständlich stellen sollten. Es gehört leider nicht zu den Tugenden und erst recht nicht zu den Pflichten zeitgenössischer Künstler, sich mit dem Elementarwissen ihres Berufes zu beschäftigen. Die Möglichkeit, sich diese Grundlagen unter Anleitung von Fachdozenten zu erarbeiten, besteht zwar an den meisten Akademien, wird aber, wie ich ständig höre (und sehe), kaum oder nie genutzt8). Die Anwendung des Einmaleins der Kunst, gilt vielen Professoren und Studenten als Hemmschuh für große Ideen. Die Konfrontation mit der Realität des Kunstmarktes (der mich, ich muß es bemerken, kaum wahrgenommen hat) und die Unbildung eines weitestgehend, desillusionierten Publikums, bestätigt die Künstler eher noch, Qualität durch wiedererkennbare (im Sinne des Labelkultes) Quantität zu ersetzen. Diese Methoden der Bewertung, das Konsumverhalten von Sammlern und Auftraggebern und gehorsame Ankäufe durch Museen, tragen zu den allgegenwärtigen Verkommenheiten in den Bereichen der Kunst erheblich bei. Beharrlich werden an Kunsthochschulen und allgemeinbildenden Schulen Methoden zur Bildproduktion vermittelt, die nichts, aber auch gar nichts mit den Ursprüngen des künstlerischen Handwerks zu tun haben. Noch weiter gehen heutige Lehranstalten, indem sie ihren Studenten und Schülern sämtliche Mittel freistellen. Alles Erfindungen, die ausschließlich der Dekoration, teilweise der Bequemlichkeit und dem Effekt dienen, der allerdings heute mit künstlerischer Leistung gleichgesetzt wird; ein neuer Reflex wird mehr beachtet als die Aussage.
Einem Künstler, der seine Produkte dem breiteren Publikum zeigt und sie verkaufen will, sollten Beherrschung klassischer, malerischer und zeichnerischer Mittel unabdingbare Voraussetzung sein. Er muß sie vollkommen überblicken, um deren materialspezifische Eigenschaften sinnvoll für seinen Zweck verwerten zu können. Aber nicht zuletzt setzt dieser Anspruch ein urteilsfähiges Publikum voraus, welches Befähigung vom Künstler fordert. Ein Mensch, dessen inneres Bedürfnis es ist, vom künstlerischen Ruf ereilt zu werden, sollte sich zunächst die präpositionale Frage nach dem Warum? stellen. Welche Gründe bewegen ihn, einen Pinsel oder Meißel in die Hand zu nehmen, um sich künstlerisch zu äußern? Ist das, was er mitteilen möchte, für ihn oder seine Zielgruppe wichtig? Hat er die fünf Prozent Genie, die fünfzehn Prozent Talent und achtzig Prozent Beharrlichkeit? Warum will er sich überhaupt bildnerischer Aussagen bedienen? Kann er seinen Anspruch auf verständliche Weise formulieren? Schlicht und einfach gesagt, er sollte sich fragen, ob er bereit ist, sich fehlendes handwerkliches Wissen zu erarbeiten; das Wollen allein reicht nicht aus. Naiv ein Malerwerkzeug in die Hand zu nehmen ist vermessen und learning by doing ist ein mühseliger Weg, mit vielen Enttäuschungen und Mißerfolgen, mit denen er sich und seine Umwelt quält. Kann er sich diese Vorgaben und Fragen nicht eindeutig zugunsten der bildenden Kunst beantworten, sollte er vorbehaltlos auf Malerei oder Bildhauerei zum Vorteil von talentierteren Künstlern verzichten. Er sollte einen anderen Weg wählen, seinen Intentionen Gehör oder Abbild zu verschaffen. Er ist der Gesellschaft gegenüber geradezu verpflichtet, sie nicht mit seinen Darstellungen zu belästigen. Vielleicht sind Literatur, Musik, Schauspiel oder modernes Entertainment9), ihm entsprechendere Mittel. Führen ihn allerdings seine Überlegungen definitiv zu dem Ergebnis, daß er sich nur über die eine der möglichen Ausdrucksmittel äußern kann, sollte er augenblicklich intensiv damit beginnen, sich mit den zur Ausführung notwendigen Handwerksgrundlagen zu beschäftigen. Er sollte sich freudig das Wissen seiner Zunft aneignen (wie hehr sich das anhört) und keine Angst haben, daß ihm durch diese Studien Zeit verloren geht. Geht es ihm aber darum, dem Affen Kunstbetrieb Zucker zu geben, dann bitteschön als Entertainer und nicht im Mantel des, ach so sensiblen Artisten, der, sich seines bescheidenen Könnens bewußt, nur darauf bedacht ist, seine Mängel zu verbergen. Er wird schließlich seine ganze Kraft darauf verwenden, seine Unfähigkeit zum Maßstab machen und dafür bis zur Selbstverleugnung kämpfen. Das wird einen intelligenten Menschen früher oder später psychisch verwüsten. Deshalb erleben wir heute, daß viele dieser unerträglichen Produzenten und Selbstdarsteller, auf dem sehr schmalen Grat zwischen Scharlatanerie und Künstlertum wandeln. Für die Gesellschaft sogar manchmal erkennbar augenzwinkernd oder Vergebung heischend, bewegen sie sich zwischen hochlobenden Besprechungen ihrer Pseudokunst und der eigenen Erkenntnis, ein Täuscher zu sein. Meist entwickeln sich bei diesen Künstlern, bedingt durch Verunsicherungen, überspitzt egomanische Verhaltensweisen (Kritiker, Kunsthistoriker und Journalisten nicht ausgenommen). Für heutige Künstler, scheinen diese Verhaltensweisen, kommerziell bedingte, aber notwendige Gebote zu sein. Die Ergebnisse dieser Unsicherheiten und Unfähigkeiten verstopfen Kunstzeitschriften, Museen, Galerien, Büros, Sitzungssäle, Schalterhallen von Banken, Klamotten-Boutiquen, Friseurgeschäfte (bzw. Hair-Stylisten) und Wartezimmer von Anwälten und Ärzten. Selbst vor Krankenhausfluren machen diese Fehlentwicklungen nicht halt. Sie verstopfen gleicherweise die Köpfe von Kunstliebhabern; besonders beeinträchtigen sie den Verstand derjenigen, die sich für Avantgardisten halten. Selbstüberschätzung10) von Produzenten, Negation und Verachtung aller Grundregeln, wie die kritiklose Konsumbereitschaft (in allen Bereichen der darstellenden und reproduzierenden Künste) feiern heute ihre traurigen Urstände. Weiteres Lamentieren, wozu sich Gründe in großer Anzahl fänden, würde ich gerne vermeiden, um so dem möglichen Vorwurf zu begegnen, nur ein erfolgloser Nörgler zu sein.
Seine Schwächen kann ein zeitgenössischer Künstler heute besonders gut verbergen. Unsere Gesellschaft macht es ihm gar zu leicht. Ohne deren Forderung nach Qualität (vorausgesetzt sie ahnen wenigstens, was das ist), verkommen die Produkte auf dem untersten Level des Metiers. Diese, hilflos im experimentellen Stadium dümpelnden Machwerke, gleichen eher der Bastelarbeit eines unbegabten, aber überaus stolzen Heimwerkers, als der gekonnten Arbeit eines traditionell arbeitenden Künstlers. Wenn eine Bildidee vorhanden ist, sollte sie einen Weg zum Menschen finden. Wenn dieser Weg mangelhaft gepflastert oder ungenügend vorbereitet ist, erreicht ein Kunstwerk letztendlich nur bruchstückhaft den Konsumenten. Neuerdings produziert ein Künstler eine unvollkommene, oftmals dem schnelleren, materialbedingten Verfall ausgesetzte Arbeit. Er liefert mehr Schein als Sein. Er betrügt auf seine Art die Verbraucher, Betrachter und Käufer. Nachbesserungen oder Aufhalten des Verfalls überläßt er Restauratoren und Wissenschaftlern. Schäden werden bei modernen Kunstwerken nicht erst nach Jahrhunderten auftreten, wie bei den Alten Meistern, sondern nach wenigen Jahren, oftmals nach Monaten oder Tagen12). Wem also nützt eine wunderbare Idee, ohne sinnvollen Einsatz des bestgeeignetsten Materials, um sie dauerhaft zu verwirklichen? Man kann diese Frage natürlich umgekehrt stellen; wem nützt eine perfekte handwerkliche Arbeit, wenn eine Idee banal ist? Selbstverständlich plädiere ich nicht vorbehaltlos für die Maltechniken vergangener Jahrhunderte, nur weil sie alt sind - zweifellos sind auch in früheren Jahrhunderten gravierende Fehler gemacht worden. Man denke an den unsinnigen, oft pastosen Auftrag von Asphaltfarbe in unteren Malschichten (z.B. A.Menzel), Kanadabalsam oder kaum trocknende Öle als Malmittel. Sogar zerstoßene Mumienteile13) dienten den Malern (z.B. A.Böcklin) als Pigment. (Übrigens eine wunderbare Lasurfarbe!) Die Konsistenz der Farben und Haltbarkeit der Gemälde ist durch fehlgeschlagene Versuche nicht besser geworden. Es gibt heute, dank intensiver Bemühungen der Industrie, in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten, moderne Malmittel, die sachgerecht verwendet, hervorragende materialtechnische Eigenschaften haben. Das besagt aber noch lange nicht, daß ein Maler jedes von der Farbenindustrie angebotene Medium verwenden sollte; es entbindet ihn selbstredend nicht von der Pflicht, sich um Inhaltsstoffe und Materialbeschaffenheit der angebotenen Produkte zu kümmern und durch Experimente oder bereits publizierte Erfahrungsberichte, herauszufinden, welches Produkt seinen Intentionen am nahesten kommt. Künstler sollten sich frühzeitig Gedanken machen, welche Bildträger, auf unterschiedliche Medien, wie reagieren. Vertragen sich Pigmente und Bindemittel untereinander? Wie reibt man Farbe aus entsprechenden Pigmenten an (wenn man nicht fabrikmäßig produzierte Farben verwenden will), mit welchem Bindemittel, für welchen Bildträger wie etwa Leinwand, Holz, Papier oder anderen modernen Bildträgern? Wie und mit welchen Hilfsmitteln wird die Farbe aufgetragen? (Traditionell arbeitet ein Maler mit Pinseln14), aber heute ist jedes Hilfsmittel recht). Diese primären15) Fragen sind unabdingbar. Klassische Techniken sind für einen verantwortlich denkenden Künstler einfach anzuwenden; mühsam erscheinen sie Scharlatanen. Ohne dieses Wissen um technische Details wird letzten Endes die Vermittlung einer Bildidee Stümperei bleiben. Der Künstler muß die Grundlagen perfekt beherrschen; sie sollten ihm in Fleisch und Blut übergegangen sein. Der richtige Umgang mit Handwerkszeug darf ihm keine Mühe bereiten. Er darf keine Gedanken mehr an das Wie verschwenden, was immer er darzustellen beabsichtigt. Nur so kann er sich auf seine Ideen und Aussagen konzentrieren, sich dann erst wirklich frei entfalten. Die Beherrschung des Handwerks, das zeigen die Blicke über den Tellerrand der Kunst hinaus, sind nicht Hemmschuh, sondern Grundlage jeder schöpferischen Idee - nicht Negation von Erfahrungen früherer Generationen, sondern Nutzung und Weiterentwicklung bereits vorhandener Erkenntnisse. Die Verwendung bestehenden Grundwissens und das Streben nach Vervollkommnung des Existierenden sind notwendig - durch Entwicklung resistenterer Produkte und damit einhergehende Rückbesinnung des Künstlers auf handwerkliche Erfahrungen früherer Generationen. Diese Präliminarien sollten aber nicht im Vordergrund stehen, sondern als eine der wichtigsten Komponenten beim Schöpfungsprozeß beachtet werden. Wie lächerlich dünkelhaft erscheinen diejenigen neueren kunstkritischen Auslegungen, die ausschließlich dem Wollen, der Inspiration eines Produzenten oder der, durch Kritiker insinuierten, Aussage eines Kunstwerkes Glauben zu schenken. Ausführung sei Nebensache, sagen seit der Jahrhundertwende die Auguren der Kunstpolitik. Das ist grober Unfug. Aber warum werden offensichtliche Mängel durch hahnebüchene Interpretationen und Zuordnungen schöngeredet? Die expressionistischen Künstlergruppen Der blaue Reiter, Brücke, Pathetiker etc. bedienten sich einer Malweise, die (mit einigen Ausnahmen) nicht mehr im Entferntesten an das erinnern, was sie möglicherweise während ihres Studiums an Maltechnik lernten. Statt diese Malerei als Zwischenstadium, als Skizzen zu auszuführenden Gemälden zu betrachten, hat man sie bedauerlicherweise als Endprodukt und damit als fertige Kunstwerke anerkannt. Damit wurde allen anderen Scharlatanen der Weg zum Erfolg geöffnet. Wenn man mir jetzt entgegenhält, daß sie einer neuen Zeit durch Expressivität , die ja nur in statu nascendi existieren kann, Ausdruck verleihen wollten, so erinnere ich nur an Künstler der Romanik und Maler wie Greco, Tintoretto oder Tiepolo, die außerordentlich expressive Werke schufen, ohne handwerkliche Bedingungen zu vernachlässigen. Heutige Künstler, wie etwa die Jungen Wilden machen sich die in unseren Köpfen festsitzende Ansicht zunutze und produzieren Bewährtes, Altbekanntes, Expressives, auf keinen Fall etwas wirklich Neues. An sich wären Variationen nicht schlimm, wenn man denn hin und wieder die Kunst vergangener Zeiten als Vergleich heranziehen würde. Sie flüchten sich in Unsagbares (siehe Walden), weil sie nichts mehr zu sagen haben. Leider verlassen heute scharenweise praxisferne Theoretiker und kalte Dogmatiker, aufgewachsen in einer wertefreien Gesellschaft, verbildet von liberalen16) Opportunisten, die Kunstschulen und Universitäten. Das dort vermittelte Wissen läßt kaum individuelles Nachdenken zu. Kunsthistoriker, die augenscheinlich das Handwerk gering schätzen, muß man für folgenschwere Entwicklungen mitverantwortlich machen. Wahrscheinlich findet man kaum einen Hochschulprofessor, der sich gegen festgefügte Meinungen und in der Kunstgeschichte verankerte Kunstdefinitionen auflehnt. Das Schweigen zu erkannten oder das Dulden erkannter Fehleinschätzungen, die Mißachtung kunstgeschichtlicher und handwerklicher Grundlagen, verschaffen der Überzahl der Professoren und Dozenten, die wunderbare Gelegenheit, eingedenk ihrer armseligen Fähigkeiten, Mittelmaß17) mit Mittelmaß zu beurteilen und die Ergebnisse ihrer fadenscheinigen Schlußfolgerungen allen kommenden Generationen in die Wiege zu legen.
Die Folgen dieser unerträglichen, von unserer Gesellschaft bedenkenlos übernommenen Lehren, dieser meist auf kurzfristige Wirkung zielenden und auf unsere reizüberflutete Zeit zugeschnittenen Kunstansichten, sind heute als Quintessenz der Kunst eines Jahrhunderts, in allen Museen und Sammlungen zu besichtigen.
Technik ist Mittel zum Zweck
Wenn Sie jetzt nicht weiterlesen wollen, gehen Sie zurück zur Diese Überschrift ist kein Widerspruch zum vorangegangenen Kapitel. Technische Fertigkeiten sind wichtige Voraussetzungen künstlerischer Äußerungen, sie sind keinesfalls Selbstzweck. Die von mir so explizit geforderte, dem Bildaufbau und der Haltbarkeit dienende Methode, sollte niemals in den Vordergrund treten, sie darf das Bildthema niemals überlagern, sie muß entschieden hinter die Bildaussage zurücktreten - trotzdem muß sie Grundlage aller schöpferischen Tätigkeiten bleiben. In Ausstellungen, die traditionell hergestellte Kunst zeigen, hört man vom Publikum gelegentlich: "Wie ist das gemacht, welche Technik verwendet der Künstler?" Einerseits ärgert mich diese Frage, andererseits freue ich mich (verhalten) über eine aktive Reaktion auf ein Kunstwerk. Der bildungsbeflissene Bürger erwartet selbstverständlich eine Antwort auf seine, oft spontan gestellte Frage, die er so erst gar nicht stellen dürfte. Warum nicht? Nicht dem Herstellungsprozeß, sondern der Aussage müßte er Erstrangigkeit einräumen! Warum scheint es so wichtig, nach einem Verfahren zu fragen, wenn ein Kunstwerk, selbst für einen Laien erkennbar, mit traditionellen Mitteln hergestellt wurde? Darf man denn von einem Werk der Kunst nicht erwarten, daß dieses selbstverständlich immer makellos hergestellt wird? Oder ist die Gewöhnung an moderne Kunst-Abfallprodukte so groß, daß traditionelle Verarbeitungsweisen und Ausdrucksmittel, bei Konsumenten diese (an sich überflüssige) Frage unmittelbar provoziert? Warum stellt man diese Frage nicht dem avantgardistischen, erfindungsreichen Installationskünstler, oder einem abstrakten Kleckser ? (Erfreulicherweise hat Wilhelm Busch dieses Wort schon einmal gebraucht) Hier will ich schnell und ohne nachzudenken, eine Antwort geben. Er hat keine Technik, also taucht die Frage danach dort nie auf. So einfach ist das. Losgelöst von der ihn scheinbar behindernden Technik, kann er sich demzufolge voll entfalten und bietet dem Kunstfreund endlich das, wovon beide am meisten verstehen. Entertainment, Augenwischerei und Scheinkunst. Vor einem altmeisterlich hergestellten modernen Kunstwerk hat ein Kunstfreund möglicherweise ähnliche Empfindungen, wie er sie in einer Pinakothek18) vor älteren Gemälden erlebte. Staunend stand er dort vor den Kunstwerken der Alten Meister, deren Aussagekraft er bewunderte. Merkwürdigerweise ist ihm da nicht in den Sinn gekommen, zuerst nach der technischen Ausführung zu fragen. Er setzt sie als selbstverständlich voraus. Warum also stellt er diese Frage vor modernen Kunstwerken? Erwartet er von seiner Erkundung umfangreicheren Aufschluß über seine Sinneswahrnehmungen? Genügt ihm die Darstellung nicht? Oder kann der Mensch von heute den Sinngehalt und die Wirkung eines Werkes nur über Technik und Bildaufbau definieren? Ein Künstler fürchtet die Frage nach der Technik, so, als sei ein Kunstwerk durch Wissen um die (selbstverständlich erlernbaren) Handfertigkeiten zu erschließen. Er erwartet als Primärreaktion die immaterielle Auseinandersetzung mit seinem Produkt. Was Kunst ist, und zu wievielen Prozentteilen die Technik Anteil hat, wird ein Künstler ohnehin nicht erklären können und wollen. Gerne will ich dem zeitgenössischen Betrachter konzedieren, daß er sich seiner Reaktion nicht bewußt ist, er gedankenlos unserer Zeit gemäß, dem Trugschluß verfällt, man müsse und könne alle ungewöhnlichen und nicht materiell faßbaren Dinge, wie eben moderne Kunstwerke, rational und physikalisch erklären und dadurch verstehen. Wenn ich diese untauglichen Verhaltensweisen betrachte, gelange ich zu dem Ergebnis, sicherlich werden meine Vorurteile bestätigt, daß unsere heutigen Kunstliebhaber nicht bereit sind, eigene Denkprozesse in Gang zu setzen. Sie nehmen produktbezogenes Können, zumindest in den Bereichen der Bildenden19) Kunst, nicht mehr als Selbstverständlichkeit hin. Sie reagieren nicht unbefangen und selbstkritisch, erst recht nicht unbeeinflußt, nur auf die erkennbar formulierte Aussage. Sie reflektieren nicht mehr das Gesehene, nur das Vermutete. (Vermutungen, wenn man diesem Wort etymologisch das Verb wähnen, beiordnet, haben etwas mit Wahn zu tun). Es bleibt dem Betrachter überlassen, in ein Werk, ohne eindeutige Aussage, etwas hineinzudeuten, was ausschließlich seinem eigenen Wissens- und Geisteszustand entspricht, aber nicht dem des Künstlers. Sie, die Betrachter, rezipieren nicht das Kunstwerk als Vermittler, sondern sind aufgefordert, auch noch die eigentliche Arbeit des Artisten zu übernehmen. Sie sind somit mittelbare Produzenten und Verbraucher in einer Person. Alleingelassen in dieser Position fragt ein Mensch stets nach der Technik, sie möge ihm doch helfen, ein Kunstwerk zu verstehen. Alle anderen Fragen mußte er sich schließlich selbst beantworten. Da wird man doch 'mal fragen dürfen!? Das Sehen und die Sensibilisierung der Sinne, mithin die Aufnahmefähigkeiten der Betrachter sind zweifellos nicht geschult. Die Sinne vieler Konsumenten sind abgestumpft, sie sind verschüttet, oder schlimmstenfalls, vollkommen verloren gegangen. Das ist heute nicht ungewöhnlich, bei massiven Belastungen des Empfindungsvermögens durch Eyecatcher, durch aggressivste Augenreizungen vieler unterschiedlicher Medien und der Werbung im Besonderen. Das ist für mich keine Entschuldigung. Diejenigen, die Betroffenheit und Sensibilität mit dem Löffel gefressen haben wollen, könnten mehr zu ihrer Persönlichkeitsstruktur beitragen, indem sie nicht nachdenken lassen, sondern eigenverantwortlich einem Kunstwerk gegenüber Stellung beziehen. Den Forschungsergebnissen der Scientologie (mit diesem Begriff ist keineswegs die Organisation gemeint) durch die den Menschen vermittelt wird, sie könnten durch Nutzung neuester Techniken auf naturwissenschaftlichen Gebieten einen höheren Grad der Bildung20) im (weitesten Sinne Einbildung), der Empfindung, also Aufnahmefähigkeit und des Wissens erlangen, darf man nicht trauen. Diese Entdeckungen taugen am wenigsten, das Sehen, Erkennen und Urteilen zu erlernen. Scheinbarkeit der Aussage eines Kunstwerkes genügen nicht für Einsichten und Erkenntnisse. Die Fähigkeit zum schöpferisch, zielgerichteten Nachdenken fehlt vielen Menschen. Und wenn ich ihnen diese Befähigung doch nicht vollkommen absprechen will, so unterstelle ich doch der Mehrheit, der für gebildet gehaltenen Menschen, Bequemlichkeit, ihr Urteilsvermögen praktisch zu nutzen. Wie kann man aber bequem sein im Denken, wenn es doch darum geht, eine der ureigensten menschlichen Anlagen zu befriedigen? Zur Erfüllung der hier nicht näher zu erläuternden Genüsse, wie Essen, Trinken, Schlafen etc., gehört, und das wird oftmals vergessen, ebenso der jedem Menschen Gewinn bringende, individuelle Denkprozeß. Angeblich21) ist es doch gerade er, welcher uns vom Tier unterscheidet, worauf der Mensch, vermessen genug, so stolz ist - also warum nutzen wir diesen Verstand so wenig ? Die Schlichtheit, mit der heute unsere geistigen Potenzen beansprucht werden, muß zu einer Stagnation geistiger Beweglichkeit führen. (Die besten Beispiele hierfür sind die Produkte, die uns in den Fernsehprogrammen angeboten werden) Kann man sich aus dieser Lethargie von selbst nicht befreien, verblödet man vollkommen. Das Vertrauen in die heutige Kunstgeschichtsschreibung und das scheinbare Wissen um technische Grundlagen macht diese Konsumenten zu gehorsamen Opfern des Kunstmarktes. Zugunsten einer allgegenwärtigen Wissenschaftsgläubigkeit verzichten diese Leichtgläubigen auf alle eigenkreativen Gedanken. Sie vertrauen phlegmatisch denen, die scheinbar Wissen und Macht besitzen. Das gilt insbesondere für die Bereiche der bildenden Künste. Mit einem blind-gläubig adaptierten Scheinwissen, und im Vertrauen auf die in der Schule erlernte Kunstgeschichtsschreibung verstehen sie sich als geistige Elite. Nunmehr wissend, vermuten sie sich näher an den für das Verstehen von Kunst notwendigen Grundlagen. Da den Menschen heute, in fast allen pädagogischen Bereichen von Schule und Universität, die entschiedene Notwendigkeit handwerklicher Grundlagen zur Ausübung ihres Berufszieles, in unserem Fall der Malerei, nicht als Selbstverständlichkeit eingeschärft wird, werden Fragen nach Technik nicht aussterben. Diese Fragen sind nicht wirklich hilfreich, um näher in die Intentionen eines Künstlers zu schlüpfen, um damit in die Bereiche des Kunstverständnisses vorstoßen zu können, die doch nicht wissenschaftlich, sondern nur subjektiv durch erkennbare Darstellung und kreative geistige Tätigkeit des Betrachters erklärbar sind. Diese geschilderten Verhaltensweisen haben nichts, aber gar nichts mit dem Erleben/Ersehen von Kunst zu tun. Daß dem Künstler handwerkliches Geschick (vorausgesetzt er beherrscht es) nur Mittel, aber wichtige Grundlage zum eigentlichen Zweck ist und seine kreative Erfindung, frei vom Wissen um deren Herstellungsart, durch das Publikum immateriell erlebt werden soll, muß ständig wiederholt werden. Das Erlebnis Kunst findet im Kopf des Betrachters statt. Mitbringen muß er seine Erlebnisbereitschaft, wozu das unvoreingenommene Nachdenken gehört. Der Mensch darf sich nicht, wie auf anderen Gebieten des Konsums bereits obligat, obendrein zum gedankenlosen Kunstverbraucher degradieren lassen. Erstaunlich sind folgende Beobachtungen, die jeder für sich machen kann. Kaum werden in einer Ausstellung ungegenständliche Gemälde oder Skulpturen gezeigt, deren Entstehungsprozesse für den Rezipienten scheinbar nachvollziehbar sind, ergeben sich zwischen Künstler, beziehungsweise Kunstwerken und den Betrachtern augenzwinkernde Akzeptanzen zu einer Technik, die keine ist. Der Entstehungsprozeß und die bescheidene Machart scheint den Rezipienten vertraut - was ihnen leicht herstellbar erscheint, was sie nachvollziehen können, wirft keine Fragen auf. Erst recht nicht bei Kunstobjekten, die zwar für die Betrachter unverständlich, jedoch aus vertrauten Gegenständen bestehen. Aus Produkten des alltäglichen Lebens komponierte Kunststücke verschaffen ihm ein déjà-vu-Erlebnis. So hat er selbst in der Schule gemalt, collagiert und gebastelt. Er glaubt mit seiner Vorbildung zu wissen, wie man Kunstwerke herstellt. Zudem kennen wir alle den Spruch: Das kann auch meine Tochter, mein kleiner Sohn oder ein Affe. Sie, die Rezipienten, fühlen sich sicher und mit dem Produzenten in einer Hinsicht zumindest auf gleicher Stufe. Die Frage nach der Technik scheint überflüssig. Mit einiger Sicherheit kann ich behaupten, daß dieses Verhalten ein Grund dafür ist, daß heute so viele Menschen glauben, daß jeder Kunst machen könne. Und zwar nach der einfachen Formel: Alles ist Kunst, was machbar ist. Alle machen Kunst, ist das nicht wunderbar? Abweichend, doch meiner Meinung nach natürlicher, reagieren infantile Erwachsene und Kinder. Sie kommen beim Betrachten gleicher Ausstellungsobjekte zu vollkommen anderen (meist präziseren) Schlüssen und Ergebnissen, als sogenannte gebildete und belesene Menschen. Sie können, wenn man Ihnen (außerhalb von Museen und Galerien) die anerzogene Ehrfurcht vor einem beliebigen Kunstwerk nimmt, genau schildern, was sie sehen. Was ihnen technisch einfach und nachvollziehbar scheint, können und wollen sie nicht als Kunst akzeptieren. Da diese Menschen in einem durch Können (im Sinne von erworbenen handwerklichen Fähigkeiten) geprägten und darauf reduzierten Umfeld leben, beurteilen Sie verständlicherweise auch Kunst mit diesen, in ihrer Arbeitswelt geltenden Maßstäben. Kunst ist für sie ein wenig Kunststück, bewundernswert nur, wenn sie glauben, es nicht mit ihren Fähigkeiten herstellen zu können. Wenn überdies die Darstellung eine eindeutige, allgemeinverständliche Aussage nicht zuläßt, provozieren diese unverbildeten Sichtweisen geradezu die unausrottbaren, aber bei den angebotenen Kunstwerken, durchaus verständlichen Fragen: "Was hat sich der Künstler dabei gedacht, warum muß man so etwas Kunst nennen?"22) Und Antworten: "Das ist doch nur eine Suppenkiste, ein Stück verbogenes Eisen, schimmelnde Schokolade!"
Eine kleine eingeschobene Geschichte: Wenn der Mensch von den angelernten, allgemeingültigen Seh- und Erklärungsschemata abweicht, sie hinter sich läßt, autonom eine Darstellung betrachtet, wird er selbstverständlich nicht mehr die Frage nach einer ihn verblüffenden, handwerklich stupenden Machart stellen müssen - er wird sie als selbstverständlich hinnehmen und auf dieses Sprungbrett zum Verständnis eines Kunstwerkes verzichten können. Er wird sich schließlich auf die Darstellung konzentrieren können. Technik (und Farbe) soll die Form nicht überlagern, sie soll nicht so in den Vordergrund treten, daß der Betrachter darüber die eigentliche Bildaussage (sofern vorhanden) vernachlässigt. Der Künstler darf der Routine keine Priorität einräumen. Beherrscht er seine Mittel, so wird er nie unredlich versuchen, sie in den Vordergrund zu stellen, um damit abzulenken. Er wird nicht danach streben, mit den großen Meistern vergangener Jahrhunderte verglichen zu werden - nur weil sich die Herstellungsarten gleichen. Er wird die erworbenen Kenntnisse für seine Aussage nutzen und nicht als Selbstzweck mißbrauchen. Sie werden ihm so selbstverständlich sein, daß er selbst sie nicht mehr wahrnimmt - sie sind deshalb für ihn niemals diskussionswürdig. Nachfragen wird er stets als unangenehm und lästig empfinden; abgesehen von Fragen bildungswilliger Schüler und interessierter Laien, die grundsätzliches Interesse am Thema Technische Grundlagen, als Mittel zum Zweck bekunden. Er wird diese Interessenten auf einschlägige Fachliteratur verweisen - siehe Literaturhinweise am Ende des Traktates.
Fragestellern23), die glauben, über die Erklärung von Maltechnik näher an die wesentliche Bildaussage zu kommen, wird dadurch nicht geholfen, daß man sie ihnen erklärt. Sie würden nach vielen Lehrstunden enttäuscht feststellen müssen, daß die Faszination eines Kunstwerkes durch sie selbst und vor allen Dingen durch Zwiesprache mit einer lesbaren Darstellung entsteht.
Farbe darf die Form nicht zerstören Farbe soll eine Bildaussage pointieren, soll Stimmung erzeugen, dramatisieren oder ausgleichen. Ausschließlich Farben, ohne sinngebende Formen, als verschieden große Kompositionselemente gegeneinandergesetzt, können, wenn sie gezielt eingesetzt werden, Empfindungen auslösen - soweit gut. Es bleibt, wenn ein Kunstwerk nicht Fragment bleiben will, die Frage nach der eindeutigen, weil nur dann lesbaren Aussage. Ist diese nicht vorhanden, allein nur Eingeweihten verständlich, hat der Künstler sein Ziel verfehlt. Das Werk verdämmert als pure Dekoration. Das darf und kann nicht die Aufgabe eines Kunstwerkes sein. Diese Anforderungen an Dekorationselemente bewältigen die Berufsgruppen der Dekorateure, die Fachkräfte des Malerhandwerkes und gute Einrichtungshäuser erschöpfend und meist in hervorragender Weise. Selbstverständlich soll ein Betrachter die auf die Psyche bezogene Wirkung von Farbe, die von einem Gemälde oder einer Plastik ausgeht, wahrnehmen und verinnerlichen. Das Werk verliert seine Existenzberechtigung als Kunstwerk, wenn sich Künstler ausschließlich auf die Wirkung von Farben kaprizieren. Es gibt keine, ich betone, keine Argumente, diesen Klecksereien weitere Aussagen zu unterstellen, als diejenigen, daß es ausgewogene, dekorative oder zufällige Farbkleckse sind. Farben sind Mittel und nicht Zweck. Die Farbe soll im Kunstwerk eine wichtige, dennoch nicht vordergründige Rolle spielen. Die Wirkung auf das Unterbewußtsein genügt. Farbe ist Hilfsmittel bei der Gestaltung einer Aussage. Ein Betrachter darf sie (wie die Technik) verstandesmäßig nicht als Prävalenz wahrnehmen. Es obliegt der Farbe, die Form zu unterstützen. Sie soll den gefühlsmäßigen Part einer Aussage übernehmen. Ich glaube, daß es sich lohnen würde, darüber nachzudenken, wie oft wir gedankenlos von schönen Farben sprechen. Warum überhaupt belegen wir Farben mit Eigenschaften? Ich glaube nicht, daß wir mit Adjektiven der Farbe Gerechtigkeit widerfahren lassen. Es gibt keine schönen und häßlichen Farben, genausowenig wie es schöne oder häßliche Kunstwerke gibt. Lassen Sie mich ein alltägliches Beispiel nennen. Ein blauer Himmel in unseren Regionen ist schön, weil keine grauen, von uns häßlich genannten Regenwolken zu sehen sind, die unseren Spaziergang durch Regen oder Gewitter stören würden. Andererseits sind graue Wolken über einem Dürregebiet schön, weil sie den lang erwarteten Regen bringen werden. Die Farbe Grau löst in unseren Breiten eine Stimmung aus, die wir unterbewußt mit eintönigem, bedecktem Himmel verbinden. Ist grau deshalb nicht schön? Entwickeln wir aus diesen Gefühlen unsere Wertmaßstäbe? Warum gibt es so unterschiedliche Vorlieben für bestimmte Farben bei verschiedenen menschlichen Charakteren ? Allerdings gibt es eine Reihe wirklich häßlicher Bezeichnungen für Farben, wie zum Beispiel: Schlumpfblau, schlamm, lila, flieder, giftgrün, mint, beige, erdbeer et cetera - die Modekataloge quellen über vor neuen und immer gräßlicher verunstalteten Farbschöpfungen. Versuchen Sie, für diese Diskriminierungen die richtigen Farbbezeichnungen zu finden. Das nebenbei. Warum wir Farben wahrnehmen, hat man naturwissenschaftlich nachgeprüft und ihre Bedeutung auf unsere Seele philosophisch zu erklären versucht24). Die Werbung mit ihrer gezielt verwendeten Farbwahl bezieht sich ausdrücklich auf die psychologische Wirkung von Farben als Mittler von Gefühlen und Stimmungen. Künstler wie Leonardo, Delacroix, Runge, Itten und viele andere haben sich über lange Zeit zugleich theoretisch mit der Bedeutung und Wirkung von Farbe beschäftigt. Kunstwerke, die ausschließlich aus Farbflächen bzw. Farbklecksen bestehen, ermöglichen also den kunstsinnigen Betrachtern, respektive Käufern, einfachste Beurteilungsmaßstäbe. Farben sprechen seinen Verstand nicht an. Kunstwerke dieser Art verlangen, um erworben zu werden, nicht nach weiteren Auseinandersetzungen mit einem Thema. Sie brauchen nicht einmal die Unterstützung eines Kunstdidaktikers. Die Farben für sich sprechen ihre Sensualität an, einen Rest, des vermutlich in Rudimenten vorhandenen, ästhetischen25) Bewußtseins, oder das, was das Publikum für Ästhetik hält, beziehungsweise gelernt hat, als künstlerisch relevant zu benennen. Bin ich ungerecht, wenn ich behaupte, daß der Großteil unserer sogenannten Kulturgesellschaft zu kaum mehr in der Lage ist ? Es spielt bei dieser Betrachtungsweise überhaupt keine Rolle, ob diese Farben durch Linien getrennt und in Quadrate eingeteilt, ob sie verschmiert, heute verwendet man den Ausdruck gestisch, oder gespritzt sind. Ohne inhaltgebende Formen, reduzieren sich solcherart malträtierte Leinwände zu billigen Dekorationen; möglicherweise kontrapunktisch zu bereits beim Käufer vorhandenem Mobilar. Der Erwerb dieser Kunstwerke ist für den Käufer problemlos. Die Kunsthändler können sich mit einem Hinweis auf die Farbenpracht jegliche weiteren Argumentationen ersparen. Die Käufer können ihre Erwerbung, mit einem Hinweis auf das nun gleichermaßen künstlerisch gestaltete Umfeld ihres Alessi-Haushaltes, begründen. Verständliche Erklärungen, die über den sensus communis hinausgehen, müssen nicht mehr gegeben werden, wenn sich der Künstler purer Kleckserei, auch Tachismus genannt, hingibt und vom Konsumenten nichts weiter als stimmige Dekoration gefordert wird. Diese Malereien sprechen den Bauch, nicht mehr den Kopf an. Wie die eye-catcher in der Werbung. Natürlich wissen die meisten dieser Kunstproduzenten, genügen Farbspritzer nicht, sie als Kunstwerke überzeugend auf dem Markt zu plazieren. Hier hakt der Kritiker26) ein, hier kann er seine Befähigung beweisen, die er durch Studien bei unvermögenden, modernen Professoren erworben hat. Er kann sein an Universitäten angelerntes kunsttheoretisches Wissen den Menschen weitergeben. Er kann seine darauf aufbauenden, eigenen Erkenntnisse ausbreiten, sich seine Existenzberechtigung innerhalb der Kulturszene erschreiben und dadurch sein Dasein rechtfertigen. Um diesen Beruf auszuüben, bedarf es geeigneter Vorlagen, woran er seine Fabulierkunst versuchen kann. Auf dem Feld der bunten Kunstprodukte kann er heute mehr denn je ernten, was Dezennien vor ihm die Entdecker der Mittelmäßigkeit gesät haben. Weil sie kein Kunstwerk mehr zustande bringen, erklären sie einfach das Medium Farbe zum Inhalt und wesentlichen Sinn. Damit haben Künstler und deren Förderer ihre handwerkliche und geistige Kapitulation unterschrieben. Gleichwohl gibt es viele Teilaspekte bei einem Kunstwerk. Jeder durchschnittliche Kunstkäufer kann sich, fragt man ihn nach Entscheidungskriterien für ein erworbenes abstraktes Werk, eine belanglose Erklärung zurechtlegen. Entweder wählt er die durch Berufsexegeten angebotene, die er vielleicht aus dem Gedächtnis zitieren kann, oder eine der Nachfrage ausweichende Begründung mit dem Hinweis auf unbestimmbare Gefühle, die dieses Bild in ihm ausgelöst haben. Ein Kinderspiel für ihn, mit dieser leichtfertigen Argumentation, eigenes Nachdenken zu umgehen, jede wirkliche Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk zu verdrängen und sich allgemeiner, folglich geschätzter Sehweise anzupassen - nur um nicht als Banause vor der allgewaltigen Möchtegern-Kunstelite dazustehen. Es gibt Menschen, die sich für Kunst überhaupt nicht interessieren. Selbst diese bedauernswerte Spezies kann zum Verbrauch von nonfigurativer, experimenteller Malerei verführt werden. Auch sie werden ein Kunstwerk erwerben - mit dem ihnen eigenen Gefühl für Dekoration und Zeitgeschmack27) und nach der Methode: Rot/gelb/blau geschmiert oder exakt kariert, entsprechen einer Stimmungslage / dem Charakter / der Situation - im ganz negativen, allerdings häufigsten Fall, dem Bezug der Couchgarnitur........ In jedem Fall sichert er sich mit dem Erwerb eines Werkes zeitgeistiger Machart einen kleinen Teil dessen, was heute, neben Design-Möbeln, Design-Hausrat und Design-Bekleidung zum zeitgemäßen Lebensstandard (Environment) gehört.
Daß diese bunte Tapetenkunst, wie übrigens alle anderen einfältigen und zu ihrer Zeit hoch gelobten Kitschprodukte der Vergangenheit, in vermutlich wenigen Jahrzehnten von der Allgemeinheit zu recht zum Kitsch erklärt wird, können wir in der Geschichte der Kunst und des Kunstgewerbes28) vieler Jahrhunderte verfolgen. Es tröstet mich leider wenig.
Das Bedürfnis des Menschen, seine Wohnräume nicht nur mit nützlichem Mobilar und Geschirr, sondern auch Wände mit Farben, Symbolen oder Ornamenten zu schmücken, ist bekannt - es wurde bereits zu Steinzeiten und wird noch heute aus unterschiedlichen Gründen betrieben, mit teils fragwürdigen Ergebnissen. Menschen der Antike29), zivilisiert oder nicht, haben die Wände ihrer Behausungen mit mehr oder weniger Aufwand geschmückt - vielleicht mit farbigen, der Natur entliehenen Ornamenten, stilisierenden, jedoch allgemeinverständlichen Szenen des täglichen Lebens oder mit Darstellungen ihrer Träume und Götter. Man verweise mich jetzt bitte nicht auf künstlerisch anmutende, mit Ritzzeichen versehene Keramiken der Steinzeit oder auf, sich uns in gestalterischer Vollendung darbietende, Idol-Figuren der Kykladen. Das eine ist ein verzierter Gebrauchsgegenstand, das andere eine, religiösen Riten dienende Opferfigur oder ein Anbetungsgegenstand. Philosophie, Bildung und Kunst der Antike schätzen wir, berufen uns auf deren Ästethik und Philosophie. Auf die Erfahrungen und Denkvorgaben von Philosophen und Künstlern dieser alten Kulturen bauen wir unsere Zivilisation auf. Muß da nicht die Frage erlaubt sein, ob Menschen nicht längst in der Lage gewesen wären, zum Beispiel die Wendung Freiheit für die Kunst zu erfinden; eine Bezeichnung, die heute als Argumentationshilfe für jede noch so schwachsinnige Kunstäußerung herhalten muß, ebenso wie die Termini: Kunst darf alles, und vermessener, der erweiterte Kunstbegriff31). Die Fähigkeit, den Sinngehalt dieser Begriffe zu entschlüsseln, fehlt mir. Dem seinerzeit obligaten Entstehungsprozeß eines Kunstwerkes, steht heute eine enthemmte, grenzenlose und nicht mehr meßbare Vielfalt von Äußerungen, Experimenten mit unsicherem Ausgang und fraglichen Schöpfungsprozessen32) jeglicher Art gegenüber. Es gibt anscheinend keine Grenzen mehr, die zu überschreiten möglich wären. Wo man als Künstler keine Grenzen mehr erkennt, die auszufüllen sich lohnen, kann demnach die oft sichtbar verzweifelte Suche im Grenzenlosen nur mit Stagnation enden. Wo moderne Künstler ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden können, ihre Kunst schon im Stadium des Entstehens zum Endprodukt erklärt wird, bleibt allein Mittelmaß übrig. Nach Auffassung vieler heutiger Kunstideologen waren die alten Künstler unfrei; gefangen in Konventionen und Verträgen, den Machteinflüssen von Fürsten und Kirche ausgesetzt. Der Wunsch, in deren Einflußbereich als Handwerker zu überleben, konnte nicht der einzige Antrieb gewesen sein, so großartige Kunstwerke zu schaffen. Dagegen scheint heute der Ruf nach Freiheit der Kunst Priorität zu besitzen, gleichsam als Ersatz für eine nicht vorhandene, nicht gewünschte Bildaussage. Die Künstler empfanden sich, möglicherweise trotz innerer Widerstände, wenn auch mit besonderer Begabung ausgezeichnet, als Teil der Gesellschaft in der sie lebten, der Gesellschaft, die ihre Handwerker schätzte, ausnutzte, bewachte oder verhätschelte, jedoch meist respektierte und achtete und wie heute noch, kleinlich und verzögert bezahlte33). Ihre Darstellungen waren naturalistischer, nicht tachistischer Manier, wenn religiös, dann doch wenigstens die Götter vermenschlichend und dadurch begreifbar für die Masse. Wenn sie als Künstler gehalten waren, Taten, Portraits, Allegorien34) und Grabmale für ihre Auftraggeber zu gestalten, so malten und skulptierten sie dies nicht in einer, der damaligen Gesellschaft unzugänglichen, Art und Weise, sondern klar und verständlich. Farbkleckse allein auf einer Leinwand, hätten wohl damalige Auftraggeber mit Kerker bestraft, die Betrachter hätten die Werke mit Hohnlachen quittiert. Und wie reagieren wir heute? In einem Gesellschaftsrahmen, dem man nachsagt, er sei liberal und großzügig? Wir geben uns heute nicht nur mit Klecksen zufrieden, wir tun so, als verstünden wir etwas davon; sind wir so bequem in unseren Ansprüchen geworden, daß wir nicht nachfragen, was man uns vorsetzt? Unterliegen wir dem gesellschaftlichen Zwang mit den Wölfen zu heulen oder ist es nur bequemes Verhalten? Ist das der Preis der Freiheit der Kunst, für den der Konsument durch mitheulen zahlen soll?
Die Anforderungen, denen sich frühe Künstler und die sie tragende Gesellschaft stellten, waren auf Wechselbeziehungen begründet. Einerseits der Wunsch durch Darstellung zu verdeutlichen und auszulegen, Vorbild35) zu liefern, andererseits der Wunsch, diese Vorbildfunktionen zu erhalten und anzunehmen. Die Menschheit aufteilen in Wissende und Unwissende36), wie es Herwarth Walden deutlich am Anfang unseres Jahrhunderts formuliert hat, allerdings mit anderen Schlußfolgerungen. Dies war keine neue Erkenntnis, kein neues Anliegen, sondern der Rückgriff auf uralte Gesetze der Machtgesellschaft Mensch - Verhaltensgesetze, die noch in ferner Zukunft wirksam sein werden. Das Versagen Kunstschaffender, etwas faßlich darzustellen, bewog sie, mit bequemen Abstraktionen37) und Farbkompositionen, ihr Unvermögen zu kaschieren. Sie taten dies, a) aus Unfähigkeit und Bequemlichkeit, b) bewußt und mit Vorausschau, die erstrebenswerte Machtstellung als Avantgardist einer neuen Kunst auszuüben, oder c), sie machten ihre Unzulänglichkeit einfach zum Standard. Die fähigsten Protagonisten dieser neuen Entwicklung haben die Zeichen der Zeit erkannt. Sie haben leider auf ihr Können verzichtet und dafür lieber gute Geschäfte mit ihren Kunstwerken gemacht. In all diesen Fällen konnten sie sich sicher sein, trotz allen Unverständnisses seitens des Publikums, von ihm anerkannt zu werden, denn man wollte an sie glauben. Diese Verhaltensweisen gelten ebenso für die Gegenwart. Die aufgeklärte Kunstgesellschaft will sich einfach nicht unterstellen lassen, nichts von Kunst zu verstehen, denn sie wurde ja von den Apologeten scheinbar in den Kreis der Wissenden und Gläubigen aufgenommen. Derartige Reaktionen scheinen ein allgemeines Problem zu sein und sind auch in anderen Kulturbereichen als Ersatzreligionen, wie zum Beispiel dem Label- und Starkult anzutreffen. Wenn ein Künstler in einen Dialog mit seinem Publikum treten will, und das sollte er ausschließlich durch seine Werke, wie kann er das mit purer Dekoration oder durch die, nur wenigen Eingeweihten verständliche, Symbolik erreichen? Ein Eimer Farbe an der Wand38), mit einer netten Theorie, ein Klecks Butter im Filz, eine gefundene Plastik-Einkaufstüte, ein Schnitt in der Leinwand - ist das die Sprache eines Kunstwerkes? Wir wissen natürlich, daß wir von der Realität des Kunstmarktes längst eingeholt wurden. Die schieren Unverschämtheiten, wie sie uns als Kunst angeboten werden, sind Alltag im Kunstgeschehen geworden. Siehe Jackson Pollock, Sam Francis, Morris Louis, Ives Klein, Lucio Fontana, Raffael Rheinsberg und zahllose weitere, deren Namen mir nicht aus der Tastatur fließen wollen. Farben allein, abstrakte Kompositionen, pseudophilosophisch verpackte Ideen ohne verständliche Sinngebung, reichen nicht aus. Sie bleiben dürftig und sind entweder pure Dekorationen oder Gedankenspielereien.
Lernen, erkennen und beurteilen
Nicht, wie ein Kunstwerk interpretiert wird, sondern das, was auf einem Gemälde oder durch eine Skulptur dargestellt ist, macht Sinn. Nur das, was man erkennt, kann man individuell bewerten - nicht das, was man insinuiert.
Für die Betrachtungsweise und Einschätzung39) eines zeitgenössischen Kunstwerkes sind nicht nur die Vergleichsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Stilen, Künstlern und Zeiten notwendig, sondern entscheidend ist ein eigenes, bewußt gebildetes Urteilsvermögen. Vernachlässigung erfuhren, weil nicht mehr fortschrittlich genug, die Kunstrichtungen, die sich traditioneller Maltechnik und allgemeinverständlicher Darstellung bedienten. Ebenfalls der Naturalismus, respektive Realismus und der Surrealismus, wobei der sogenannte Realismusbegriff, nach 1945 stark eingeschränkt, für teils politisierende, aber naturalistisch gemalte und gezeichnete Kunstwerke mit sozialkritischem Tenor40) verwendet wurde. Nicht kurz und wahrhaftig nicht unbedeutend, sind die Intermezzi41) der Kunst, der von Kunsthistorikern so genannten Neuen Sachlichkeit der 20er bis 40er Jahre in Europa und Amerika. Nicht vergessen darf man in diesem Zusammenhang, die motivisch, die Ideen des Nationalsozialismus verherrlichenden, teils fragwürdigen Kunstprodukte der Kunst des III. Reiches, als Gegenpol zur entarteten42) Kunst der zwanziger Jahre in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Den stalinistischen, pathetischen, idealisierenden Realismus vor, den Sozialistischen Realismus mit gleichem Tenor nach 1945, gab es in fast allen kommunistisch geprägten Gesellschaften43). Natürlich ist es nicht wünschenswert, den Künstler als Sprachrohr, einer wie immer gearteten Regierungsform, zu verwenden. Zweifellos ist heute der Mißbrauch von Künstlern und Einflußnahme auf Kulturarbeit ebenfalls kaum zu vermeiden. Man muß sich die von Staat und Wirtschaft unterstützten Kulturprojekte genau ansehen. Deren angeblich uneigennützige Unterstützung hat, wenn man genauer nachdenkt, nachfragt und nachsieht, geschickt getarnte wirtschaftliche und ideologische Hintergründe. Wir wissen, daß jede Führungsschicht einer Gesellschaft, ob demokratisch oder diktatorisch geprägt, nur die Kunstform, verstehbar oder nicht, duldet und protegiert, in deren Aura sie sich anschließend sonnen oder für Ihre subjektiv begründbaren Zwecke mißbrauchen44) kann. Selbstverständlich dürfen wir unsere Augen nicht davor verschließen, daß die meisten Kunstwerke vergangener Zeiten, gerade menschenverachtender Epochen45), nicht ideologisch unbelastet, nur der Kunst wegen entstanden sind. Die ägyptische Kunst, die Kultur der Babylonier, das alexandrinische Zeitalter, die römische Kaiserzeit (Caligula, Nero?), die Kultgegenstände der altamerikanischen Völker in Südamerika, die borgianische Renaissance, das napoleonische Zeitalter oder der inquisitorische Katholizismus sind gute Beispiele für menschenverachtende Politik und Huldigungen an Regime und Religionen. Es ist selten, daß ein modernes Museum46), mithin eine öffentliche Institution, das ganze Spektrum der Kunst der letzten hundert Jahre als Vergleichsmöglichkeit anbietet. Wir sehen deshalb in den Museen, die ja primär Bildungsinstitute und nicht Endlagerstätten für gehirnakrobatische Kunststückchen sein sollten, nur eine sehr subjektive Vorauswahl47). Subjektiv im Sinne von parteiisch. Wir sehen dort die Resultate der seit einhundert Jahren manipulierten48) und durch die Masse geduldeten Kunstpolitik, also moderne Kunstprodukte, die von geschmacksbildenden Kunsthistorikern zu Kunstwerken erklärt wurden. Der Künstler hat verlernt, will es vielleicht gar nicht mehr, seine nur ihm innewohnenden Gedanken und Fähigkeiten49), durch sein Produkt zu vermitteln. Und der Betrachter hat verlernt, die Darstellung zu lesen, das heißt, das zu erkennen, was er sieht. Er wird zum Entsorger einer vorgekauten und bereits voll verdauten Kunstproduktion degradiert, ohne daß er selbst den geringsten Einfluß auf das ihm vorgesetzte Gericht und dessen Rezeption gehabt hätte. Werk und Betrachter sind die Hauptakteure. Nicht das Wollen, sondern das Können ist unentbehrlich für die Existenz von Kunst. Entbehrlich in diesem Rahmen sind nur die Theoretiker.
Ich komme jetzt zu zwei weiteren Teilaspekten. Im Blickwinkel habe ich unsere interessierten Zeitgenossen. Am Schluß des letzten Kapitels habe ich mein Thema angedeutet. Es geht mir einerseits um die Aussagefähigkeit50) eines Kunstobjektes, andererseits um die Aufnahmebereitschaft des Rezipienten. Machen Sie sich klar, daß eine wie immer geartete, von außen an Sie herangetragene Rezension von Kunstwerken erwartungsgemäß äußerst subjektiv filtert, vorausgesetzt sie besteht nicht nur aus Schlagworten und Worthülsen. Die vermeintlich aufklärende und objektivierende Gattung von Kritikern und Kunstschriftstellern51) versucht Ihre Rezeptionsfähigkeit zum Wohle der modernen Kunstmarktpolitik zu kanalisieren. Betrieben sie wirklich Aufklärung (Aufdeckung, Bewußtmachung, Bloßlegung) im eigentlichen Sinne, so gäbe es wohl bald eine Vielzahl Kritiker weniger, da sie sich im Sinne einer vergleichenden und daraus abzuleitenden, wertenden Kritik als unfähig erwiesen und somit ihre Existenzberechtigung innerhalb des Kunstmarktbetriebes verlören. Entscheidend ist der Urteilswillen eines jeden einzelnen Betrachters. Dieser Wille zum Urteil muß indes erst von einem entscheidungsbereiten Kunstbetrachter erworben werden. Nicht nur durch Vergleiche anderer Urteile und Meinungen mit den eigenen Erkenntnissen, sondern vor allem durch ständige, vergleichende Rückrufe ursächlicher Erlebnisse, die durch die Betrachtung von unterschiedlichsten Kunstwerken entstanden sind. Ebenso durch Vergleiche möglichst vieler verschiedener Kunstrichtungen. Der Weg zu eigener Entscheidung und damit zu einem erstrebenswerten Selbstbewußtsein zu kommen ist nicht leicht. Er wird den Menschen, durch insistierende Wiederholungen von Postulaten des Kunstbetriebes nicht leicht gemacht. Auch hier höhlt steter Tropfen den Stein. Wie oft ich an Ausstellungsabenden oder in Museen bei großen Ausstellungen der Modernen Kunst, Menschen treffe, die völlig hilflos vor den Werken heute bedeutender Meister stehen, will ich gar nicht mehr zählen. Erfreut bemerke ich manchmal, daß nicht alle die Kunstwerke mit Ihren Blicken verschmähen, sich während der Vernissagen nicht nur treffen, um dabeigewesen zu sein oder um sich ein wenig von der Aura der Kunstmacher bescheinen zu lassen. Manch ein Teilnehmer wendet sich tatsächlich der Kunst zu. Erschreckend ist es, während dieser Eröffnungszeremonien, die Reaktionen auf die Werke der Künstler zu beobachten. Sprechen die Grüppchen, um Interesse zu heucheln, über die ausgestellten Kunstwerke, so beschränken sich ihre Bemerkungen auf hilflose Oberflächlichkeiten. Keiner der Anwesenden riskiert, sich mit einer eigenen Meinung zu exponieren. Sie haben regelrecht Angst, von dem anwesenden ebenso dussligen Premierenpublikum ein Armutszeugnis für Unwissenheit oder gar Kulturlosigkeit ausgestellt zu bekommen. Entweder schweigen sie zu den Kunstwerken und ergehen sich in belanglosen Alltäglichkeiten oder sie werfen Teile angelesener Halbbildung in die Gesprächsrunde. Natürlich kann man vorsichtig abwarten um hernach seine, mit der Mehrheit solidarisierende, Meinung abzugeben. Fast alle Ausstellungsbesucher sind unsicher in ihrem Urteil und warten sehnsüchtig auf eine wohlformulierte Erklärung irgend eines Kulturidioten, der sie sich hinterher dankbar und nicht weiter das gerade Gesehene und Gesagte reflektierend, bequem anschließen können. Ein weiteres Phänomen: Ist der ausstellende Künstler anwesend ("Wie sieht denn der Künstler aus ?"), suchen ihn prominentengeile Kulturbanausen zunächst mit den Augen, um vorab zu klären, ob er als Person interessant genug scheint, das eigene Image zu heben. Ist dem so, stöbert man ihn aus einem fadenscheinigen Grund auf, unterbricht ihn womöglich bei einem wichtigen Verkaufsgespräch und sagt ihm artig, wie hübsch und ungemein interessant man seine Werke findet. Die Farben seien zwar etwas zu bunt, aber das könne er ja ändern. Ob der Künstler will oder nicht, er erfährt außerdem, daß der/die Störer(in) in der Schule jedesmal eine Eins im Zeichnen hatte, doch leider, leider heute keine Zeit mehr habe um den Pinsel zu schwingen. Eine besonders penetrante Anmache beinhaltet zu allem Übel das nivellierende gewerkschaftliche "Du". Dann endlich, unter widerlichen, mittlerweile ritualisierten Küßchen links und rechts auf Künstlerwangen und unter den bewundernden Blicken der Umstehenden ob der Vertrautheit mit dem Künstler, verläßt diese lästige Person die Galerie. Natürlich ohne etwas zu kaufen. Wie ich sagte, ist es selten genug, daß Besucher einer Ausstellung in irgend einer intelligenten, selbstbewußten Form Stellung zu den Exponaten beziehen. Meistens ist eine Ausstellungseröffnung Mittel zum Zweck, neue, sündhaft teure Kleider vorzuführen, von deren Anschaffungspreis der Künstler nicht nur die Miete eines Ateliers, sondern Nahrung für mindestens drei Monate bezahlen könnte. Eine so genannte Vernissage ist Transferort für das neueste Gerücht, für Verabredungen zu anderen Medienereignissen und Gelegenheit, Urlaubsberichte auszutauschen. Dem Kulturidioten bietet sich die Chance, sich über seine letzte Steuernachzahlung beim Künstler zu beschweren, weswegen er, so gerne er würde, wenn nicht diese dumme Steuernachzahlung wäre, in einer Höhe, wovon der Künstler nicht nur Atelier, Essen, neue Leinwände und Farbe, sondern auch eine zweijährige Studienreise durch China und Japan mit Aufenthalten in den besten Hotels finanzieren könnte, leider von einem Bilderkauf Abstand nehmen müßte. Natürlich teilt der Artist, dessen Magen eh vom bloßen Zuhören rotiert, dessen Hirn die ins Spiel gebrachten Summen nicht mehr realisieren kann, diese Sorgen und spricht sein Bedauern darüber aus. Er greift nach dem achten Glas billigen Schaumweins, verzieht sein Gesicht zu einer verständnisvollen Leidensmiene, er könne ihn gut verstehen, ihm gehe es nicht besser. Nach dieser Erzählung erst recht nicht. Kommen wir nun zu der Hauptattraktion von wichtigen Ausstellungseröffnungen. Es ist eine leidige kaum abzuschaffende Gewohnheit zu erklären, was der Künstler eigentlich sagen wollte - jedoch nicht in der Lage war, es zu tun. Kaum eine Vernissage ohne den obligaten literarischen Adoranten und kunstphilosophierenden Erleuchter. Die Besucher stellen sich artig in einem Halbkreis um den angekündigten Redner und harren der geistreichen Erklärungen zu den ausgestellten Werken. Zuvor eine beiläufige Begrüßung des anwesenden Künstlers in einem Halbsatz und danach eines der zahllosen Begrüßungsrituale, in denen der Galeriedirektor neben anderen unwichtigen Personen anwesende Politiker aus der Kulturverwaltung und Sponsoren des zwölf Kilo schweren Kataloges begrüßt, um deren Eitelkeiten zu befriedigen. Sind diese Präliminarien zu voller Zufriedenheit des Auditoriums erfolgt, ist es endlich soweit. Dem Hauptredner wird das Wort erteilt. Schon während des Vortrages dieser Geistesgrößen entsteht im Kopf des Ausstellungsbesuchers, der nicht aus vielleicht gesellschaftspolitischen Gründen der Ausstellung beiwohnt, folgende Problematik. Er muß sich zwischen eigenen Einsichten, beziehungsweise dem eigenen Urteil und den Auslegungen des Redners entscheiden. Selten sind beide Schlußfolgerungen kongruent. Wenn man den Erklärungen seines Ausstellungstextes folgt, so wird der Hörer am Ende überrascht sein, daß er nicht zu diesen Erkenntnissen kam - sollte ich Erleuchtungen sagen? In der Regel gehört es zum normalen Verhalten, daß kaum einer das gerade Gesehene, Gehörte reflektiert und darüber nachdenkt, was sich zeitgleich in seinem Bewußtsein abspielt. Ist er wirklich an Kunst interessiert, so müsste er sich folgende Fragen stellen: Welche Wirkung hat das Objekt auf mich, kann ich das Werk / die Darstellung lesen, war oder ist der Maler fähig, das Kunstwerk als Medium, als Mittler seiner Intentionen zu nutzen? Welche Formensprache hat der Künstler gewählt - eine verständliche oder eine, die erst durch einen nutzlosen Interpreten, zudem verklausuliert, ausgelegt werden muß? Verstehe ich die Sprache des Künstlers? Oder brauche ich, um die Auslegungen des beigeordneten Redners und Kunstdialektikers54) zu verstehen, nochmals Hilfe in Form eines etymologischen Lexikons ? Wir müssen uns fragen, ob wir allen Ernstes die Filterung und Kanalisierung einiger höchst einfacher Vorgänge brauchen. Etwas sehen und annehmen oder ablehnen. Etwas sehen und erkennen oder nicht erkennen. Wir müssen uns fragen, ob der Künstler überhaupt etwas mitteilen möchte. Macht er sich die allgemeine Unbildung55) und Unsicherheit des Publikums zunutze, um mit Nichts als einem fertigen Produkt, besonders nachdenkenswert und deshalb als bedeutend zu erscheinen; macht er sich gar lustig, geriert er sich, wie es ihm seine Impresarios bestimmt haben, nur als Künstler? Oder, und dies halte ich für besonders unredlich, erfindet ein Künstler nur eine Masche, um sich von den anderen Markenzeichen zu unterscheiden ? Die Realität sieht so aus: Je unverständlicher und komplizierter ein Kunstwerk, je dicker das über den Künstler geschriebene Kunstbuch, je unverständlicher die Exegeten56) mit Erklärungen, je wirrer und unergründlicher sich Kunstrichtungen durch Kritiker darstellen, so faszinierter sind die Kunstliebhaber57) von deren Produkten. Ich gehe davon aus, daß die meisten Menschen nicht in der Lage sind, diesen entbehrlichen, doch geistreich scheinenden Texten so zu folgen, daß sie Interpretationen und Wortschöpfungen dieser Philologen58) nicht oder nur teilweise folgen können. Für einen Scharlatan59) ist das natürlich ein Freibrief. Er kann wunderbar von seinem marginalen Werk ablenken und/oder dessen fiktive Aussage dem Kritiker überlassen, er kann mit Rückendeckung der Kritik schließlich alles produzieren, was er will. Wenn dieser Protagonist sich eine eindrucksvolle Position auf dem Kunst-Autorenmarkt verschafft hat, wenn ebenso ungebildete wie einspurig geprägte Museumsdirektoren - es gibt einige Ausnahmen, die öffentlich nicht widersprechen - Kunstliebhaber-Gesellschaften und Kunsthändler bewußt in die Irre führen, wenn sie wider besseres Wissen feige schweigen, tolerant und liberal mitschwimmen, steht dem Erfolg eines neuen Ismus, oder der Geburt eines neuen Genies nichts mehr im Wege. Das nennt man dann: Alles ist Kunst; Kunst ist, was machbar ist. Ortega60) hat sinngemäß so formuliert: [...]; Kunst ist für wenige auserwählte und besonders feinnervige Menschen da [...];. Dieses Zitat könnte zu Mißdeutungen Anlaß geben. Indessen kann ich mir nicht denken, daß er damit eine besonders hohe Schulbildung oder angelerntes Wissen gemeint hat, wenn man den Schwerpunkt dieses Zitates auf das Wort Kunst legt. Es gibt unendlich viele Menschen, die ohne Bildung61) im traditionellen Sinn das haben, was wir sensus communis nennen. Kinder reagieren zum Beispiel auf Kunstwerke normal, noch ohne Verbildung. Ihnen gefallen leuchtende Farben, weil sie ihre Augen reizen, sie erfreuen vielleicht ihre Seelen. Ohne sinngebende Formen werden sie sich, wenn man sie nicht ausdrücklich um Interpretationen bittet, auf die Benennung der Farben beschränken. Dazu brauchen sie keine weitergehenden Erklärungen. Sie benennen, bedingt durch Lernprozesse, Gegenstände ihrer Umwelt, wenn Sprache eine Bezeichnung für einen Gegenstand gefunden hat. Sie sehen ein Bild mit der Abbildung eines ihnen vertrauten, also benennbaren Gegenstandes. Sie können ihn deshalb nach ihrem Wissensstand, noch abstrahiert dargestellt, lesen und bezeichnen. Ohne weitere Interpretation eines gebildeten Erwachsenen. Moderne Kunst die ich meine ... Wenn Sie den Text aufmerksam gelesen haben, mag es Ihnen scheinen, daß mein Anliegen darauf abzielen würde, Sammler, Käufer und Kunstliebhaber zu nötigen, modernste Kunst generell abzulehnen und negativ zu beurteilen. Der Anschein trügt nicht. Werke der Avantgarde, die Nichts durch irgend Etwas sichtbar zu machen versuchen, dennoch nichts darstellen, halte ich für überflüssig. Ich will, daß interessierte Menschen ihre Angst vor heutiger Kunstdoktrin verlieren. Viele fürchten, wenige geben zu, moderne Kunst nicht zu verstehen. Sie fühlen sich unwohl, weil ihnen ihr Verstand etwas anderes sagt. Tatsächlich gibt es keinen Grund für diese negativen Empfindungen. Sagen Sie endlich, was Sie denken. Je beherrschter und überlegter Sie Ihre Erkenntnisse äußern, desto überzeugender wirkt es auf Ihre Umgebung. Machen Sie sich nicht würdelos durch einen Kotau vor des Kaisers neuen Kleidern. Ich weiß, daß ich es von Ihnen fordern muß, weil Sie sich ein Recht auf Individualität nicht vorenthalten lassen sollten. Unter dem Begriff Moderne Kunst, wird heute allgemein das Kunstschaffen bezeichnet, das sich durch besonderen Erfindungsreichtum und übersteigertes Selbstwertgefühl der Künstler samt Dünkelhaftigkeit ihrer Protegés auszeichnet. Um wenigstens für eine gewisse Zeit Aufmerksamkeit und einen Handelswert für ihre Kunstprodukte zu erreichen, ist absolute Neuigkeit der Äußerungsform, ein unbedingtes Muß. Jedes Mittel ist recht, um der Erwartungshaltung der Kunstgemeinde zu entsprechen. Formt man den Begriff Moderne Kunst nur wenig um, zu modische Kunst, der Mode unterworfene Kunst, so wird sie eine fashionable, modegerechte, modebewußte, schicke - eine Kunst nach der neuesten Mode, Modekunst. So kommen wir dem Kunstbegriff unserer Zeit sehr nahe. Die Konfrontation der Gesellschaft mit schrulligen Dekorationen ist auf den kurzfristigen Schockeffekt angelegt. Haben wir noch Zweifel, daß es vielleicht nicht schick ist, in ein Schlafzimmer einen fettverschmierten Schlitten zu stellen, vielleicht ein schimmelndes Schokoladenobjekt oder die Reste irgendeiner Sammelaktion auf einem Müllplatz über den Esstisch zu hängen? Stehen diese Objekte62) mit deren Anbetungscharakter nicht doch für die Inkarnationen unseres höchsten Kulturbewußtseins? Viele flexibel denkende, liberale, fortschrittsgläubige Menschen sagen: "Das ist so, man muß mit der Zeit gehen, sich nicht gegen Entwicklungen stellen!" Diese Auffassung teile ich nicht. Es gibt keinen Beweis, daß Fortschritt im Sinne von Innovation auf dem Gebiet der Kunst nötig wäre, als Hypothese vielleicht parallel nur zu einem wirklichen Fortschritt63) des Menschen. Und wie lange diese Entwicklung dauern kann, können wir Millenien zurückverfolgen. Die Gestalt des Menschen verändert sich, das Prinzip seines Verhaltens blieb sich gleich. Das wird auch in der Zukunft (wenn ich mir diesen Fernblick erlaube) so sein. Rückbesinnung auf traditionelle Werte bedeutet nicht gleichzeitig Rückschritt oder Stillstand. Ein gleichfalls zeitgenössischer, moderner Künstler kann mit althergebrachten64) handwerklichen Mitteln seine Leinwände mit entzifferbaren Darstellungen zeitbezogener Inhalte so füllen, daß sie jeden Menschen auch heute noch erreichen; sie sind deshalb nicht weniger modern (siehe Bacon, Mattheuer, Leipziger Schule, etc.). Den Antipoden sehe ich im unaufrichtigen Sammler und Förderer unverständlicher Kunst. Man sollte sich als Maler oder Betrachter dem oberflächlichen Zeitgeist nicht unterwerfen. Von Avantgarde konnte allerdings nicht die Rede sein, die Surrealisten und Dada-Künstler hatten diesen Unsinn längst in den 20er und 30er Jahren vorweggenommen. Sie selbst hat es allerdings verblüfft, daß sie damit ernstgenommen wurden. Nun ist dieser Sackbahnhof mit Pomp und erheblichen finanziellen Mitteln und unter Beteiligung der Schickeria zu einem senatsgenehmigten Endlager für moderne Kunst degradiert worden. Kann man mit einer Brillo-Kiste oder einer Campbell's Suppendose gedanklich kommunizieren? Das Ergebnis eines solchen Versuches wäre die Einsicht, daß uns der Künstler mit seinen Ergüssen wohl an der Nase herumführt. Verglichen mit einem ballspielenden Seehund im Zirkus oder einem radfahrenden Bären, wirkt da der Mensch, die Krone der Schöpfung, noch erbärmlicher. Nicht nur die oben als Beispiele archetypischer, avantgardistischer Kunst genannten Werke möchte ich ablehnen, sondern die in gleicher Zeitspanne, also etwa seit den 60er Jahren bis heute angefertigten, hyperrealistischen Gemälde und Zeichnungen (Photorealismus), die ein zwar stupendes, handwerkliches Können zeigen, in meinen Augen und nach meinem Gefühl aber absolut tot in ihrer Wirkung sind. Sie kaprizieren sich ebenso auf den Effekt, wie die Op-Art. Sie blähen handwerkliches Geschick zum eigentlichen Zweck auf, statt es als Mittel zu verwenden. Besonders deutlich wird dies, wenn wir den heutigen Photorealismus mit dem Realismus der 20er und 30er Jahre vergleichen. Heute wird von Nur-Handwerkern platt abgemalt und abgezeichnet, daran ändern meist geschmäcklerische Kompositionen nichts. Trotzdem wird diese Tätigkeit als eigenständige Kunstrichtung propagiert. Noch vor wenigen Jahren konnte man an Kinotheatern und in der Werbung diese Handfertigkeiten bewundern. Jetzt werden sie, weil sie ihren illustrativen Zweck verloren haben, einfach in den Bereich der modernen Kunst mit aufgenommen. Man will ja keinen im Regen stehen lassen. Außer dem Aha-Erlebnis wird keine weitere Reaktion erwartet und ist überdies nicht möglich. Vergleicht man diese Plattheiten mit den Gemälden von Dix, Schad, Sheeler, Hopper, Oppi, Casorati, Spencer oder den flämischen Künstlern der Neuen Sachlichkeit, sollte selbst einem zeitgenössischen Betrachter ein Licht aufgehen. Ein Künstler stellt mit seiner Arbeit seine Auffassung, seine Meinung zur Diskussion. Im Idealfall kann der Betrachter eine Auseinandersetzung mit dem Werk führen. Das Werk nimmt eine Stellvertreter-Funktion für des Künstlers Intentionen ein. Ein Kunstwerk kann oder soll Fragen stellen und natürlich Antworten geben. Wie gesagt, eine Suppendose oder eine Waschmittelverpackung, ob im Original oder gezeichnet, ist als Gesprächspartner denkbar ungeeignet, da sie letztlich, aus dem Alltagsverbrauch herausgerissen, und in eine museale Umgebung gestellt, keineswegs genuine Schöpfungen im Sinne von Kunst sind. Normalerweise ist nichts so deprimierend für einen Künstler, wie eine ignorante, freundliche oder gar tolerante Haltung seiner Arbeit gegenüber. Dieses Konsumentenverhalten entsteht meistens dann, wenn das Kunstwerk entweder mit dem normalen Verstand nicht mehr angenommen werden kann oder bestenfalls kurzfristig für einen Überraschungseffekt reicht. Leider muß man in zeitgenössischen Ausstellungen dieserart den Werken moderner Kunst gegenübertreten. Es lohnt sich noch nicht einmal, über diese Kunstwerke zu diskutieren; obendrein fehlt ihnen der Inhalt. Scheinbar stört das heutige Produzenten und Sammler überhaupt nicht, abgehoben und ignorant wie sie sind. Noch größeren Schaden kann moderne Kunst nicht erfahren. Diesen abzuwenden und den Verlockungen eines bedenklich manipulierten Kunstmarktes nicht zu folgen, fordere ich die Künstler auf und gebe es allen Kunstfreunden zu bedenken. Es gibt immer noch Menschen, die altmodisch gemachte Kunst honorieren, nicht nur im ideellen Sinn. Die Basis der kunstliebenden und sammelnden Menschen verschiebt sich, bedingt durch die verklausulierte Darstellungsweise der Künstler, immer mehr zugunsten einer vermögenden, dümmlichen Möchtegern-Elite, die alles konsumiert, wenn die Produkte ihrer Gier den Segen selbsternannter Propheten erhalten haben. Die Sammler und Käufer von Moderner Kunst bitte ich ernsthaft zu bedenken, daß es billig und entwürdigend ist, von geliehenen Bewertungen oder Meinungen zu leben - vertrauen Sie ihrem eigenen Urteilsvermögen und lassen Sie sich nicht durch den Zeitgeschmack und Zeitgeist ablenken. Es ist kein Zeichen beeindruckender Persönlichkeitsstruktur, andauernd der letzten Modeerscheinung nachzulaufen. Rufen Sie sich ins Bewußtsein, daß kein noch so gebildeter Kunsthistoriker Geschmack vorschreiben oder die Bedeutung65) eines Kunstwerkes durch Interpretation und Festschreibung in der Kunstgeschichte etablieren66) kann. Ein Kunstwerk ist Interpretation ... bedarf es einer Auslegung durch Dritte, ist der Inhalt eines Werkes nicht erkennbar, so hat es seinen Zweck verfehlt. Weiterhin stelle ich fest, daß es nur subjektive Bewertungen und Betrachtungsweisen gibt. Objektive Rezensionen kann es nicht geben. Ein Kunstwerk erklären zu wollen, gehört in den Bereich der Tautologie. Ein Kunstwerk erklärt sich durch sich selbst67) - ein Satz, bei dem mir einige wenige, jedenfalls keine wirklich ernstzunehmenden Kunstfreunde widersprechen werden. Was man für ein Kunstwerk hält, muß jedem Betrachter überlassen werden. Die gewiß erlernbare Voraussetzung für ein Urteil ist eigenes Wahrnehmungsvermögen. Diese beiden Sätze werden wesentlich mehr Widerspruch auslösen. Meinen Postulaten wird die Kunstgemeinde einzig aus Selbsterhaltungstrieb nicht zustimmen können. Es ist eine unwiderlegbare Tatsache, daß ein Kunstwerk im Atelier oder vor der Natur und im Augenblick des Betrachtens entsteht, wenn es den Rezipienten unmittelbar und ungefiltert erreicht, nicht durch schriftlich vorbereitete oder nachgereichte Erklärungen und nicht als Gedanke68) pur. Das Kunstwerk überdauert, wenn es eine verständliche Aussage besitzt, Zeitgeist und Moden. Auch noch in fünfhundert69) Jahren, wenn schriftlich niedergelegte oder auf anderen Datenträgern vorhandene krude Exegesen hoffentlich vermodert sind, verramscht wurden oder nicht mehr verstanden70) werden. Es bleibt im günstigsten Fall nur noch das Kunstwerk übrig. Es wird kaum Hilfsmittel geben, das Objekt im Sinne seiner Entstehungszeit zu erklären. Das Produkt wird für sich selbst sprechen müssen. Vergleichen Sie bitte doch einmal das von Rodin geschaffene Denkmal "Die Bürger von Calais" mit dem traurigen, sogenannten "Holocaust"-Denkmal - könen Sie sich vorstellen, daß in 200 Jahren noch Betrachter den Sinngehalt des letztgenannten entschlüsseln können ? Wie anders, als geprägt durch den Erfahrungsbereich des einzelnen Betrachters, kann Kunst beurteilt werden. Hat nicht jeder Mensch in seinem Leben besondere nur ihn betreffende eigene Erlebnisse gehabt; sind nicht diese nur subjekiv empfunden worden? Wenn mir jemand von einer Reise erzählt und davon schwärmt wie schön oder wie häßlich eine Landschaft war, kann ich da objektiv diese Erlebnisse nachvollziehen oder nacherleben? Das ist unmöglich. So eine Erzählung kann natürlich anregen, die Reise selbst zu machen. An der Schilderung einer Landschaft durch einen Erzähler kann man sich erfreuen. Zweifellos wird die beschriebene Landschaft jedoch mit unserem selbst erlebten Augenschein bebildert. Diese persönlichen Erfahrungen von Erde, Ebenen, Hügeln, Flüssen, Bäumen sind abrufbar in unserem Kopf gespeichert, damit bebildern wir fremde Erzählungen71). Unsere Erfahrungen sind andere, sind subjektiv. Wie will man denn Maßstäbe setzen für den Begriff Objektivität? Diese Objektivität könnte man doch nur erreichen, wenn alle Menschen über gleiche Bildung, Sensibilität, Erfahrungen, Fähigkeiten, Herkunft et cetera verfügen könnten. Daß dem so nicht ist, wissen wir. Geklont und genmanipuliert sind Menschen noch nicht (?). Aber wir sind auf dem besten Wege, einseitige Denkschemata zu produzieren und uns diesen noch freiwillig und aus Bequemlichkeit zu unterwerfen. Mit der Verdrängung oder dem Ausschluß aller nicht konform gehenden Künstler, knüpfte man erfolgreich in Deutschland nach 1945 an Zeiten kurz nach dem 1.Weltkrieg an, als in Europa und Amerika geschickte Kunsthändler, nicht zu vergessen willfährige Künstler und Museumsdirektoren, in Deutschland Kunstverwerter wie Herwarth Walden, dafür sorgten, daß Kunst zu einem Mysterium spezieller Art erklärt wurde, somit den Menschen entzogen wurde, statt sie ihnen nahezubringen. Sie hatten Aufklärung auf ihre Fahnen geschrieben. Sie wollten verkrustetes Denken aufbrechen, Kunst wieder Kunst sein lassen. Das treffendste Argument für meinen Verdacht des vorsätzlichen Betruges liefert Herwarth Walden selbst. In seinem Katalogbuch Einblicke in die Kunst formuliert er am Ende seines Einführungstextes folgendes: Die Kunstgelehrten wissen was Kunst ist. Natürlich das, was sie nicht wissen. Wir wissen es, meine Freunde, aber wir sagen es nicht. Weil es unsagbar schön ist72). In diesem Augenblick hat Walden mit seiner Brüskierung der Gesellschaft genau das erreicht, was bis heute das Gesetz des Kunstmarktes ist. Er hat die Menschen zu kleinkarierten Unkundigen gemacht. Hier begegnet uns die Dialektik eines Sophistikers. Je unverständlicher die Kunstprodukte und die damit verbundenen Mystifikationen für die Allgemeinheit, je unverständlicher die Protagonisten der neuen Kunst argumentierten, desto eingeschüchterter wurden die Menschen. Wenn man einen Menschen verschüchtert und ihm seine angebliche Tumbheit vorhält, wenn man ihn also mit dem Rücken zur Wand stellt, so besinnt er sich auf seine Abwehrmechanismen, die möglicherweise und meist unnötig, ungezielte Agressionen hervorrufen. Oder er unterwirft sich und glaubt den Predigern. Nach einhundert Jahren indoktrinierender Kunstgeschichtsschreibung wissen wir heute, daß sich die Menschen wieder auf einen vorkopernikanischen Zustand zurückbewegen. Mysterien haben die Eigenschaft, für die Allgemeinheit nicht zugänglich, ausschließlich Eingeweihten verständlich zu sein. Also begann man in der Frühzeit dieses Jahrhunderts, dem Menschen wieder zu vermitteln, daß Ablehnung der neuen Kunstrichtungen einen Quasi-Ausschluß aus dem Kreis der verstehenden, sich zugehörig fühlenden, avantgardistischen Kunstgesellschaft bedeutet. Man begann das Bewußtsein der Kulturschaffenden so zu manipulieren, daß Widerspruch gegen Neuentwicklungen auf den Gebieten aller Kunstgattungen bei ihnen das Gefühl erzeugte, hoffnungslos antiquiert, rückständig und reaktionär zu sein. Das ist natürlich kein sehr schöner Zustand. Kein Künstler und kein Sammler verharrt gerne darin. Diese Angst vor Rückständigkeit wird heute noch schlimmer als in vergangenen Zeiten empfunden, zumal unsere Zeit ein Mehr an Klassifizierung, Zugehörigkeit und Etikettierung verlangt. Heute erkennen wir, daß Individualismus nur noch im geordneten Rahmen gesellschaftlich akzeptierter Regeln erlaubt wird. Die Kulturgemeinschaft ist so weit heruntergekommen, daß sie als Nutznießer die Regeln für individuelles Verhalten bestimmen will. Die sogenannte individuelle Kreativität muß, um akzeptiert zu werden, von der Insidergesellschaft durch möglichst simple Etikettierungen erkannt werden können. So einfach ist das heute. Ist ein modernes Kunstwerk nicht zu verstehen, so widmet ihm ein Kritiker mehrere Spalten im Feuilleton oder ein ganzes Buch. Er beschäftigt sich mit einer Aussage, die er selbst erst in das Werk insinuiert und verpaßt ihm damit gleichzeitig eine bestimmte Aura, also ein Label der besonderen Art. Haftet einem Kunstwerk dieses Etikett der Unverständlich an, so wird dieses Werk zweifellos als bedeutungsvoll akzeptiert und, da es niemand versteht, muß man folglich nicht mehr darüber nachdenken, denn das haben die Kunstschriftsteller getan, denen man blindlings vertraut. Unglücklicherweise lassen sich Künstler zwingen, ein einmal lanciertes typisches Objekt aus ihrer Produktion, das vom Kunstmarkt angenommen wird, also gut verkäuflich ist, ständig zu variieren, um den Konsumenten ein wiedererkennbares, im materiellen Wert schätzbares, dem Künstler eindeutig zuzuordnendes Kunstwerk zu bieten. Nur wenige, simple73) Informationen brauchen die Menschen, keine komplizierten literarischen Vorgänge, diese erschrecken sie und erinnern sie an eigene Unzulänglichkeiten. Wer besitzt denn heute noch die Grundlagen und Fähigkeiten, religiöse oder mythologische Bildinhalte vergangener Zeiten zu lesen, wer dagegen empfindet noch Befriedigung, ein modernes Kunstwerk zu studieren, welches keinen Inhalt mehr besitzt? Die erste Frage ist durch Bildung zu lösen, die zweite ist unlösbar. Den Menschen bleibt also nur der Glaube und die Hoffnung, daß sie von Künstlern, Kunstwerken und deren Verwertern nicht hintergangen und betrogen werden. Zu den grob geschilderten, gewiß geschickt genutzten Manipulationen, kommen noch angelernte Vorurteile hinzu. Diese beinhalten die weit verbreitete Hypothese, daß naturalistische Malerei Rückschritt bedeute, zumindest Stagnation. Naturalistische Malerei vergleicht man, da haben wir schwer an unserer letzten Vergangenheit zu knabbern, mit den dubiosen, politisch manipulierten Blut-und-Boden-Kunstwerken der 30er und 40er Jahre dieses Jahrhunderts. Mit diesen anerzogenen Vorstellungen verbinden sich erwartungsgemäß die Darstellung von Spitzenhäubchen und Kleinbürgermief für das 19.Jahrhundert, Duckmäusertum und platt rassistische74) Malerei im zwanzigsten Jahrhundert. Literarische Kunst zu produzieren wird seit Anfang des 20. Jahrhunderts in westlichen Gesellschaftsordnungen verachtet, der Terminus selbst, zum Schmähbegriff, vielleicht gerade wegen der, zum Standard erklärten und geförderten, Halbbildung der Masse. Der Begriff Kunst umfaßte vor fünfhundert Jahren, weit mehr als heute üblich, die Bereiche von Architektur, Literatur, Dialektik, Musik, Schauspiel, die bildenden Künste und selbstverständlich das Kunsthandwerk75) Sie alle waren kaum zu trennende Teile des Gesamtkunstwerkes Kultur. Die kläglichen Versuche, dies unter Nutzung des gleichen Begriffes heute zu wiederholen, müssen schon aus wirtschafts- und bildungspolitischen Gründen scheitern. Natürlich wurde damals ebenso hart um die richtige Schilderung gerungen. Man weiß, daß Rembrandt mit seinem Gemälde "Die Nachtwache", fälschlich so genannt, bei seinen Auftraggebern nicht gerade Freude hervorgerufen hat. Wohl weniger der malerischen Qualität, als vielmehr der verletzten Eitelkeiten einiger dargestellter Personen wegen. Die Portraitierten erkannten sich. Rembrandt wurde gelinde gesagt, gebeten, das Gemälde im Sinne der Auftraggeber zu verändern. Heute stehen wir staunend vor diesem grandiosen Bild und verstehen kaum noch, daß die Auftraggeber erbost auf die, durch den Künstler erfolgte, Sezierung ihrer Charaktere reagierten. Nur dieses eine Beispiel veranschaulicht eines der Probleme damaliger Künstler. Ein Beispiel von vielen anderen, die uns die Geschichte überliefert hat. Es gibt hinreichend Beispiele für heutige Portraitaufträge76), die von modernen Künstlern ausgeführt wurden - mit anderen Ergebnissen - der Dargestellte erkennt sich nicht, die dargestellte Person wird von seinen besten Freunden nicht erkannt, der Künstler beruft sich auf seine künstlerische Freiheit77), die Kritik lobt das Werk als Ausdruck höchster, noch nie zuvor so empfundener Imaginationskraft. Wie wahr. Der Künstler wird heute sein Werk nicht ändern müssen, dank der künstlerischen Freiheit, die ihm durch die Gesellschaft verliehen wurde. Und wir, das sehende Publikum und die Auftraggeber, lachen zwar bitter in uns hinein, in der Öffentlichkeit verschweigen wir unsere wahre Meinung. Das, was Rembrandt mit der für uns erkennbaren naturalistischen Darstellung seiner Auftraggeber gelungen ist, weit über gewöhnliche Wiedergabe der Realität hinaus, macht sein Genie78), macht seinen Erfindungsgeist aus. Dazu brauchte er weder hilfreiche Interpreten noch einen, ich wiederhole mich, erweiterten Kunstbegriff. Dieses Werk ist heute noch lesbar, weil es in einer verständlichen Sprache vor uns steht. In den letzten Jahren bemühte man sich um die Restaurierung von Michelangelo Buonarottis Fresken in der Sixtinischen Kapelle. Ein Aufschrei ging durch die Kunstwelt. Wohl ahnend, daß die Restauratoren unter dem Staub und Schweiß der Jahrhunderte eine Malerei vorfinden würden, die das altvertraute und romantisierende Bild, das man sich von der Malerei Michelangelos machte, vollkommen umkehren und somit alle bis dato geschriebenen Exegesen in deren Gegenteil umwandeln oder zumindest korrigieren könnte. Die Furcht ängstlicher, festgefahrener Kunstwissenschaftler war berechtigt. Heute, nach Reinigung der Darstellungen und Restaurierung von Übermalungen, verblüfft uns die soweit im Original erhalten, damals neuartige Palette von Farben dieses einmaligen Künstlers - für die Zeit der Renaissance revolutionär. Revolutionär für unsere verstaubten und modernen Kunsthistoriker, die die Geschichte der Malerei in einigen Kapiteln umschreiben müssen. Auch hier sehen wir, anhand der abgenommenen Übermalungen, daß eine neue, für die Auftraggeber sicher ungewohnte Farbgebung nicht der Anlaß für Korrekturen war, sondern klerikal begründete Unzüchtigkeiten im Lauf der Jahrhunderte für Veränderungen und Übermalungen sorgten. Überdies zeigen uns seine Farben, im Vergleich zu den Bildern moderner Künstler, daß deren Palette keineswegs so revolutionär war oder ist, wie man uns seit einhundert Jahren zu erklären versucht. Wie wir aus diesen beiden Beispielen sehen, ist das Argument heutiger Kunstschaffender und deren Anhang, daß alle Veränderungen an Kunstauffassungen und neue Kunstströmungen immer und zu allen Zeiten Gegner hatten, nicht ganz richtig, allerdings entzündeten sie sich an erkennbaren Darstellungen, vielleicht noch an Perspektive und ungewöhnlichen, neuen Körperhaltungen. Es kann nicht hingenommen werden, daß diese Kämpfe um die richtige Darstellungsweise heute als Argument für die Forderung nach unbeschränkter künstlerischer Freiheit mißbraucht werden.
Mitte des 19. Jahrhunderts, mit dem schnellen Wachstum eines konsumhungrigen Geldadels, setzte eine Entwicklung ein, die sich bis heute noch verstärkend, weiter anhält. Der Erwerb von Kunstgütern wurde und wird für diese reich gewordenen, kulturell meist ungebildeten Kreise fast unentbehrlich. Er diente schon früher der Stützung ihrer gesellschaftlichen Position, um sich auch auf dem Gebiet der Kultur ihren Vorbildern des Hoch- oder Geistesadels der vergangenen Jahrhunderte zu nähern. Während diese selten wirklich gebildet waren, jene mit der Muttermilch Kultur aufgesogen hatten, nicht unbedingt freiwillig, waren die neuen Kunstliebhaber auf kenntnisreiche Berater und Kunsthändler angewiesen, die Ihnen entweder die Entscheidung der Auswahl abnahmen oder empfehlend zur Seite standen. Heute ist es weniger wichtig dem Adel, Kirchenfürsten oder gar politischen Leitfiguren nachzueifern, deren geistige Potenz und kulturelle Beziehung kaum noch Vorbildcharakter hat, heute zählt das vom Kunsthandel zuvor definierte wiedererkennbare Etikett eines großen Namens in der Kunstszene und die für den Künstler typische, also durch die Masse, wiedererkennbare Darstellungsweise. Das Kunstwerk, mit seinem fiktiv materiellen Wert, erhöht oder verbessert doch wenigstens durch seinen Erwerb die gesellschaftlich angestrebte Stellung des Käufers. Jeder weiß nun wie teuer ihm kulturelles Engagement ist, vom Ansehen, das ihm dieses Werk innerhalb seiner Klientel verschafft, ganz zu schweigen. Schmücken sich deshalb neuerdings Frisiersalons, Modeboutiquen, Arzt- und Rechtsanwaltbüros mit wechselnden Ausstellungen von Kunstwerken? Wollen sie alle ein wenig abbeißen vom Kulturkuchen?! Es ist geradezu absurd, wenn sie uns einreden wollen, daß sie einem jungen Künstler erste Auftritte in der Öffentlichkeit ermöglichen; sie selbst wollen sich mit dem Hauch der Kulturbeflissenheit schmücken, Ihre Umgebung dekorieren, um anschließend in diesem Rahmen einen Abglanz dessen zu erhalten, was die Kunst an gesellschaftlichem Nutzen repräsentiert. Ich weiß, wovon ich rede. Da heute ein potentieller Kunde, der eine Galerie oder ein Atelier betritt, kaum noch Zeit hat oder Zeit opfert, sich mit seinen mentalen Bedürfnissen wirklich auseinanderzusetzen, offerieren ihm Künstler und Kunstverwerter Kunstwerke, die der Käufer nicht versteht, gar nicht verstehen kann, indes im Glauben an Etikettierungen und Marktwert kauft. Man erwirbt nicht mehr, man holt sich einen Mondrian, einen Miro, einen Pollock, einen Twombly oder irgend einen anderen Markennamen, selbst dann, wenn es sich um tausendfache, billige, für Originale ausgegebene Reproduktionen handelt. Wir sehen den nahtlosen Übergang von den schräg geschnittenen Birkenhölzern mit der Dorfansicht von xyz bis zu den bunt bemalten Rahmen mit der "Verhüllung" des Reichstages in Berlin. Es geht dabei gar nicht mehr um den Inhalt eines Kunstwerkes. Nur der Erinnerungswert zählt, ich war dort / dabei.Und wenn es sich doch um Originale handelt, geht es um die durch diese Künstler repräsentierten materiellen und gesellschaftspolitischen Wert. Man darf sich nicht wundern, daß diese Kunstwerke schließlich zu billigen Dekorationen oder teuren Wandaktien degenerieren, passend zum innovativen Charakter einer Einrichtung und zur gesellschaftlichen Position des Käufers. Die Zeiten sind wohl endgültig vorbei, in denen ein gebildeter Sammler einem ebenso gebildeten Künstler gegenübertrat, um sich ihrer gegenseitigen Achtung zu versichern, in dem Bewußtsein, daß sie beide dem Kunstwerk für eine kurze Lebensspanne geliehen waren. Die Zeiten gehören der Vergangenheit an, in denen Sammler und Kunstliebhaber noch ihren Namen verdienten. Es gibt, jeder mag sich dazu bekennen oder nicht, Ausnahmen. Sie sind leider in der Minderheit. Als Künstler kann man nicht auf Galerie-Kunsthändler verzichten, egal welch geistiger Potenz. Sie regeln den Markt. Es bedarf heute der intellektuellen Absegnung von Kunstwerken durch willfährige Kritiker und Kunstschriftsteller, um den zunächst immateriellen theoretischen Unterbau zu schaffen. Erst durch diese Voraussetzungen ist der materielle Wert eines Kunstwerkes zu rechtfertigen. Was man als Käufer vielleicht als wertlos erachtet, wird durch geschickte Manipulation und durch Verwandlung in ein Mysterium erwerbenswert. Es wird Dekorationsware. Ich zum Beispiel habe Mühe, an Expressionisten, Konstruktivisten, Futuristen, Abstrakten und weiteren kuriosen Kunstströmungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ganz zu schweigen von noch moderneren Künstlern der ich-weiß-nicht-wievielten Generation von Adepten, zu erkennen, was an deren Werken bedeutend war/ist. Sie sind anders als viele Werke ihrer Zeitgenossen und unterscheiden sich erheblich von den Werken früherer Jahrhunderte. Ist Antagonismus in der Kunst ein Qualitätsmerkmal? Rechtfertigt diese Ansicht die Förderung des Unverständlichen? Soll er gar als Beweis dafür herangezogen werden, daß alles Widersprüchliche per se die Weihen der Kunst erhält, nur weil es etwas Neues ist? Nach fast einhundert Jahren ständig wechselnder, unverständlicher Kunststile und Richtungen, sind wir lethargisch geworden, haben wir uns damit abgefunden und daran gewöhnt. Statt eines röhrenden Hirschen hängen wir nun als Kunst das Foto eines verhüllten Reichstages auf oder eine Abbildung von Klee's laufenden Torbogen. Wo fängt da Kitsch an, wo hört er auf ? Um 1920 zeichnete sich eine Gegenbewegung zur Kunst der Abstraktionen ab, die zu einer sehr realistischen Ausdrucksform in der Malerei führte. Man entwickelte dafür einen Begriff Neue Sachlichkeit. Diese sachliche Malerei eroberte sich, bereits vor dem Faschismus in Italien, dem Nationalsozialismus in Deutschland, sogar in Frankreich und Amerika eine breite Anhängerschaft unter Künstlern und Sammlern. Parallel dazu verlief eine, wieder aufflammende Begeisterung für den Surrealismus, dessen Vorläufer in alten Zeiten, häufiger in der Renaissance, dort als Manierismus, und im Barock zu finden sind. Die einzige, wirklich phantasievolle Ausdrucksform in der Kunstgeschichte, die Jahrhunderte überdauert hat und deren schöpferische Hervorbringungen alle Bereiche der sieben freien Künste befruchtet hat. Die entsetzlichen Entgleisungen, Malverbote und Autodafés, die Kunstverfolgungen in der Zeit des Nationalsozialismus, gehören mit Sicherheit zu den Hauptgründen, warum wir uns besonders in Deutschland scheuen, moderne Kunst anzugreifen und abzulehnen. Mindestens zwei Jahrzehnte vor dem Bildersturm faschistischer Diktatoren, damit früher, als allseits angenommen, haben Künstler, meist technisch hervorragend, die Probleme ihrer Zeit erkennbar in einer hyperrealistischen, sezierenden Weise dargestellt. Daß diese Kunstform glücklicherweise nicht in allen Bereichen, zur allseits verachteten Blut-und-Boden-Kunst mutierte, ist sicher zum Teil dem Widerstandswillen dieser Künstler zuzuschreiben. Natürlich gab es andere Künstler, die seit ihrer Ausbildung im neunzehnten Jahrhundert, bis in die vierziger Jahre traditionelle Malerei pflegten und darin Bedeutendes leisteten79). Sie hatten das Pech, daß die Führer dieses Unrechtregimes (mit Ausnahme Görings, Goebbels und sogar einiger SS-Größen) diese Malerei liebten und verehrten, deshalb über alle Maßen förderten. Alles, was nicht in diesen vorgegebenen Rahmen paßte, wurde vernichtet und unterdrückt. Daß dabei naturalistische Malerei zur politischen Werbung, zur ideologischen Unterstützung politischer Ziele eingesetzt wurde, versteht sich von selbst. Leider haben auch künstlerisch ambitionierte Emporkömmlinge ihre Chance bekommen, deren beklagenswerte Machwerke in den Katalogen der Großen Deutschen Kunstausstellung München und in Die Kunst im Deutschen Reich zu bewundern sind. Die politische und ästhetische Wertung dieser "Scheußlichkeiten" haben zahllose Publikationen seit 1946 übernommen. Die heutigen Gegner naturalistischer Kunst machen oft, wider besseres Wissen oder weil sie es nicht besser wissen, keinen Unterschied zwischen der damals über Europa und Amerika etablierten Neuen Sachlichkeit und der bereits erwähnten Blut-und-Boden-Kunst. Deshalb wird jeder noch so zaghafte Hinweis auf viele bewundernswerte Künstler der 30er und 40er Jahre und jede extreme Ablehnung moderner Kunst dummerweise als faschistoid und reaktionär abgetan. Muß ich deshalb heute Musik von Schönberg und Alban Berg mögen, weil sie in der Nazi-Diktatur abgelehnt wurde, oder sollte ich gar die Musik von Mozart und Wagner verachten, weil ein schizoider Goebbels sie liebte, darf ich Gemälde von Spitzweg noch ansehen, weil der erfolglose Maler Hitler diesen Maler liebte, muß ich einen Bildhauer wie Breker ablehnen, weil Herr Speer sich seiner bediente ? Soll ich Kunstwerke von Chirico, Sironi, Adolfo Wildt usw. verachten, weil sie durch Mussolini geduldet oder sogar teilweise als Kunst des Faschismus in die Ideologie der Bewegung mit einbezogen wurden ? Darf ich folglich nur Kunstwerke von demokratisch gesinnten Künstlern akzeptieren ? Diese grotesken Argumentationen des Für und Wider will ich nicht weiter verfolgen. Doch sehen wir an den Beispielen, wie die Einseitigkeit, mit der heute gemessen und verurteilt wird, das Votum für oder gegen eine naturalistische Malerei, heutige Generationen beeinträchtigt. Wie viele Kunstwerke entstanden eigentlich während des 30jährigen Krieges unter der Ägide machthungriger Kriegstreiber, wieviel im Umkreis des größenwahnsinnigen Kriegstreibers und Schlächters Napoleon ? Ist Holbein zu verachten, der einem Frauenmörder diente ? Können wir noch ruhigen Gewissens die Kultwerkzeuge südamerikanischer Kulturvölker betrachten, die Ihren Gegnern die Haut vom lebendigen Körper abzogen ? Die Kunstgeschichte ist voll von diesen Beispielen. Was zählt, sind die Kunstwerke, nicht Ideologien und die Personen dahinter. Ein miserabler Charakter kann gleichermaßen ein bedeutendes Kunstwerk schaffen; was wissen wir, außer Anekdoten, über die persönlichen Eigenschaften von Dürer oder Rembrandt, Leonardo da Vinci, Botticelli oder Rubens ? Wir haben die Kunstgeschichte festgeschrieben, durch Ergebenheit oder Bequemlichkeit festschreiben lassen. Wir haben uns daran gewöhnt etwas gut zu finden, weil es die Kunstgeschichte so will und weil wir in diesen Fällen nicht mehr unser eigenes, nicht vorbelastetes Urteil fällen können oder wollen. Und natürlich weil der Kunstmarkt eine beherrschende Rolle als Makler fiktiver Werte übernommen hat. Was für ein Mißbrauch von Freiheit und Liberalität. Aber es ist bequem, hinzunehmen. Wir scheuen das vermeintliche Risiko, uns und anderen Menschen einzugestehen, daß wir immer noch nichts mit Kandinskys Emotionalien, Kirchners Expressionen, Modersohn-Beckers Knollennasenfiguren, den Schnitzelbildchen Schwitters oder Mondrians Konstruktionen anfangen können, von deren sklavischen Nachahmern ganz zu schweigen, daß uns Musik von Ligeti, Nono, Schönberg und besonders Stockhausen auf die Nerven geht, und Skulpturen z.B. von Richard Serra für uns immer noch nicht mehr sind, als rostiges Eisen. Voluminös, doch nur aufgeblähte Formen aus rostigem Eisen. Es ist übrigens ganz interessant, daß ein Künstler wie Jeff Koons, auf Auktionen Gemälde der Renaissance für seine eigene Sammlung erwirbt. Es ist kurios anzusehen, wie die internationale Kulturschickeria ihren Status, ihre Existenzberechtigung mit Zähnen und Klauen verteidigt, überdies auf Kosten jedes individuellen Verstandes. Und auf Kosten der Allgemeinheit. Wenn die Menschen gelernt hätten, ihren Gefühlen und ihrem natürlichen, allerdings gebildeten Verstand zu trauen, wenn sie über ihre Fähigkeiten nachzudenken bereit wären, wenn sie diese vor anderen Menschen offenbarten und wenn sie ihren ursprünglichen Bedürfnissen entsprechend handelten, gäbe es keine so große allgemeine Verunsicherung. Verdummung wie sie heute stattfindet, wäre nicht mehr möglich. Der subjektiven und ehrlichen Erlebnisfähigkeit des aufgeklärten Betrachters ist nichts wirklich entgegenzusetzen. Leider sind wir manipulierbar und fatalerweise hat dieses Verhalten etwas mit mangelnder Intelligenz (im Sinne von Duldung von Vorgegebenem) zu tun. Sich einfügen und mitschwimmen auf den großen Wellen der Bequemlichkeiten. Diese Devise bestimmt das Bewußtsein unserer Gesellschaft. Angepaßtheit ist nun einmal der Schwachen Stärke.
Es sind die scheinbar objektiven Berichterstattungen und Kritiken von Ausstellungen und Kunstereignissen, die sich uns so darstellen, als seien sie im Sinne vorauseilenden Gehorsams geschrieben worden. Gehorsam gegenüber den mächtigen, vielleicht bekannteren, auf jeden Fall einflußreicheren "Kunstpäpsten". Wenn ich provokativ fragen darf: Wer hat denn unter den heutigen Kunstkritikern und Kunstschriftstellern, a) die für eine sachliche Beurteilung, unbedingt notwendige, umfassende Bildung, b) das Rückgrat, c) die Persönlichkeit und d) die finanzielle Unabhängigkeit, gegen die Kunstgeschichte des letzten Jahrhunderts und deren heutige, fatale Nachwirkungen zu schreiben? Ich will nicht ausschließen, daß es unter Kritikern einige gibt, die im stillen Kämmerlein über den derzeitigen letalen Zustand der Kunstszene nachgedacht haben. Wahrscheinlich kommen sie sogar zu ähnlichen Schlüssen wie ich, können dank ihrer Ausbildung und Fähigkeiten auch besser formulieren als ich, aber auch vorsichtiger, vielschichtiger und deshalb nicht radikal genug. Die meisten aber schweigen, dulden und sorgen mit ihrer devoten Haltung dafür, daß ihr eigener Berufsstand immer mehr in Verruf gerät. Nun leben Kritiker ja nicht nur von der Kunstbetrachtung. Sie schreiben darüber und werden von den Medien meist schlecht bezahlt. Als freier Mitarbeiter ist man heute mehr denn je auf Veröffentlichungshonorare, nach Anzahl der gedruckten Zeilen, angewiesen. Da könnte man Nachsicht üben, wenn man aufgeblähte, nichtssagende Artikel im Feuilleton einer Zeitung findet, die natürlich, konform zur vorhandenen Kunstansicht, absolut nichtssagend sind. Jedes Anschreiben gegen herrschende Kunststömungen birgt für Rezensenten die Gefahr, nicht nur selbst abwertend beurteilt, sondern überdies noch lächerlich gemacht zu werden. Die Unterstellung, daß sie deswegen vielleicht noch ihre Anstellung verlieren, maße ich mir nicht an. Wer, neben Kritikern und Kunstschriftstellern, besitzt unter den Konsumenten die oben geforderten Eigenschaften? Ausnahmen sind hier die selbstbewußten Sammlerpersönlichkeiten, nicht die Anhäufer und Dekorateure, es sind die Leisen, die Gebildeten, die gefestigten Charaktere, die man zum Beispiel auf Auktionen alter Graphik und Handzeichnungen antrifft. Und natürlich Sammler moderner Kunst, die gegen herrschende Kunststömungen nur ihrem eigenen Anspruch verpflichtet sind. Hier wird noch mit dem Maßstab des Könnens die Spreu vom Weizen getrennt. Neben diesen sind es leider wenige, die sich ihre natürliche Entscheidungsfreiheit erhalten haben. Kritiker und Sammler, die unsere Kunstgeschichte noch nicht einmal ernsthaft infrage stellen wollen, die zaghaft einen Gedanken an klassische, (sur)realistische oder naturalistische Kunstschöpfungen der Neuzeit verwenden, werden von gehirnlosen Zeitgeist-Mitläufern des nationalistisch gefärbten Rückschrittes in eine braune Barbarei bezichtigt. Was bewegt eigentlich einen Kritiker, die Leistungen von Künstlern, schlimmer die Nicht-Leistungen, die doch, wie wir wissen sollten, nicht objektiv meßbar sind, zu beurteilen? Ich wünschte mir, daß Kritiker sich sinnvollerweise auf eine beschreibende Schilderung des Sichtbaren beschränken würden. In der Schule nannten wir so etwas Bildbeschreibung. Wir erinnern uns, daß dies nicht sehr einfach, andererseits durch Fortbildung des Sehverhaltens erlernbar war. Vielleicht würden dadurch Zeilenhonorare80) für Kritiken, bei den heute in Ausstellungen zu beschreibenden Werken, auf Pfennigbeträge zusammenschrumpfen. Gewichtige Bücher würden überflüssig. Selbst diese wenigen, oft kläglich endenden literarischen Versuche, mit rühmlichen Ausnahmen, scheitern an nicht vorhandenem historischen Kunstgeschichtswissen, der Unfähigkeit und daraus resultierender Unwilligkeit, zeitgenössische Kunst mit einem (unbekannten) Maler des 16. Jahrhunderts oder einem attischen Vasenmaler vor zweitausendvierhundert Jahren zu vergleichen - ganz zu schweigen von vergleichsweisen Beurteilungen von Vätern der Moderne, deren mittlerweile zweiter oder dritter Generation von sklavischen Kopisten81), die heute den Kunstmarkt mit Marginalem überschwemmen. Sie scheitern ebenso an ihrer Unfähigkeit, mit einem Pinsel oder einem Stück Ton etwas zu gestalten, außer vielleicht in der Toscana-Ferien-Selbsterfahrungs-Werkstatt: "Wie befreie ich mich selbst, knete dir einen Topf - Wir aquarellieren auf Goethes Spuren". Vielleicht haben sie sich sogar als richtige Künstler versucht, sind gescheitert und wollen doch am allgemeinen Kunstgeschehen parasitär teilhaben. Ihr Verständnis für Kunst hört dort auf, wo sie selbst an mangelndem Können gescheitert sind, denn nur bis zu ihrem eigenen Vermögen sind diese Krittler in der Lage, Kunstschöpfungen zu verstehen. Alles was über ihren Horizont geht, wird auf ihr mittelmäßiges Niveau herabgezogen und zurechtgestutzt. Welche Anmaßung! Mit dieser theoretischen und praktischen Ausbildung läßt man die Leute auf die Menschheit los. Wie unverantwortlich ! Wie bitte sollen diese ein Gemälde naturalistischer Darstellungsweise beschreiben; andererseits wie erklärt man ein Bild, bei dem nichts weiter zu sehen ist, als ein oder zwei Schnitte in einer Leinwand? Was ist auf einer monochrom bemalten blauen Leinwand mehr zu sehen als eine aufgespannte Leinwand, die blau bemalt ist? Da liegt des verhinderten Malers oder Literaten große Chance, nur da kann er sich seine Daseinsberechtigung erschreiben. Da wird er Protagonist einer neuen, in der Zukunft Gott-sei-Dank wieder marginalen Kunstrichtung. Er ist ein kleines aber sehr nützliches Glied in der Kette von der Produktion bis zur Vermarktung von Kunstwerken. Erst durch die an sich unmögliche Entschlüsselung und Verklärung von Nichtvorhandenem, nicht Erkennbarem, macht er sich mitschuldig an der Trennung zwischen Kunstwerk und Betrachter. "Avantgardistische" Kunst ist ohne die Symbiose von Kritiker und Künstler und ohne die üblichen zeitgeistigen Mitläufer nicht denkbar. Sie bedingen einander. Dieses Verhalten dient nicht der Kunst, es ist kontraproduktiv. Es ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für überflüssige Philologen (eigentlich: Freund der Wissenschaften, Sprachwissenschaftler/nicht Sprachvergewaltiger), Soziologen, Germanisten, Kunsthistoriker und Möchtegern-Kritiker. Zu erklären, was der Künstler eigentlich mit seinem Machwerk ausdrücken wollte, allein nicht konnte, ist sein Aufgabenbereich. Er fühlt sich aufgefordert, den eigentlich wichtigsten Part in der Beziehung Künstler verso Betrachter zu übernehmen, besser, zu ersetzen. Da ist seine Fabulierfreudigkeit angesprochen. Er muß, um sich nicht selbst als höchst überflüssig zu empfinden, die Intentionen erfinden, die er dem Künstler unterschieben kann. Dieser verwahrt sich nicht dagegen, läßt es geschehen; muß er sich doch selbst nicht rechtfertigen, kann es eingedenk seiner eigenen Unfähigkeit kaum noch. Der moderne Künstler hat seine Lektion gelernt, im Kunsttheater gerade noch die Rolle eines Chargen82) zu spielen, dies auch noch zu genießen, und dafür sogar, wenn er die Gruppe der oberen Tausend erreicht hat, hoch bezahlt zu werden. Schließlich drängt ihm die Gesellschaft diese Rolle so lange auf, bis er endlich in den Wahn verfällt, ein bedeutender Künstler zu sein. Und was tun wir? Wir schauen uns diese sich ständig wiederholenden Dramen an, wir warten voller Demut und feuchten Handflächen immerfort auf neue Szenarien noch innovativerer Selbstdarsteller und Regisseure. Wir erweitern durch angehäuftes hypothetisches Wissen und Duldung des Kunstgeschehens unseren Kunsthorizont, lassen zu, ja unterstützen durch fleißige Ankäufe für unsere Bibliotheken noch, daß kommende Generationen nicht mehr über hunderttausend dicke Kunstbücher, bis an den Rand gefüllt mit kruden Exegesen, hinwegsehen können. Denn wir glauben noch dem alten Satz, wenn auch etwas abgewandelt: Was du schwarz auf weiß besitzt, kannst du getrost, also im Vertrauen, nach Hause tragen. Den großen und kleinen Manipulatoren ist es gelungen, uns mit ihrem Ergebnis, daß 2 plus 2 gleich 5 sind, nicht nur zu erfreuen, sondern sie haben uns auch noch zu ihren Aposteln gemacht, die freudig ihre Botschaften unter den Menschen verbreiten. Wir sind stolz darauf, daß sie uns gestatten ihre Botschaft devot anzunehmen, daß sie uns erlauben, zu ihnen als gleichberechtigte nun ebenfalls Wissende aufzusteigen zu dürfen. Das Kunstwerk ist nur noch Mittel zum Zweck und nicht mehr Mittler zwischen Künstler Betrachter. Es hat sein Eigenleben aufgegeben, aufgeben müssen, zum Wohle der Kunstdoktrin und derer, die daran partizipieren. Wenn ich den Versuch mache, ich gestehe es kostet mich Überwindung, einen Sammler-Käufer moderner, avantgardistischer83) Kunst nach seiner Motivation und den Kriterien seiner Kaufentschlüsse zu fragen, erhalte ich, wie heute üblich, einen Wust unverständlicher, angelesener Worthülsen und Ausweichmanöver: äh...tja...eigentlich ....weil...innovativ.... mit ... der Zeit gehen .... hochbedeutender, von Professor X protegiert ... exzeptionell... die Farben eben....sinnliche Erfahrung.... äh.....und schon im Museum... und so... Aha ! Für einen Wissenden mögen diese interessanten und entschlüsselnden Erklärungen ausreichen, für mich nicht. Keiner dieser Sammler-Käufer und keiner der Förderer dieser Kunst ist wirklich in der Lage mir zu erklären, warum sie diese Gegenstände, diese zufälligen Abstraktionen, Dekorationen und Fundstücke, arrangiert und dekoriert als Raumkunst, sogenannte Installationen oder Honigpumpen mit Freude(?) erwerben um sie zu genießen. Es sei denn, sie zitieren irgendwelche Kulturidioten84), die ihnen, in der Sprache hyperintellektueller Philologen, des Kaisers neue Kleider anempfahlen. Man betrachte die Ergüsse modernster Künstler und lese hierüber die Stellungnahmen ergebener, selbstverliebter Kunstschriftsteller. Freilich vergessen sie darüber die Kunst, die hernach sowieso nur noch Steigbügel für pseudophilosophische Essays ist. Die Auslegungen verselbständigen sich. Kaum einer dieser Apologeten der modernsten Kunst kann ansatzweise über den Sinn der Kunst nachgedacht haben und wenn, hat er mögliche Einsichten schnell wieder aus seinen Gedanken verscheucht; seiner eigenen beruflichen Aussicht wegen? Wer sägt gerne an dem Ast, auf dem er sitzt? Ein Aspekt für die Schwemme auf dem Kritikermarkt könnte folgender sein: Kritiker, oder solche, die sich dafür halten, haben wahrscheinlich nie in Ihrem Leben (ich habe das schon angedeutet) Kunst produziert. Es drängt sie aber, wie so viele andere, parasitär am Kunstschaffen teilnehmende Bürger, etwas zu hinterlassen. Wie sagte doch schon unser großer, schwarzer Vorsitzender (und seit einigen Tagen auch unser kleiner, gelber Spaßmacher): "... wichtig ist, was hinten rauskommt !" Etwas zu hinterlassen, was kommende Generationen an sie erinnert. Immer nur zusehen, wie man heute noch von Malern, Bildhauern, Graphikern und Architekten aus vergangenen Zeiten spricht, scheint für sie eine schier unerträgliche Qual zu sein. Also arbeiten sie besessen daran, ihren Marginalien zur Kunstgeschichte, das nötige Gewicht zu verleihen. Sie unterstützen sich gegenseitig in Ihrer Tätigkeit (wie die Krähen sich gegenseitig kein Auge aushacken) und preisen einander. Jeder noch so zaghafte Hinweis auf Ihre vorzüglichste Aufgabe wird gnadenlos abgeschmettert. Statt dessen sammelt man ihre unqualifizierten Ergüsse in entsprechenden Institutionen, um sie mit ihrer ganzen Wichtigkeit und Wichtigtuerei der Nachwelt zu hinterlassen. Das ist schon ein wenig peinlich - finden Sie nicht auch? Nicht die Kunst, die sie eigentlich besprechen sollten, hat Priorität, sondern ihre schriftstellerischen Zutaten. Niemand, der nicht kochen kann, wird in einem Restaurant ein Urteil über schlechte Küche abgeben. Er wird das Gericht essen oder nicht essen. Aber er sollte dem Koch nicht sagen wollen, wie er zu kochen habe. Der Kunstfreund indes, nimmt hin, ohne zu hinterfragen. Ephraim Kishon hat in seinem vergnüglich zu lesenden Theaterstück "Liebling, zieh' den Stecker raus, das Wasser kocht"85) über alle Maßen treffend den heutigen Kulturbetrieb karikiert - leider übertrifft ihn die Wirklichkeit. Er zitiert, in einem Prolog zum Buch, teilweise Picassos künstlerisches Testament, das ich hier natürlich allzugerne wiedergebe:
[...]; seit die Kunst nicht mehr die Nahrung der Besten ist, kann der Künstler sein Talent für alle Wandlungen und Launen seiner Phantasie verwenden. Alle Wege stehen der intellektuellen Scharlatanerie offen. Das Volk findet in der Kunst weder Trost noch Erhebung. Aber die Raffinierten, die Reichen, die Nichtstuer und Effekthascher suchen in ihr Seltsamkeit, Originalität, Verstiegenheit und Anstößigkeit. Ich habe die Kritiker mit zahllosen Scherzen zufriedengestellt, die mir einfielen und die sie um so mehr bewunderten, je weniger sie ihnen verständlich waren. [...]; Ich bin heute nicht nur berühmt, sondern auch reich. Wenn ich allein mit mir bin, kann ich mich nicht als Künstler betrachten im großen Sinne des Wortes. Große Maler waren Giotto, Tizian, Rembrandt und Goya. Ich bin nur ein Clown, der seine Zeit verstanden und alles herausgeholt hat aus der Dummheit, der Lüsternheit und Eitelkeit seiner Zeitgenossen [...];86)
Es gibt in diesem Jahrhundert keine Genies in der Kunst. Da kann man sich noch so verzweifelt mühen, in einem Kandinsky oder Beuys den Genius87) zu finden, es sei denn, den des Verkäufers; sie bleiben, wie die meisten der anderen hochgelobten avantgardistischen Künstler, nur die Karikaturisten der vorhandenen geistigen Potenzen ihres Zeitalters. Berühmt sind sie geworden durch die Dummheit der Menschen, durch den enormen Einfluß der Medien und deren millionenfach reproduzierten, nachgeplapperten Huldigungen. Berühmt sind sie geworden durch die Mystifizierung ihrer Darstellungen, durch willfährige Jünger. Wenn etwas Falsches oft genug nachgeahmt wird, so glaubt man schließlich an dessen insinuierten Wahrheitsgehalt.
Nicht die Seuchen der Avantgarde sind für mich Nachfolger früherer Malergenerationen. Die wirklichen Erben der Malerei heißen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Für die zweite Hälfte des Jahrhunderts nenne ich stellvertretend: Rudolf Hausner, H. U. Saas, Mac Zimmermann, Isabella Quantilla, Richard Oelze, Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer, Volker Stelzmann, Arno Rink, Wolfgang Peuker, Karl-Georg Hirsch, Rolf Münzner, Peter Nagel, Horst Janssen, André Thomkins, Hermann Haller, und weitere Surrealisten und Realisten, besonders in China und der ehemaligen UdSSR, denen man, wenn überhaupt, nur am Rande Aufmerksamkeit schenkt. Warum, zum Beispiel, werden zwei Generationen ostdeutscher Künstler, die eine hervorragende handwerkliche Ausbildung genossen haben, kaum im Westen wahrgenommen ? Sie haben ihre Zeit und Umgebung sehr subtil verarbeitet, kritisiert und dafür Nachteile oft schlimmster Art in Kauf nehmen müssen - allerdings für den auf Showeffekt geprägten Westler kaum spürbar. Oder soll ich davon ausgehen, daß die Westkunst nur Angst vor einem Vergleich scheut ? Keiner dieser Künstler pflegt(e) einen platten Realismus, den man heute gleichfalls bei vielen Photorealisten (hervorragende Techniker zwar, aber leider ohne "Empfindung") sehen kann. Zugegeben - es ist eine sehr von Vorlieben geprägte Auswahl von Künstlern die mir bekannt geworden sind - wie viele weitere mag es wohl geben, die durch eine schwachsinnige Bevorzugung von Alternativ-Kunst oder gar aus politischen Gründen in die Ecke der Ewiggestrigen gedrängt wurden und abwertend beurteilt werden?! Nach dieser schmalen Aufzählung darf keiner behaupten, daß diese Künstler unfähig waren oder sofern sie noch leben, nicht in der Lage sind, unsere Zeit mit zeitgenössischen Themen zeitgemäß zu schildern. Welchen Stellenwert haben eigentlich die englischen und belgischen Symbolisten, der Spanier Mario Fortuny (mal davon gehört?!), Moreau, Blechen, Menzel, Spitzweg, Schinkel, Delacroix, Zorn, Krøyer, Leibl und die Münchner Schule? Haben Sie einmal daran gedacht, daß Goya erst 1828 gestorben ist? Der "geringste" unter den oben genannten, den Malern des 19. Jahrhunderts, tausend andere kann ich nennen, übertrifft an technischem Können und Darstellungsvermögen alle hochgelobten Künstler des 20. Jahrhunderts. Wir denken in unserer Vermessenheit und grenzenlosen Überheblichkeit noch nicht einmal daran, daß auf anderen Kontinenten und in anderen Kulturen, Kunstwerke lange vor unserer Zeitrechnung geschaffen wurden, deren ungebrochene Ausstrahlung und Modernität uns kaum bewußt ist; wir sie uns gar nicht erst bewußt machen, weil wir instinktiv Angst davor haben, daran gemessen zu werden. Gönnen Sie sich doch einmal einen Blick auf die chinesische Malerei des 7. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung; Ich möcht wetten, daß Sie zumindest erstaunt sein werden, wenn Sie diese mit den Kunstschöpfungen des gleichen Zeitraumes auf dem europäischen Kontinent vergleichen. Und - machen wir uns bitte klar, daß eine Handzeichnung Dürers gerademal soviel auf einer Auktion einspielt, wie ein Bild eines zeitgenössischen Scharlatans. Von den Preisen der Bilder, der Kunst-Ikonen van Gogh oder de Kooning, will ich nicht reden, da mir beim Gedanken daran die Galle hoch kommt. Die Menschen - subsummarisch - sind offensichtlich völlig verblödet, anders kann ich solche Entwicklungen nicht mehr bezeichnen. Sie sind ungebildet und nicht mehr in der Lage oder Willens, Vergleiche aus ihrer eigenen Geschichte heranzuziehen. Man hat den Massen Freiheiten gegeben, mit denen sie nichts anzufangen wissen, weil man vergessen hat, ihnen den Sinngehalt dieses Begriffes zu erklären. Zur Freiheit gehört eben auch der Hinweis auf und dazu die unbeschränkte Sicht in die Vergangenheit. Es sind, dank großzügigster, grenzenloser Freiheiten, sämtliche Grundsätze für Qualität abhanden gekommen. Diesen Verlust von Maßen nur auf die Kunst zu beziehen wäre zu einfach. Es ist ja nicht ausschließlich die Kunst, die von Enthemmungen und Fehlentwicklungen geprägt ist, es sind viele andere Lebensbereiche ebenso davon betroffen. Ohne, durch Vergleiche mit Leitbidern, eigene Fähigkeiten zu messen und sich in ihrer Beschränktheit zu akzeptieren, ohne die notwendigen Regeln der Gesellschaft gegenüber einzuhalten, ohne sich selbst am Lauf der Geschichte zu messen, wird unsere Kulturgemeinschaft sicher nicht zusammenbrechen, Sie wird aber weiter verwässern. Jeder wird schrankenlos fordern, was ihm eingedenk mangelnden Könnens und/oder fehlender Intelligenz nicht zusteht. Das ist die Entwicklung zur einer Art Anarchie (nicht im Sinne der Aufklärung, sondern im Sinne von Zügellosigkeit), die einem bequemen, liberalen und zudem noch falsch verstandenen und falsch vermittelten Demokratiebegriff beigesellt wird, wie etwa: Demokratie (alle dürfen alles) = Maßlosigkeit (alle machen, was sie wollen) = Freiheit (keiner kann). Statt: Alle müssen dürfen. Wenige können. Diese dürfen, was sie können. Ende des Textes
der Hund bellte, wie Sie lesen konnten, die Karawane wird weiterziehen.
Wenn Sie bis hierher den Text gelesen oder überflogen, sich über meine Sprache amüsiert oder hier zuerst nachgesehen haben, was vermutlich bequemer war, dann erwarten Sie vielleicht eine Art Resumé von mir ?! Also, vergessen Sie, was Sie gelesen haben, falls das nicht ohnehin schon geschehen ist, lehnen Sie sich wieder zurück in Ihren gestylten Sessel, im Bewußtsein Ihres unerschütterlichen Wissens und Glaubens an das, was Sie gelernt haben, unter Kunst zu verstehen. Schalten Sie regelmäßig Ihren Designfernseher an und zappen Sie, um sich zu informieren, durch die informativen, intelligenten Kulturprogramme der ausgewogen, paritätisch besetzten Sender, mit Berichten zu avantgardistischen Kunstevents. Vielleicht lesen Sie 'mal wieder ein modern hergestelltes Buch, von einem ebenso modern schreibenden Schriftsteller; informieren Sie sich durch Zeitgeistzeitschriften. Oder gehen Sie in eine moderne Galerie, ein modernes Museum, in eine avantgardistische Oper, in ein modern inszeniertes Theaterstück, lassen Sie sich durch moderne Texte und Inszenierungen eine wohlige Gänsehaut wachsen, hören Sie moderne Musik, gehen Sie in moderne Lokale, bestellen Sie bei einem modernen Ober und essen Sie frugale Gerichte von minimalistisch kochenden Köchen, präsentiert auf gigantischen Platztellern und pflegen Sie weiterhin, dem Zeitgeist entsprechende, oberflächliche Beziehungen zu Ihren Mitmenschen. Denken Sie, und dies wird Sie ja wohl kaum überfordern, zeitgeistig, denn Zeitgeist ist der einzige Geist, der nicht weh tut. Das Verdauen von Vorgekautem sättigt schneller. Sie fühlen sich wohl in diesem Pfuhl, nicht wahr? Sie fühlen und genießen es, daß Sie sich durch nichts von einem Menschen unterscheiden, der im Hier und Heute lebt, der in der liberalen Soße des politisch korrekten Gutmenschen mitschwimmt. Sie können deshalb mit Recht behaupten, daß Sie ein durch und durch moderner, aufgeschlossener Mensch und zeitgeistiger Mitläufer sind. Gute Nacht lieber Leser, schlafen Sie auch weiterhin gut - Ihr moralinsaurer
Volkert Emrath
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